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EU will Lebensmittel-Grenzwerte für Dioxine und PCB

Erstmals wurde Dioxin einer breiten Öffentlichkeit bekannt, als im Jahr 1976 beim nord-italienischen Seveso ein ganzer Landstrich verseucht wurde. 400 Kinder erkrankten an Chlorakne, 75.000 Tiere mussten getötet werden. Durch einen Unfall in einer Chemiefabrik war die gefährlichste der etwa 200 Dioxinverbindungen, das so genannte Sevesogift, in die Umwelt gelangt. Weit weniger gefährlich, aber immer noch bedenklich genug war jene Dioxinverbindung, die vor zwei Jahren in Belgien über verseuchtes Tierfutter in Geflügel und Eier gelangte und für einen Lebensmittelskandal sorgte. Obgleich also manche Dioxine gefährlich sind, gibt es bis heute keine Grenzwerte dafür in Lebens- und Futtermitteln. Doch das soll sich bald ändern.

von Jochen Spengler |
    Einfach verbieten kann man Dioxine nicht. Denn diese organischen Verbindungen werden nicht vorsätzlich erzeugt, sondern bilden sich ungewollt als Nebenprodukt chemischer Reaktionen: sowohl als Folge von Naturereignissen wie Vulkanausbrüchen oder Waldbränden, wie auch bei der Herstellung von Chemikalien oder bei der Müllverbrennung.

    Die farb- und geruchlosen Dioxine sind überall in der Umwelt anzutreffen, manche sind giftig, einige können Krebs erzeugen. Das Problem: Sie sind biologisch nicht abbaubar. Einmal in der Welt, verschwinden Dioxine nicht, sondern sammeln sich an - bei Lebewesen vor allem im Fettgewebe. Ein Mensch nimmt rund 80 Prozent des in seinem Körper angehäuften Dioxins über Lebensmittel tierischen Ursprungs zu sich - über Milch, Eier und Fleisch - vor allem aber über Fisch. Beate Gminder, Sprecherin der EU-Kommission:

    Insgesamt gesehen, ist es so, dass die Dioxinbelastung in Europa hoch ist, dass sie aber über die letzten zehn Jahre sehr zurück gegangen ist. Die Situation wird besser, ist aber immer noch nicht zufriedenstellend. Wenn man ein Dioxin belastetes Lebensmittel ist, bekommt man davon nicht unbedingt sofort Krebs. Wichtig ist, wie lange man sich Dioxinbelastung über einen langen Zeitraum aussetzt. Also: die Menge macht's. Und da kann man versuchen über eine abwechslungsreiche Ernährung zu verhindern, dass man hauptsächlich Lebensmittel zu sich nimmt, die besonders belastet sind, und Lebensmittel, die besonders belastet sind, sind vor allem ölhaltige Fische. Also wenn Sie jeden Tag einen ölhaltigen Fisch essen, dann würde ich Ihnen das nicht empfehlen.

    Vor allem Lachs oder Aal aus der Ostsee sollte man nicht morgens, mittags und abends verspeisen. Denn darin finden sich überdurchschnittlich große Mengen Dioxin. Um die Belastung von Mensch und Tier zu senken, hat die EU-Kommission jetzt den Agrarministern vorgeschlagen, im Herbst endlich feste Obergrenzen für Dioxine und dioxinähnliche PCBs in Lebens- und Futtermitteln zu beschließen. Ein Vorhaben, das einfacher klingt, als es ist:

    Es gibt sehr wenig wissenschaftliche Daten zu Dioxin, es gibt gar keine zu PCBs. Daher ist es sehr schwierig, überhaupt Grenzwerte festzulegen, weil man relativ willkürlich an die Geschichte ran gehen muss, weil man keine wissenschaftliche Untersuchung hat, die einem Maximalgrenzen und Maximalwerte empfehlen. Wozu wir uns entschlossen haben, ist eine Dreistufenstrategie, die zum Ziel hat, dass es insgesamt weniger Dioxinbelastung gibt, die aber über Jahre erst erreicht werden kann.

    Die Dreistufenstrategie besteht aus der Festlegung von vorläufigen Höchstwerten, Auslösewerten und Zielwerten. In der ersten Stufe sollen Höchstwerte für Dioxine in Lebens- und Futtermitteln beschlossen werden, die nicht allzu ehrgeizig ausfallen, dafür aber überall in Europa ab Januar 2002 einhaltbar wären. Demnach sollen alle Ausgangserzeugnisse für Futtermittel, beispielsweise Pflanzenöl, pro Kilo nicht mehr als 0,75 Nanogramm Dioxin aufweisen. Würde dieser Wert überschritten, so müsste das Produkt vom Markt genommen werden.

    Neben den Maximalwerten, die auch für Fisch, Milch, Eier, Innereien und Fleisch jeweils differenziert festgelegt werden, wird die Kommission zeitgleich in einem zweiten Schritt niedrigere Auslösewerte definieren. Am Beispiel des Pflanzenöls: schon mehr als 0,5 Nanogramm würde eine Art Alarm auslösen, wie Beate Gminder von der EU-Kommission erläutert:

    Dieser Auslösewert, der wesentlich unter dem maximalen Höchstwert liegt, bedeutet, wenn in dem Lebensmittel schon so und so viel Nanogramm Dioxin entdeckt werden, dann muss eine Behörde nachforschen, warum ist da Dioxin drin? Gibt's hier irgendeine Quelle aus der Industrie oder irgendein Öl, das in dem Lebensmittel verwertet wurde, dass das Lebensmittel verunreinigt wird.

    Den dritten Schritt will die EU-Kommission dann in einigen Jahren gehen. Erst wenn genaue wissenschaftliche Daten vorliegen, sollen ehrgeizigere Zielwerte für Lebens- und Futtermittel festgelegt werden, damit die Dioxinaufnahme des Menschen unter die von der Wissenschaft empfohlene zulässige Menge von wöchentlich 14 Pikogramm sinkt.

    Diese Zielwerte, die werden irgendwann einmal den Höchstwert ablösen, weil das ist das Ziel, dass wir nur noch so und so viel Dioxine haben. Doch dieses Ziel kann erst erreicht werden, wenn generell die Dioxinbelastung in der Umwelt zurückgegangen ist.

    Was in erster Linie durch den Einsatz von Filtern gelingen dürfte. In modernen Müllverbrennungsanlagen werden Dioxine vollständig herausgefiltert. Und Aktivkohlefilter kommen auch zum Einsatz, wenn es gilt, Fischöl und Fischmehl zu säubern. Diese Futtermittel-"Rohstoffe" sind am stärksten mit Dioxin belastet. Weswegen EU-Forscher empfehlen, sich vor allem darauf zu konzentrieren, zunächst ihre Dioxinverseuchung deutliche zu senken.