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EuGH kippt Saatgutmonopol der Konzerne

Über viele Jahre gab es sehr strenge Bedingungen, die Saatgut erfüllen musste: So musste das Saatgut beständig und homogen sein, was bei den alten Sorten nicht der Fall war. Durch das Urteil des EuGH können Bauern und Vereine gezielt alte Sorten pflegen und dürfen diese auch verkaufen – allerdings noch unter großen Beschränkungen.

Jule Reimer im Gespräch mit Jörg Münchenberg |
    Jörg Münchenberg: Was genau hat das Gericht entschieden?

    Jule Reimer: Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass auch alte Sorten – in diesem Fall ging es speziell um Gemüsesaatgut wie die Kartoffel "Rosalie" oder die Buschbohnensorte "Alter Hinrichs" - in der EU verkauft werden können – und eben nicht nur verschenkt werden dürfen. Dahinter stand die Grundsatzfrage, unter welchen Bedingungen Saatgut überhaupt in der EU vermarktet werden darf. Über viele Jahre gab es da sehr strenge Bedingungen, die Saatgut erfüllen musste: So musste das Saatgut beständig und homogen sein – also eine hohe genetische Identität aufweisen, auch nach der Vermehrung. Genau das ist bei alten Sorten nicht der Fall. Und diese Pflicht zur Uniformität hatte zur Folge, dass insbesondere alte Sorten gar nicht auf dem Markt gehandelt werden durften. Damit begünstigen diese Regeln die Hybridzüchtungen, das Hochleistungssaatgut, das damit an überragender Bedeutung gewann. Dieses Hochleistungssaatgut wird wiederum eher von mittelständischen Züchtigungsunternehmen bzw. in weltweitem Maßstab vorwiegend von großen Konzernen wie Monsanto und Bayer hergestellt und vermarktet und dafür zahlen die Bauern auch Nachbaugebühren. Aber seit 2009 gibt es eine Ausnahmerichtlinie in der EU, die besagt, das sogenannte Erhaltungssorten – damit sind die alten Sorten gemeint – ebenfalls verkauft werden dürfen – und dies wurde heute bestätigt.

    Münchenberg: Was bedeutet das Urteil für die Bauern, aber auch für die Saatgutkonzerne?

    Reimer: Bauern, aber auch Vereine – wie der ehrenamtliche, französische, bäuerliche Züchterverein Kokopelli -, dürfen jetzt gezielt alte Sorten pflegen und dürfen diese auch verkaufen – allerdings noch unter großen Beschränkungen. Das gilt auch in Deutschland, das Gesetz zur Erhaltung alter Sorten macht strenge Vorgaben. Das Problem ist das übermächtige, klassische Saatgutrecht. Für die klassische Zulassungsprüfung gilt, dass sie eine ganze Menge Geld kostet und das kann sich ein kleiner Züchter gar nicht leisten.

    Für die Saatgutindustrie wird sich durch das Urteil wettbewerbsmäßig nichts ändern – daraus erwächst ihr keine Konkurrenz. Aber das Urteil birgt ein für die klassische Agrarindustrie unliebsames Signal: Bisher galt die Steigerung der Produktivität als Hauptziel der Züchtung. Durch das Urteil wird dieses Ziel ein wenig relativiert – zugunsten der Anerkennung, dass auch der Erhalt der Biodiversität ein wichtiges EU-Ziel ist – diese alten Sorten sind ja auch ein wichtiger Genpool, um die vorherrschenden Sorten resistenter gegen Pilze, Trockenheit etc. zu machen.

    Münchenberg: Mehr Vielfalt für die Verbraucher – ist das nach dem Urteil zu erwarten?

    Reimer: Mehr Vielfalt für den Hobbygärtner wahrscheinlich, für den Verbraucher eher mittel- bis langfristig. Es wird auch darauf ankommen, was bei der EU-Agrarreform herauskommt. In Brüssel wird ja gerade darum gerungen, ob die Subventionen stärker von Umweltauflagen abhängig gemacht werden sollen.