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Euro-Islam unter der Lupe

Der in der Schweiz geborene Muslim Tariq Ramadan gilt als Vertreter eines so genannten Euro-Islam, einer Variante des Islam, die vielen als besonders kompatibel mit den säkularen Verhältnissen westlich-christlicher Gesellschaften gilt. Ob diese Beurteilung berechtigt ist, dieser Frage hat sich der Politologe und Islamwissenschaftler Ralph Ghadban gestellt. Er hat das Denken Tariq Ramadans und seinen Euro-Islam unter die Lupe genommen.

Von Christoph Burgmer | 13.03.2006
    Tariq Ramadan gilt vielen als moderat, manchen gar als Modernisierer des Islam. Durch sein angeblich neues Verständnis des Islam trüge er zur Integration der Muslime im Westen bei. Ramadan entwickle eine mit "europäischen Werten" zu vereinbarende Islamauslegung, sagen seine Bewunderer. Diese werde sich auch auf einen oft geforderten, wie immer sich darstellenden "Modernisierungsprozess" in der islamischen Welt auswirken. Tariq Ramadan also ein Martin Luther des Islam, ein Reformator eines erstarrten islamisch religiösen Weltverständnisses, ein Vordenker eines demokratischen islamischen Weltbürgertums? Er selbst sieht sich gerne so.

    Und auch in deutschen Medien, auf Symposien und Tagungen wird der Schweizer Staatsbürger gerne so präsentiert. Als die USA dem "Islam-Gelehrten" und "Philosophen", wie ihn der "Spiegel" erst kürzlich nannte, 2004 die Einreise zum Antritt einer Gastprofessur verweigerten - übrigens an einer erzkonservativen katholischen Universität – reagierte man gelassen. Schließlich wurde sogar amerikanischen Staatsbürgern wie dem zum Islam konvertierten Popsänger Cat Stevens nach September 2001 die Wiedereinreise verweigert. Und auch als Ramadan einen Sturm des Protestes in Frankreich dadurch auslöste, dass er jüdischen Intellektuellen wegen ihrer angeblich bedingungslosen Unterstützung Israels "jüdischen Kommunitarismus" vorwarf, und damit den klassischen Antisemitismus einer globalen jüdischen Weltverschwörung zugunsten Israels bemühte, schaut man hierzulande wohlgefällig weg. Selbst als er sich im November 2003 während einer Diskussion im französischen Fernsehen weigerte, die Steinigung einer Frau zu verurteilen, sah man darin nicht viel mehr als einen Fauxpas.

    Dabei liegt Ramadans Attraktivität vor allem darin, dass er seine Glaubwürdigkeit aus einem ähnlich ahistorischen Begriff von Kultur, Geschichte und Religion bezieht wie so viele Zivilisationskrieger in Europa. Ramadan spricht die gleiche Sprache wie seine Gegner. Das Wort eines "Muslims", der in der Schweiz geboren ist, und der in Islamwissenschaft promoviert hat, "muss" repräsentativ für die Muslime sein.

    "Seine interkulturelle Kompetenz setzt Ramadan meisterhaft und bewusst ein…(Er) findet Unterstützung in manchen linken und feministischen Kreisen, und seine Kritik an der Dekadenz des Westens wird von manchen Globalisierungsgegnern als antiimperialistisch interpretiert. Sein ständiges Referieren über Spiritualität und Religiosität sichert ihm die Sympathie mancher Theologen und mit seinem Identitätsdiskurs hat er die Multikulturalisten auf seiner Seite."

    Ralph Ghadban, 1949 im Libanon geboren und seit 1972 in Deutschland lebend, hat die Ideenwelt Ramadans analysiert. Endlich, so muss man aufatmend betonen. Zwar wird viel, auch polemisch und kontrovers über Tariq Ramadan diskutiert, aber seinen Kritikern wirft er Unverständnis und fehlende Detailkenntnis seiner teils in Arabisch publizierten Schriften vor. In seinen Interviews schwadroniert Ramadan gerne über Brücken zwischen den Welten, die es zu bauen gelte. Vom Dialog der Kulturen, richtig befördert, profitierten schließlich beide Seiten.

    Die Studie "Tariq Ramadan und die Islamisierung Europas" im Berliner Schiler Verlag ist eine wichtige Arbeit zur gegenwärtigen Ideologiebildung des Islam in Europa. Ralph Ghadban verdeutlicht, basierend auf detaillierter Kenntnis der islamischen Geschichte, wie Ramadan die liberalen Positionen der so genannten Nahda, der islamischen Renaissance bewusst verwirft. Diese intellektuelle Strömung hatte sich Ende des 19. Jahrhunderts als Reaktion auf den europäischen Versuch formiert, den islamischen Orient nicht nur militärisch und ökonomisch zu unterwerfen, dies war schon anderen Eroberern gelungen. Der Islam sollte zugleich als Kultur beseitigt werden. Die Religion sei, argumentierten die damaligen europäischen Zivilisationskrieger, an der Schwäche und Rückständigkeit der islamischen Länder schuld. Die islamischen Intellektuellen dagegen sahen als Ursache für die technische und gesellschaftliche Rückständigkeit eine fehlende, an die modernen Bedingungen angepasste Auslegung der Religion an. Sie forderten dazu auf, den Islam zu reformieren.

    Ralph Ghadban belegt, dass Tariq Ramadan eine solche moderne Islamauslegung, wie sie zum Beispiel heute von dem ägyptischen Intellektuellen Nasr Hamid Abu Zaid pointiert vertreten wird, ablehnt. Ramadan sei vielmehr davon überzeugt, dass nicht der Islam den veränderten Bedingungen angepasst werden müsse, sondern die gesellschaftlichen Verhältnisse dem richtigen, das heißt seinem Islamverständnis. Und dieses, sein Islamverständnis ist dem klassischen Schlachtruf der Muslimbrüder "Der Islam ist die Lösung" verpflichtet. Ramadans politische Religionsauslegung ist denn auch der Grund, warum er in der islamischen Gelehrsamkeit nicht akzeptiert wird. Neu ist sein Denken also nicht, nur, dass er Europa als islamisches Missionsgebiet definiert. Schließlich leben Muslime bereits in der Dritten Generation hier, so sein Argument.

    "Die forcierte Gemeinsamkeit (des interreligiösen Dialogs) bezweckt eigentlich die Rechtfertigung der Gleichberechtigung der Religionen, unabhängig, ob sie sich im Einklang mit den Anforderungen der Menschenrechte befinden oder nicht. Alle Glaubensinhalte sind dann legitim, egal, ob es um das Kastensystem der Hindus oder die minderwertige Position der Frau im Islam geht."

    Ghadban erklärt ausführlich das von Ramadan verwendete islamistisch-politische Vokabular und verdeutlicht damit die Modernität der Politisierung des Islam im 20. Jahrhundert. Einer Politisierung, die nicht, wie es die wichtigsten Philosophen der Nahda forderten, dazu geführt hat, den Islam durch Neuinterpretation an die modernen Bedingungen anzupassen. Heute ist das Gegenteil die Munition in der Ideologie des Kulturkampfes der Muslimbrüder gegen den Westen geworden. Nicht der Islam wird falsch ausgelegt, sondern die modernen gesellschaftlichen Regeln sind falsch. Tariq Ramadan folgt dieser Ideologie. Global gültige politische Begrifflichkeiten verengt er zugunsten einer religiös-fundamentalistisch islamischen Definition, der er dann wiederum globale Gültigkeit zuspricht. Dabei spielt er ganz bewusst mit kulturspezifischen Begrifflichkeiten. Wenn Ramadan zum Beispiel in einem "Spiegel"-Interview zur Frage der Mohammed-Karikaturen davon spricht, dass "der Vernunft mehr Gehör zu verschaffen" sei, so glaubt der westlichen Leser, dass Ramadan den Begriff der Vernunft in der Tradition der Aufklärung versteht. Vernunft, in der Interpretation der Muslimbrüder, meint jedoch etwas anderes: Vernunft wird nur dem zuteil, der sich als Muslim bedingungslos dem Willen Gottes unterwirft.

    "Das westliche Wertesystem ruht auf der menschlichen Vernunft, das islamische auf dem Willen Gottes. Der Ausgang der Konfrontation ist voraussehbar: Gott wird gewinnen. "

    Ralph Ghadbans Studie belegt, dass Tariq Ramadans Weltbild auf einen islamischen Herrschaftsanspruchs zielt. Wer jedoch die tatsächlich schon längst vollzogene Säkularisierung wieder aufheben will, dessen Gedanken- und Ideenwelt basiert auf totalitären Grundmustern. Dies gilt offenbar auch für Tariq Ramadan, der sich mit allen Mitteln gegen jede weltliche und für eine islamische Bildung einsetzt. Die so genannte Wertediskussion des ausgerufenen Kulturkampfes, die Verpflichtung auf Leitkulturen verhindert die politische Analyse der tatsächlichen globalen ökonomischen, politischen und kulturellen Machtverhältnisse, wie nicht nur die Auseinandersetzung um die Mohammed-Karikaturen gezeigt hat. Und nebenbei bereitet sie den Weg für islamistische Intellektuelle wie Tariq Ramadan.

    Ralph Ghadban: Der Euro-Islam des Tariq Ramadan
    Hans Schiler Verlag, Berlin, 2006
    120 Seiten
    15 Euro