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Europa als Vorschein

Karin Fischer: Wie nationalistisch, wie universell ist die Kunst? Kann man an die Malerei des 19. Jahrhunderts die Messlatte "europäisches Denken" anlegen? Und was genau bedeutet es, wenn die Ausstellung "Blicke auf Europa" die Arbeit deutscher Künstler als europäische Kunst zeigen will? Solche Fragen kann man sich stellen angesichts der Ausstellung im Musée des Beaux-Arts in Brüssel, die heute von Bundeskanzlerin Angela Merkel eröffnet wird. Der Anlass: Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft; man will im Zentrum der Europa-Politik auch über ein kulturelles Aushängeschild glänzen. Es sind dabei vertreten die ganz großen Namen: Karl Friedrich Schnikel, Caspar David Friedrich, Max Liebermann, Carl Spitzweg.

Moderation: Karin Fischer |
    Die Frage geht an meinen Kollegen Stefan Koldehoff: haben diese Maler wirklich "Europa" ins Bild gesetzt oder sähen wir das heute gerne?

    Stefan Koldehoff: Den Begriff Europa werden diese Künstler sicherlich noch nicht im Kopf gehabt haben, aber was aus den Werken, die man hier in Brüssel sieht, spricht, ist so etwas wie eine große Sehnsucht nach Einigkeit und auch nach Einigung in diesem Flickenteppich, der Deutschland ja damals gewesen ist, und man hat sich recht klug dafür entschieden, so etwas wie ein programmatisches Bild an den Anfang dieser Ausstellung zu setzen. Sie kommen durch eine große Halle in dieses Ausstellungspalais hinein, und dann führt eine Treppe hoch zu den Ausstellungsräumen, und auf diesem Podest oben, da steht das Bild einer jungen Frau in einer Landschaft, die gekleidet ist in den französischen Nationalfarben, in einem roten Oberteil, einer weißen Bluse, einem blauen Rock, die ganz lässig da sitzt, den Betrachter anblickt, aber eben eine Deutsche ist, und zwar die Frau des Malers Christian-Gottlieb Schick, und diese Frau verkörpert eigentlich alles, was damals schon Europa gewesen sein könnte: Das Selbstbewusstsein, den Blick in die Weite hinaus, über die Landesgrenzen hinweg, und vielleicht kann man ja tatsächlich schon davon sprechen, dass sie so was wie Europa im Geiste gefühlt hat, ohne das tatsächlich konkret kennen zu können.

    Fischer: Geht es denn konkret auch um europäische Landschaften, also um eine Art Kunstlandkarte Europas?

    Koldehoff: Ja, es geht genau darum, und da muss man sich hier eben ihr Zustandekommen vergegenwärtigen. Es ist üblich, wenn ein Land die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, dass man sich dann auch mit einer großen Ausstellung präsentiert hier in Brüssel. Ursprünglich hatte man mal vorgehabt, die Caspar-David-Friedrich-Retrospektive, die in Essen und in Hamburg zu sehen war, einfach Eins zu Eins hier rüberzuschicken, und da sind dann die drei Generaldirektoren der großen deutschen Staatsgemäldesammlungen, nämlich Berlin, München und Dresden, aufgestanden und haben gesagt, nein, das ist ein bisschen wenig, Caspar-David Friedrich ist ein großer Künstler, aber zum Thema Europa können wir deutlich mehr beitragen. Schauen wir doch einfach mal in unseren fantastischen Sammlungen des 19. Jahrhunderts, wie damals deutsche Künstler auf das, was heute Europa ist, geblickt haben, und das dekliniert man jetzt in zwölf Kapiteln durch.

    Es beginnt natürlich mit dem großen Vorbild Griechenland, das der Archäologe Winckelmann damals gefeiert hat, geht über die Sehnsucht nach dem Süden, sprich nach Italien weiter, das Gegenprogramm, Skandinavien, Caspar-David Friedrich oder Phillip-Otto Runge haben sich dorthin orientiert. Es gab dynastische Verbindungen in Richtung Polen und Russland, zur Zarenfamilie, zwölf Räume lang, quer durch alle Genres, also nicht nur Landschaft, sondern tatsächlich auch Porträt, das Historienbild, da war Belgien auch das große Vorbild, wo man sich als erstes Land wieder in Europa mit der eigenen Geschichte auch in der Malerei auseinandergesetzt hat. Das Ganze endet mit dem Land Frankreich, weil da ja Mitte des 19. Jahrhunderts eigentlich die klassische Malerei beendet wird durch die Impressionisten, die sich dem Diktat der Akademien und der Salons widersetzen, und es gibt einen, wie ich finde, wunderbaren Schlusspunkt: All das, was europäische Malerei sein könnte, kulminiert nämlich in einer Künstlerfigur, in Adolf Menzel, der geboren ist in Breslau, gewohnt hat in Berlin, studiert hat in Paris und in Rom, und der akribisch eigentlich all das in Zeichnungen und Bildern notiert hat, was er in diesen ganzen heute europäischen Ländern gesehen hat.

    Fischer: Eine Frage zum Schluss noch, Herr Koldehoff: Das klingt natürlich jetzt alles ein bisschen idealistisch, vielleicht auch etwas pompös. Ist denn in diesen Bildern auch Kritik ins Bild gesetzt?

    Koldehoff: Es ist komischerweise nicht Kritik, wenn man beispielsweise daran denkt, dass Frankreich ja der große Erbfeind sein könnte, als der er in Deutschland viele, viele Jahrzehnte und Jahrhunderte gegolten hat. Es ist sicherlich auch im Arrangement dieser Ausstellung keine Kritik daran, dass man durch diese Ausstellung jetzt hier in Brüssel Europa repräsentieren soll. Das Einzige, was man merkt, ist, dass es offenbar in der Auswahl der Bilder Rücksichten gegeben hat. Also die Beziehungen zum Beispiel nach Polen und Russland waren durch deutsche Künstler einfach im 19. Jahrhundert nicht so stark ausgeprägt. Das Gleiche gilt für Großbritannien, das eben nicht der Rückorientierung, sondern eher dem Blick in die Zukunft gedient hat, als hoch industrialisierte Nation. Man hat aber natürlich auch aus diesen Ländern versucht, einigermaßen repräsentative Bilder dazu zu bekommen. Das ist nicht an allen Punkten gelungen, aber insgesamt ist es einfach eine große Feier der deutschen Malerei im 19. Jahrhundert, verknüpft mit Bildungsgeschichte, und ich glaube schon, das macht diese Ausstellung sehenswert.