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EU-Sicherheitspolitik
Nouripour: Lasten für Militäreinsätze fair verteilen

Die Europäische Union als Gemeinschaft müsse darauf achten, dass nicht ein Staat bei Militäreinsätzen "die Drecksarbeit für die anderen" mache, sagt Omid Nouripour, sicherheitspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag. Deutschland solle die französische Mission in Zentralafrika unterstützen.

Omid Nouripour im Gespräch mit Martin Zagatta | 20.12.2013
    Martin Zagatta: Bei ihrer gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik kommen die 28 EU-Staaten auf keinen grünen Nenner. Das zeigt sich auch jetzt beim EU-Gipfel wieder einmal mehr als deutlich. Bundeskanzlerin Merkel hat das Ansinnen Frankreichs abgelehnt, den französischen Militäreinsatz in der Zentralafrikanischen Republik aus EU-Mitteln mitzufinanzieren. Das sollte heute beim Treffen der Staats- und Regierungschefs noch einmal Thema werden, genauso wie der Umgang mit der Ukraine.
    Verbunden sind wir jetzt mit Omid Nouripour, Bundestagsabgeordneter der Grünen, der bisher sicherheitspolitischer Sprecher seiner Fraktion war und gerade vor einer Stunde zum außenpolitischen Sprecher der Grünen im Bundestag gewählt wurde. Guten Tag, Herr Nouripour:
    Omid Nouripour: Ich grüße Sie.
    Zagatta: Herr Nouripour, da haben wir ja genau den richtigen Mann: Sicherheitspolitiker, Außenpolitiker. Kann ich Sie fragen: Kann man denn mit den Franzosen, kann man die Franzosen, so wie die Kanzlerin das jetzt macht, kann man einen wichtigen Partner so im Regen stehen lassen?
    Nouripour: Ich glaube, dass man das nicht tun sollte. Die Franzosen leisten dort eine Arbeit, die alle richtig finden, zum Beispiel in Zentralafrika. Sie erfüllen dort einen Auftrag der Vereinten Nationen und es ist auch Wunsch der Regierungen und auch der Opposition in Zentralafrika, dass dort geschlichtet wird. Das, was die Franzosen machen, ist also ein Auftrag für alle.
    Wir haben in der Europäischen Union Battle Groups, Kampfeinheiten. Die werden nie geschickt. Wenn man die schicken würde, wären auch deutsche Soldaten dabei. Dass das nicht der Fall ist und dass die Franzosen das machen, das ist eine Sache, die in Deutschland durchaus erwünscht ist. Aber dann muss man dafür auch bereit sein, zumindest darüber zu sprechen, was denn man bereit ist, dafür zu tun, dass die Franzosen diesen Job machen.
    Zagatta: Das sagen Sie als Grüner, dass die Deutschen für Militäreinsätze in Afrika zumindest mitzahlen sollten?
    Nouripour: Ich sage, dass die Europäische Union als Gemeinschaft tatsächlich darauf achten muss, dass nicht die einen die Drecksarbeit für die anderen machen, sondern dass man genau schaut, dass dort die Lasten halbwegs fair verhandelt sind.
    Zagatta: Heißt das dann in der Praxis nicht auch, die Franzosen sollen den Kopf für andere hinhalten, so wie die Deutschen, die sich da die Hände nicht schmutzig machen wollen, und wir geben dann das Geld?
    Nachvollziehbar, dass Franzosen Ansprüche stellen
    Nouripour: Na ja, wie gesagt: Das Ziel muss ja am Ende des Tages sein, dass es multilaterale Verbände gibt, und es gibt ja schon welche. Deshalb muss man darüber reden, was man denn eigentlich vorhat mit diesen Kampfeinsätzen der Europäischen Union, die multilateral sind, die tatsächlich so aufgestellt sind, dass viele Länder beteiligt sind, was man denn eigentlich mit denen vorhat, wofür man die aufgestellt hat. Wenn man nicht bereit ist, darüber zu reden, dieses Instrument zu nutzen, wenn es ein VN-Mandat gibt und wenn es auch politisch einen Sinn macht wie im Falle von Zentralafrika, dann kommt man nicht weiter, und deshalb müssen wir darüber reden. Solange wir das nicht tun, verstehe ich, dass die Franzosen Ansprüche stellen, wenn sie den Kopf hinhalten.
    Zagatta: Das heißt, ich höre aber auch durch, Sie wären für den Einsatz solcher Truppen? Denn jetzt in Brüssel hört man ja dazu zum Beispiel aus Großbritannien: Herr Cameron soll ja gesagt haben, der Premierminister, für ihn kommt das eigentlich nicht infrage.
    Nouripour: Das kann durchaus sein. Aber dann müssen wir darüber reden, wofür wir sie haben und ob wir sie nicht auflösen, weil das kostet Geld. Geld, was dann tatsächlich verschwendet ist. Aber es gab mal eine Vereinbarung, die da hieß, wir wollen als Europäische Union Krisenreaktionskräfte haben, und die hat man dann aufgestellt. Man kann das richtig gefunden haben damals oder falsch. Wenn man es richtig gefunden hat, muss man die einsetzen, und wenn man es heute falsch findet, dann muss man die wieder auflösen.
    Zagatta: Diese Kräfte, Sie haben es angesprochen, die gibt es ja. Wie müsste dann so eine Entscheidung ablaufen? Dann müsste ja auch wieder im Prinzip die EU das Mandat haben zu sagen, okay, die setzen wir da und da ein. Würde das in der Praxis funktionieren?
    Nouripour: Das würde in der Praxis so funktionieren, dass in dem Augenblick, in dem es eine Resolution gibt der Vereinten Nationen, die EU sich meldet und sagt, wir wären bereit und auch imstande – das sind zwei völlig verschiedene Paar Schuhe im übrigen, wissen wir von anderen Einsätzen -, diesen Auftrag auch zu übernehmen, und als EU sind wir auch gewillt, auch untereinander einig, dass wir das stemmen wollen.
    Zagatta: Dann wäre so etwas wie der Mali-Einsatz, wo die Franzosen relativ schnell eingegriffen haben, aber kaum noch möglich. Dann wäre ein Land wie Mali wahrscheinlich längst in der Hand der Islamisten und wir würden heute noch diskutieren, ob Deutschland da mitmachen soll, oder grünes Licht geben soll, oder nicht.
    Nouripour: Deshalb sage ich ja, das muss auch operativ Sinn machen und das muss auch passen. Es geht nicht darum, dass man ganz, ganz, ganz schnell da rausgeht. Im Übrigen: Militärisch ist das ja kein Problem. Die Einheiten sind ja ganz schnell aufstellbereit. Das ist ja politisch immer relativ langwierig, die Entscheidung zu treffen, was auch kein Problem ist. Aber es gibt ja zum Beispiel wie gesagt Fälle wie Zentralafrika, da diskutiert die Weltgemeinschaft seit über einem Jahr darüber, was man da tun will. Deshalb ist es nicht immer so, dass man da sofort reingehen muss. Man kann sich auch häufig die Zeit nehmen, über Dinge zu diskutieren, auch innerhalb der EU.
    Zagatta: Herr Nouripour, ich habe jetzt zu meinem Erstaunen hier gelesen, dass es seit fünf Jahren keinen Gipfel mehr gegeben hat, der sich mit Verteidigungs- und Außenpolitik überhaupt oder zumindest mit Sicherheitspolitik beschäftigt hat. Das soll jetzt wieder der erste gewesen sein. So eine europäische Verteidigungspolitik, existiert die nur noch auf dem Papier und in Sonntagsreden, oder ist das Realität?
    Derzeitige europäische Verteidigungspolitik "ein Nebeneffekt der Krise"
    Nouripour: Ich bin schon durchaus frustriert, da haben Sie völlig recht, und es ist auch zugegebenermaßen ein Nebeneffekt der Krise. Aber genau die Krise hat doch gezeigt, dass die Töpfe nicht immer größer werden und dass es absolut notwendig ist, von diesen Nationalegoismen runterzukommen und zusammenzuarbeiten. Es gibt so viele Bereiche, in denen man bei der Beschaffung, bei der Industriepolitik, bei der Frage auch natürlich, wie man multilaterale Verbände aufstellt, zusammenarbeiten muss - nicht nur, weil das auch für Europa sinnvoll ist, dort zu vertiefen und die nationalen Grenzen zu überwinden; auch, weil das Geld schlicht nicht da ist.
    Und wenn ich mir jetzt angucke, was dort nun verabschiedet wurde, dann macht mir das ehrlich gesagt Angst. Da steht zum Beispiel, dass eine vollständige Komplementarität mit der NATO erzielt werden soll. Das heißt, die EU schaut, was hat die NATO nicht, und das ist dann das, was die EU machen will. In der NATO gibt es so einen kleinen Partnerstaat, der heißt USA. Die haben militärisch alles. Wenn wir schauen wollen, was die NATO nicht hat, dann braucht die EU gar nichts mehr tun. Das heißt, es gibt keinerlei Ambitionen, was jetzt auch durch diesen Gipfel rauskommt. Es gibt keine Ambitionen, tatsächlich da voranzugehen. Es gibt jetzt, dadurch, dass es Druck gibt auf die Kassen, ein wenig rhetorische Zugeständnisse, aber …
    Zagatta: Und da wird sich unter der neuen Bundesregierung Ihrer Ansicht nach nichts ändern?
    Nouripour: Ich sehe nicht, dass man so weitermachen kann wie bisher, weil es nicht mehr geht, weil das Geld einfach immer wieder verschwendet ist, weil zum Beispiel durch den Eurohawk-Fall in Deutschland auch eine größere öffentliche Sensibilität dafür da ist, dass man im Beschaffungsbereich aufhört, Gelder aus dem Fenster zu schmeißen. Aber Ambitionen sehe ich keine, im Koalitionsvertrag erst recht nicht.
    Zagatta: Omid Nouripour, der außenpolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion. Herr Nouripour, danke für das Gespräch.
    Nouripour: Danke Ihnen!
    Zagatta: Schönen Tag!
    Nouripour: Ebenso!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.