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EuGH-Urteil
"Immer mehr Überwachung um uns herum"

Der Trend zur privaten Videoüberwachung sei unaufhaltsam, befürchtet Thilo Weichert, Datenschutzbeauftragter von Schleswig-Holstein, im DLF. Er hoffe aber, dass das Urteil des EuGHs, nach dem auch bei privaten Überwachungskameras der EU-Datenschutz gilt, den Widerstand vieler gegen die Überwachung mobilisiere.

Thilo Weichert im Gespräch mit Petra Ensminger | 11.12.2014
    Die Überwachungsdrohne der Polizei "md 4-200" wird am Dienstag (30.08.2011) während einer Großübung in Celle bei Demonstranten eingesetzt. Die niedersächsische Bereitschaftspolizei übt in Celle neue Techniken der Beweissicherung und Festnahme. Mehr als 800 Mitwirkende sollen auf einem ehemaligen Kasernengelände Szenen nach einem festen Drehbuch spielen. Die Polizisten werden dabei mit Gewalt und schwer zu kontrollierenden Situationen konfrontiert.
    Überwachungskameras gehören in der Öffentlichkeit inzwischen dazu - aber auch im privaten Bereich werden sie immer häufiger genutzt. (picture alliance / dpa / Peter Steffen)
    Petra Ensminger: Auf dem Bahnhof, in einem Supermarkt oder auf einem Marktplatz - man schaut hoch und blickt in eine Kamera. Überwachungskameras, sie gehören in der Öffentlichkeit inzwischen dazu, ob man mag oder nicht. Und wie sieht es da im Privatbereich aus? Auch hier immer häufiger Überwachungsanlagen: am Hauseingang, im Auto, selbst im Schrebergarten.
    Ein Fall aus Tschechien hat die Richter des Europäischen Gerichtshofs beschäftigt. Da hatte ein Mann sein Haus videoüberwacht, tatsächlich zwei Verdächtige erfasst, die - das zeigte das Video - eine Scheibe zerschossen haben. Einer der Gefilmten aber wehrte sich gegen die Überwachung und bekam dann auch von tschechischen Datenschützern zunächst Recht.
    Die Richter in Luxemburg haben das jetzt aber ein wenig differenziert. Nach dem Urteil müssen Privatleute den EU-Datenschutz beachten und sobald öffentlicher Grund wie etwa der Gehweg oder die Straße gefilmt werden, da gelten strikte Vorschriften. Über all das habe ich mit dem Datenschutzbeauftragten des Landes Schleswig-Holstein gesprochen, mit Thilo Weichert. Schluss also auch bei uns mit privater Überwachung?
    Thilo Weichert: Leider ist das nicht der Fall. Wir müssen davon ausgehen, dass die gesetzlichen Regelungen, die wir derzeit im Bundesdatenschutzgesetz haben und die auch in der EU-Richtlinie so vorgegeben sind, eine Abwägung fordern - mit der Folge, dass auch auf öffentlichem Grund überwacht werden darf, wenn es eine Legitimation dafür gibt, und das kann natürlich auch ein Sicherheitsbelang sein, oder zum Beispiel auch, wenn die Wahrnehmung des Hausrechts das notwendig macht.
    "Videoüberwachung immer stärker verbreitet"
    Ich gehe mal davon aus, dass die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für uns hier in Deutschland überhaupt keine Veränderungen mit sich bringt, weil hier diese Abwägung schon im Bundesdatenschutzgesetz explizit vorgesehen ist und insofern zwar grundsätzlich das Videoüberwachen verboten ist, aber wenn es einen spezifischen Grund für den Überwacher gibt - und das kann zum Beispiel das Hausrecht oder ganz besondere Sicherheitsgründe sein -, dann darf eine Überwachung im Rahmen des Erforderlichen durchgeführt werden.
    Ensminger: Privatleute müssen auf jeden Fall den EU-Datenschutz beachten. Dennoch ist die Tendenz ja da. Zumindest fühlt es sich so an, dass immer mehr Kameras auch im privaten Bereich angewendet werden. Ist das tatsächlich so?
    Weichert: Wir müssen feststellen, dass dadurch, dass Kameras immer billiger werden und leichter zu handhaben, jetzt auch Videoüberwachung immer stärker verbreitet ist und zur Anwendung kommt, teilweise dann sogar Webcams, die dann ins Internet übertragen. Das ist ein Trend, der unaufhaltsam zu sein scheint. Ich habe die Hoffnung, dass der EuGH mit seinen klaren Aussagen jetzt dem in einem gewissen Maße Einhalt gebietet.
    Wir sehen aber natürlich die Entwicklung insbesondere in Großbritannien, aber auch in vielen anderen Staaten und natürlich auch hier in Deutschland, dass die Bereitschaft zur Videoüberwachung immer mehr zunimmt, und dem muss man dann einfach mit Datenschutzargumenten gegenhalten, und ich habe so ein bisschen die Hoffnung, dass das Urteil des EuGH auch dazu beiträgt, dass jetzt eine Mobilisierung von vielen, die sich jetzt beobachtet fühlen, stattfindet und entsprechender Widerstand dann auch laut wird.
    Ensminger: Im konkreten Fall ging es um die Überwachung eines Hauses. Aber Sie haben es angesprochen: Man bekommt immer günstigere Kameras, auch übers Netz schon ab 20 Euro die sogenannten Daschcams, die im Trend liegen, Kameras, die mit Saugnapf an der Windschutzscheibe befestigt werden, die dann auch in verschiedenen Richtungen während der Fahrt aufzeichnen. Viele glauben, so könne man etwa Drängler oder Verkehrsrowdys ganz legal festhalten. Ist die Einschätzung richtig, oder ist das Ganze sogar illegal?
    "Keine Rechtfertigung für Kontrolle des Nachbarn"
    Weichert: Bezüglich Dashcams im Auto wurde schon gerichtlich festgestellt, dass es unzulässig ist, zumindest im Regelfall mit einer Daueraufzeichnung. Es kann im Einzelfall die Aufnahme dann auch zulässig sein, wenn zum Beispiel nur kurz vor einem Unfall dann eine Aufzeichnung stattfindet. Das heißt im Prinzip, dass nur eine kurze Speicherdauer der Kamera vorgesehen ist, die dann unterbrochen wird, wenn dann tatsächlich ein Unfall passiert.
    Also es ist sehr schwierig, hier jetzt alle Fälle der Videoüberwachung über einen Kamm zu scheren, aber ich glaube, es ist klar mit diesem Urteil, aber auch mit der deutschen Gesetzgebung, dass Videoüberwachung jetzt nicht frei genutzt werden darf, auch von einzelnen Bürgern, von Menschen wie Sie und ich, und dass der Umstand, dass es so billig ist und so einfach zu handhaben, noch keine Rechtfertigung ist, unsere Nachbarn hier zu kontrollieren.
    Ensminger: Wir wissen dennoch oftmals gar nicht, dass wir tatsächlich gefilmt oder überwacht werden. Und wenn man sich überlegt: Noch vor ein paar Jahren, da ging es ja sehr heiß her, wenn die Überwachung des öffentlichen Raumes angesprochen wurde. Das ist alles viel, viel ruhiger geworden. Was erleben wir da gerade?
    "Datenschutzbeauftragte müssen Überwachung überwachen"
    Weichert: Ich glaube nicht, dass sich die Menschen an Überwachung gewöhnt haben. Es ist aber zweifellos richtig, dass immer mehr Überwachung um uns herum stattfindet. Das Problem ist, dass die Transparenz dieser Überwachung oft nicht besteht, sodass wir gar nicht wissen, was da passiert und was mit uns gemacht wird.
    Es ist deswegen umso wichtiger, dass diese Transparenz hergestellt wird und dass dann auch die Aufsichtsbehörden, sprich, wir hier als Datenschutzbeauftragte, dann auch dafür sorgen, dass hier nicht über die Stränge geschlagen wird, dass die Überwachung überwacht wird.
    Ensminger: EU-Datenschutz gilt auch bei privaten Überwachungskameras und darüber habe ich mit dem Juristen und Datenschutzbeauftragten des Landes Schleswig-Holstein gesprochen, Thilo Weichert.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.