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Europa kommt zusammen

Über die Grenze fahren ohne Passkontrolle, das war von Deutschland aus bislang nur an den Übergängen zu Frankreich, Belgien oder den Niederlanden möglich. Doch ab dem 21. Dezember wird es auch an der Grenze zu Polen oder Tschechien Wirklichkeit. Während Innenminister Wolfgang Schäuble dieses Datum schon jetzt ein "Glück für Deutschland" nennt, stößt die grenzenlose Bewegungsfreiheit andernorts auf Skepsis. Sonja Volkmann-Schluck hat sich in Frankfurt an der Oder umgehört:

    Auf der Oder-Brücke zwischen Frankfurt und dem polnischen Slubice stauen sich die Autos. Noch wird hier kontrolliert. Der deutsche und der polnische Polizist am Grenzhäuschen inspizieren die Pässe, dann dürfen die Autos weiterfahren.

    Nach dem 21. Dezember werden die Grenzhäuschen auf der Brücke verschwinden. Polen und Deutsche können dann von einer auf die andere Seite fahren oder spazieren, kein Polizist wird sie mehr nach ihrem Ausweis fragen. Stattdessen werden der polnische Grenzschutz und die deutsche Polizei gemeinsam im Landesinneren Streife fahren, und stichprobenartig kontrollieren, sagt Martina Kessow, Leiterin des Hauptsachgebiets Einsatz bei der Bundespolizei in Frankfurt an der Oder.

    "Wir sind dann mobil im Raum unterwegs, alleine oder mit dem polnischen Grenzschutz. Wir haben dann den Auftrag, nach illegaler Migration oder grenzüberschreitender Kriminalität zu fanden. Künftig werden wir also nicht mehr jeden kontrollieren, sondern lageabhängig auf Verdacht fahnden". "

    Wenige hundert Meter von der Grenze entfernt, im polnischen Slubice, steht Pawel Sokolowski an seinem Verkaufstisch. Er betreibt einer der vielen kleinen Zigarettenladen direkt hinter der Oderbrücke. Einerseits freut sich der 27jährige, dass im Dezember die Grenzkontrollen wegfallen. Gleichzeitig hat er aber auch einige Befürchtungen.

    " "Ich finde das gut – wirklich. Europa kommt zusammen, außerdem hoffe ich, dass mehr Kunden zu mir kommen, und wir mehr Zigaretten verkaufen. Aber ich habe auch Angst, denn 100 prozentig kommt alles teurer. Wir kommen zu Schengen, und wir müssen das bezahlen. Schon jetzt sind alle Milchprodukte, Gas, Wasser – alles teurer. Und Zigaretten auch."

    Seine Kunden, die sich draußen auf der Brücke mit ihren Zigaretten auf den Heimweg machen, haben allerdings noch ganz andere Ängste. Viele von ihnen finden es gar nicht gut, dass die Polen bald einfach so über die Grenze können.

    Passanten auf der Brücke:
    " "Vielleicht ist es doch noch ein bisschen zu früh. Das ist so ein Bauchgefühl eigentlich eher. Weil die Probleme in Polen und in den weiteren Oststaaten noch viel größer sind als wir uns das vorstellen können. Immer wenn so ein großes Gefälle da ist zwischen zwei Staaten ist der Wille, in einen anderen Staat zu gelangen, noch zu groß."

    Da bin ich strikt dagegen. Da kommen zu viele Ganoven rüber. Dann wird Frankfurt überflutet". "

    Angst vor grenzüberschreitender Kriminalität haben auch Teile der Polizei. Im deutsch-polnischen Kontaktzentrum auf der Oder-Brücke, in dem der deutsche und polnische Grenzschutz seit Jahren zusammenarbeiten, hängt ein Plakat der Polizeigewerkschaft. Sie ruft zu Demonstrationen auf. Vielen deutschen Polizisten kommt der Beitritt nämlich zu früh, außerdem ist ihre Zukunft ungewiss. Etwa die Hälfte der 1600 Beamten soll von der Grenze abgezogen werden. Nach dem Schengenbeitritt werden sie dann enger mit ihren Kollegen an den Ostgrenzen Polens zusammen arbeiten. Hunderte Millionen Euro hat die EU dort in Durchleuchtungsgeräte, Grenzanlangen und neueste Fahndungstechniken gesteckt. Elzbieta Cuzytek vom polnischen Grenzschutz in Frankfurt meint, dass diese Grenzen nun sicher sind.

    " "Ich glaube persönlich und als Beamtin, dass die polnische Seite sehr gut vorbereitet ist. Ich teile die Bedenken nicht, dass mit dem Schengenbeitritt die Kriminalität steigen wird. Nicht nur die Ostgrenzen sehr gut abgesichert, auch wir hier in Frankfurt werden ja nicht aufhören zu kontrollieren. Wenn in Deutschland beispielsweise geschmuggelte Zigaretten auftauchen, werden wir unsere mobilen Streifen verstärken. In ganz Polen werden diese Streifen unterwegs sein. Außerdem haben wir seit dem 15. Oktober Zugriff auf das modernisierte Schengen – Fahndungssystem, das ist eine Datenbank, mit der wir europaweit Schmuggler oder Kriminelle suchen können"."

    Doch gerade mit dem neuen Schengen-Informations-SystemII gibt es immer noch Probleme. Elzbieta Cuzytek und ihre Kollegen müssen sich deshalb bis auf weiteres mit einer abgespeckten Version zufrieden geben. Doch auch die Polizeidirektorin Martina Kessow ist sich sicher, dass die Kontrollen im Landesinneren trotzdem funktionieren werden. Denn schon seit Jahren werden immer weniger Kriminelle oder illegale Einwanderer an der deutsch-polnischen Grenze aufgegriffen.

    " "Wir erstellen regelmäßige Lagebilder, und zwar für jedes Quartal ein Lagebild der Kriminalität mit Handlungsschritten. Wir haben hier erfolgreich gemeinsame Ermittlungsgruppen in den Fällen, wo es Strafverfahren gibt und wir haben im Bereich der Prävention gute Verbindungen. Das können wir definitiv sagen: Es gibt hier keinen Anstieg der Kriminalität, die ist eher rückläufig, gerade im Bereich der unerlaubten Migration". "

    Wenn es keine Grenzkontrollen mehr gibt, werden dann beide Städte, Frankfurt und Slubice, trotz der Ängste mehr zusammenwachsen? Diese Frage hat sich Pawel Sokolowski in seinem Zigarettenladen auch schon gestellt. Er betrachtet den Schengenbeitritt allerdings nüchtern.

    " "Man hat so ein bisschen das Gefühl dass man dann ein bisschen mehr ein Europäer ist. Aber lange Zeit wird vergehen, dass wir das beide auch wirklich fühlen, dass wir richtige Europäer sind. Viel Zeit, viel Zeit, glaube ich."."