Donnerstag, 02. Mai 2024

Archiv


Europa in Afrika

Voraussichtlich Ende Juli sollen im Kongo Parlamentswahlen stattfinden. Es sind die ersten freien Wahlen seit 45 Jahren. Rund 1500 Soldaten aus EU-Ländern, darunter 800 Bundeswehr-Soldaten, sollen deshalb dorthin entsendet werden, um die 17.000 UN-Soldaten zu unterstützen. Der Einsatz ist umstritten, denn die offiziellen Darstellungen, die EU-Truppe werde die Wahlen sichern und den Kongo stabilisieren, wirken angesichts der geringen Truppenstärke und der Tatsache, dass das Gros der Soldaten außerhalb des Landes stationiert werden soll, zweifelhaft. Was sind die wirklichen Motive des geplanten EU-Militär-Einsatzes im Kongo? Eine Kolumne von Martin Winter, Süddeutsche Zeitung Brüssel.

22.05.2006
    In wenigen Wochen brechen die ersten deutschen Soldaten unter der Fahne der Europäischen Union in den Kongo auf. Und viele Menschen zwischen Rostock und Konstanz fragen sich: Muss das denn nun auch noch sein? Deutsche Soldaten stehen bereits im Kosovo, in Afghanistan und die Bundesmarine schippert im Kampf gegen den Terrorismus vor dem Horn von Afrika herum. Das geht an die Grenze der Belastung. Und außerdem, was haben wir politisch überhaupt im Kongo zu suchen? Das Land ist groß wie ein Kontinent und die Chancen sind eher schmal, ihm auf dem Weg zu Frieden und Demokratie weiterzuhelfen.

    So kommt manchem der Verdacht, dass hinter der militärischen Hilfe beim Schutz der Wahlen in Wirklichkeit die Gier nach dem Rohstoffreichtum des Kongo steckt, um den sich die großen Mächte der Welt balgen. Reicht die Bundeswehr etwa ihre Hand zu einer neuen Form des Kolonialismus? Betreibt sie das Geschäft der alten Kolonialmächte Frankreich und Belgien? Das sind viele Fragen und jede findet in der elenden europäisch-afrikanischen Geschichte ihre Rechtfertigung.

    Aber sie gehen alle an dem entscheidenden Punkt vorbei. Europa hat gar keine freie Wahl mehr, ob es sich in Afrika engagiert oder nicht. Man mag bezweifeln, ob unsere Freiheit wirklich am Hindukusch verteidigt werden muss. In Afrika aber werden Schlachten geschlagen, deren Ausgang die Zukunft Europas entscheidend beeinflussen wird. Afrika ist der große Nachbar Europas und so lange es dem schlecht geht, kann es uns nicht wirklich gut gehen. Ein Afrika, das von politischen Instabilitäten gebeutelt wird, das regelmäßig von mörderischen Regionalkriegen heimgesucht wird und in dem Aids ganze Völker dezimiert, solch ein Afrika wird seine Probleme immer stärker nach Europa exportieren. Als Armutswanderung, als Kriminalität und eines Tages vielleicht sogar als eine kriegerische Bedrohung aus dem Süden. Solch ein Afrika ist außerdem für Europa wirtschaftlich verloren. In der Afrika-Politik der EU geht es darum nicht um eine Aufarbeitung kolonialer Schuld oder die Erfüllung einer moralischen Pflicht. Sondern es geht darum, Stabilität nach Afrika zu exportieren. In unserem eigenen und im Interesse der Afrikaner. Mit gut gemeinter Entwicklungshilfe allein geht das nicht. Man kann sich darüber streiten, ob der vorgesehene Einsatz im Kongo militärisch ausreichend ist. Aber er ist notwendig. Denn Frieden und Demokratie muss man gelegentlich Muskeln leihen, wenn sie Erfolg haben sollen. Gewiss, ein stabilerer Kongo wäre noch nicht das Ende der afrikanischen Unsicherheiten. Aber er wäre ein Signal der Hoffnung für den ganzen Kontinent. Deutschland hat allen Grund, dabei eine führende Rolle zu spielen. Denn das Interesse Europas ist auch seines. Und als größtes Land der EU muss es einen großen Teil der Verantwortung übernehmen.