Donnerstag, 25. April 2024

Krieg in der Ukraine
EU plant Waffenkäufe mit Geld des Aggressors

Die Ukraine braucht dringend Waffen und Munition, um sich gegen Russland zu verteidigen. Die EU plant nun, mit eingefrorenen russischen Zentralbank-Vermögen Waffen und Munition zu kaufen. Das Putin-Regime warnt vor diesem Schritt. Ökonomen raten ab.

22.03.2024
    Geldbündel liegen als Spurenträger auf einem Tisch.
    Russlands Zentralbank hatte Geld in Euro angelegt. Das Vermögen wurde wegen des Angriffskriegs gegen die Ukraine von der EU eingefroren - und wirft seitdem Zinsen ab. (picture alliance / Federico Gambarini / dpa / Federico Gambarini)
    Die EU kündigte bei ihrem Gipfel am 22. März 2024 in Brüssel an, milliardenschwere neue Militärhilfen für die Ukraine vorzubereiten. Dabei sollen auch Zinserträge aus den eingefrorenen russischen Zentralbank-Vermögen genutzt werden. Allein in diesem Jahr könnten bis zu drei Milliarden Euro zusammenkommen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte, das Geld solle vor allem zum Kauf von Waffen und Munition verwendet werden, die die Ukraine für ihren Verteidigungskampf brauche. 
    Nach Angaben von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) könnte bei einer abschließenden Einigung die erste Milliarde bereits am 1. Juli ausgezahlt werden. „Es hängt also von uns ab. Es liegt in unseren Händen. Wenn wir schnell sind, gibt es im Sommer einen konkreten Schritt“, sagte von der Leyen.

    Inhalt

    Um wie viel russisches Zentralbank-Vermögen geht es?

    Unmittelbar nach Kriegsbeginn im Februar 2022 wurden im Westen russische Zentralbankreserven in Höhe von rund 260 Milliarden Euro eingefroren. Etwa 210 Milliarden davon liegen in der EU fest. Es ist üblich, dass Zentralbanken Reserven in anderen Währungen als Anlage im Ausland haben – als international einsetzbare liquide Mittel eines Landes.
    Die Erträge dieses Vermögens sollen der Ukraine zugutekommen, so die Pläne der EU. Das in Brüssel ansässige Finanzinstitut Euroclear hatte nach eigenen Angaben allein in 2023 rund 4,4 Milliarden Euro an Zinseinnahmen verbucht, die in Verbindung zu Russland-Sanktionen stehen. Es ist in der EU das mit Abstand wichtigste Institut, das Vermögenswerte der russischen Zentralbank verwahrt.

    Was planen die EU-Länder genau?

    Bereits im Februar 2024 wurde entschieden, Erträge in Höhe von 2,5 bis drei Milliarden Euro künftig jährlich auf einem Sperrkonto zu sammeln. 90 Prozent dieser Erträge sollen dem vom  EU-Außenbeauftragten Josep Borrell erarbeiteten Plan zufolge für Waffen und Munition für die Ukraine ausgegeben werden. 10 Prozent sollen für die Behebung von Kriegsschäden und den Wiederaufbau in der Ukraine aufgewendet werden.
    Seit Monaten prüfen Juristen die rechtlichen Risiken dieses Schritts. Anders als bei den Vermögen selbst handelt es sich demnach bei den Erträgen nicht um russisches Eigentum, sondern um Gelder, die allein durch die Sperrung des Vermögens angefallen sind – klassische sogenannte „Windfall Profits“. Unerwartete Gewinne, die mit einer Pflichtabgabe belegt werden können. Über diese Abgabe, die bis knapp an 100 Prozent gehen könnte, sollen die Erträge abgeschöpft werden.
    Endgültig beschlossen wurde Borrells Plan aber auf dem EU-Gipfel im März 2024 noch nicht. In der Abschlusserklärung des Gipfels heißt es, dass Sicherheits- und Verteidigungsinteressen aller Mitgliedsstaaten berücksichtigt werden sollen. Das zielt auf bündnisfreie Staaten wie Österreich, Malta und Irland, die teilweise Probleme damit haben, diese Gelder für Waffen zu verwenden. Auch Ungarn will sich möglicherweise nicht an Waffenkäufen beteiligen. Es wird also ein komplizierter Weg, diese Milliarden tatsächlich zu mobilisieren. Sicher ist, dass am Ende alle zustimmen müssen.

    Wie reagiert Russland?

    Russland hatte die EU bereits vor dem Gipfel nachdrücklich vor einer Nutzung eingefrorener russischer Vermögenswerte zur Aufrüstung der Ukraine gewarnt. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow drohte den EU-Ländern am Mittwoch mit jahrzehntelanger Strafverfolgung. Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, sprach von "Banditentum und Diebstahl" und einem "beispiellosen Verstoß" gegen das Völkerrecht. "Die Europäer sollten sich des Schadens bewusst sein, den solche Entscheidungen ihrer Wirtschaft, ihrem Image und ihrem Ruf als zuverlässige Garanten der Unverletzlichkeit des Eigentums zufügen könnten", sagte Peskow.
    Bereits Ende 2023 hatte der Kreml-Sprecher die Frage bejaht, ob es eine Liste von westlichen Vermögenswerten gebe, die Russland zu Vergeltung beschlagnahmen könnte.

    Wie reagiert die Ukraine?

    Mit dem nun verabredeten Plan blieb die EU hinter Forderungen des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zurück. Dieser hatte am 21.3.2024 in einer Videoansprache die Gipfelteilnehmer dazu aufgefordert, das gesamte eingefrorene russische Vermögen von rund 200 Milliarden Euro zur Unterstützung seines Landes einzusetzen. Es sei nur fair, wenn Russland die wahren Kosten des Krieges spüre, sagte Selenskyj. Seine Forderung wurde jedoch von mehreren Mitgliedsstaaten wie Österreich und Ungarn abgelehnt.

    Was sind mögliche Konsequenzen der Maßnahme?

    Eine solche Entscheidung wäre „absolut präzedenzlos“, sagte der Politikwissenschaftler und Experte für politische Ökonomie, Alexander Libman, von der Freien Universität Berlin im Interview mit Deutschlandfunk Kultur im Vorfeld des Beschlusses.
    Die „de facto Enteignung von russischem Staatsvermögen“ stehe „eigentlich nicht im Einklang mit dem bestehenden Recht“, sagte Libman. Dies könnte Folgen auf das Vertrauen von Staaten in den Anlagestandort EU und in die Währung Euro haben. „Es ist ein Vermögen, das dem russischen Staat gehört“, so der Wissenschaftler. Es gebe keine rechtliche Grundlage zur Enteignung von Vermögen, das einer bestimmten Institution gehöre. Staatsvermögen sei zudem „extra geschützt durch höhere Immunitätsregeln“. Einen sauberen Ausweg daraus sieht Libman nicht. Er rechne mit Klagen des russischen Staats gegen die EU vor europäischen und internationalen Gerichten.
    Für Russland würde der Entzug der Zinserträge "kurzfristig nichts bedeuten", sagte Libman, da die Anlagen der Zentralbank in Euro ja ohnehin schon längst von der EU eingefroren worden waren. Ohnehin spiele der Euro nach Angaben der russischen Zentralbank eine immer geringere Rolle im Vergleich zu anderen Devisen für den Außenhandel: "Die sogenannten unfreundlichen Devisen Dollar und Euro betragen jetzt nur ein Drittel von allen Transaktionen des russischen Staates. Der Rest fällt auf Rubel und auf die freundlichen Devisen Yuan, Rupie und so weiter."

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