Auf dem EU-Gipfel in Nizza war das, und es war im Grunde der versehentlich ausgelöste Startschuss für die Europäische Verfassung. Denn was die deutsche Regierung dort forderte, sollte Brüssel vor allem Grenzen setzen: ein sogenannter Kompetenzkatalog sollte her, der klarstellt, wofür die Europäische Kommission zuständig ist und wovon sie bitte die Finger lassen soll.
Der Druck kam von den Bundesländern, die ihren Einfluss auf die deutsche Politik zunehmend von Brüsseler Entscheidungen bedroht sahen. Die Bundesländer drohten sogar, den Vertrag von Nizza im Bundesrat scheitern zu lassen. Auch die britische Regierung erwärmte sich rasch für den Plan, Brüssel auf diese Art in die Schranken zu weisen.
Die meisten EU-Regierungen aber waren wenig begeistert von der Idee, die EU-Kommission in ein enges Korsett zu schnüren. Zumal der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber als Wortführer der deutschen Bundesländer recht deutlich durchblicken ließ, worum es ihm tatsächlich ging: Weniger Strukturhilfen für die wirtschaftlich rückständigen Gegenden Europas und mehr Freiheit für die reichen Regionen, ihre Wirtschaft zu subventionieren.
Doch irgendwann entdeckten die Befürworter einer stärkeren europäischen Integration den Charme des Kompetenzkatalogs. Denn zufällig war auf dem EU-Gipfel in Nizza auch die Liste der europäischen Grundrechte abgesegnet worden, die ein Konvent unter Leitung des früheren Bundespräsidenten Roman Herzog aufgestellt hatte. Kompetenzkatalog und Grundrechte, das ergibt zusammen eine lupenreine Verfassung. Nichts könne die europäische Integration stärker verankern als eine Verfassung, meint der Salzburger Europaabgeordnete Johannes Voggenhuber:
Es ist ein gewaltiger Fortschritt, denn zum ersten Mal ist es nicht nur eine Vertragsrevision. Es ist ein Grundriss einer europäischen Republik, ein Grundriss einer europäischen Demokratie. Das ist eine historische Entwicklung jenseits des Nationalstaates im supranationalen Raum, in völlig neuen Verhältnissen eine Demokratie zu verwirklichen.
Eine europäische Revolution, sagen manche. Doch im Grunde hat die Revolution schon früher angefangen. Dass Abgeordnete wie Johannes Voggenhuber an einer europäischen Verfassung mitschreiben dürfen, wäre vor fünf Jahren undenkbar gewesen. Das hätten die Regierungen damals nie aus der Hand gegeben. Für Änderungen an den europäischen Grundlagenverträgen gibt es Regierungskonferenzen, in denen die Regierungschefs das Sagen haben.
Doch die letzten beiden Regierungskonferenzen, die zu den Verträgen von Amsterdam und Nizza führten, diese Regierungskonferenzen sind kläglich gescheitert. Die Probleme, die sie lösen sollten, waren anschließend größer als zuvor. In Amsterdam wischten die Kanzler und Premiers um fünf Uhr morgens entnervt alles vom Tisch, was in 15 Montaten zuvor von ihren Sherpas vorbereitet worden war. Und in Nizza wäre die EU nach viertägigem Streit fast auseinander gebrochen. Die Aufgabe, die Europäische Union fit zu machen für die Aufnahme von 10 neuen Mitgliedsländern wurde weder in Amsterdam noch in Nizza gelöst.
Der Konvent war also eine Notlösung. Rund hundert zusammen gewürfelte Delegierte aus den nationalen Parlamenten, aus dem Europaparlament, der EU-Kommission und aus den nationalen Regierungen sollten in 15 Monaten einen Verfassungsentwurf für Europa vorlegen. Eine Notlösung die sich bewährt hat, meint der Europaabgeordnete Elmar Brok:
Ich glaube, die Konventsmethodik ist die bessere Methodik. Ich habe ja zweifach(teilgenommen) fürs Parlament an Regierungskonferenzen, die de facto Diplomatenkonferenzen sind, wo man hinter verschlossenen Türen sich ja und nein sagt, und wo es nicht voran geht. Dies ist eine offene Veranstaltung, bei der Parlamentarier nach Lösungen suchen, nationale und europäische Parlamentarier. Der einzige konstruktionsfehler, den wir diesmal hatten, war, dass wir ein Präsidium hatten, das nicht vom konvent selbst gewählt war, sondern zu weiten Bereichen vom Europäischen Rat bestimmt war. Da liegt, glaube ich, die entscheidende Ursache dafür, dass wir nicht ganz so weit gekommen sind, wie wir uns das gewünscht hätten.
Der Europäische Rat, das sind die 15 Regierungschefs der Mitgliedsländer. Und es ist typisch für die Europäische Union, dass die nationalen Regierungen einerseits einen unabhängigen Konvent einberufen, ihn andererseits aber gleich wieder an die Leine nehmen. Zu groß ist die Angst, dass die Parlamentarier den Einfluss der Regierungen beschneiden könnten. Deshalb haben sie mit Valery Giscard d´Estaing, Jean-Luc Dehaene und Giuliano d´Amato gleich drei ehemalige Regierungschefs ins 13köpfige Präsidium gesetzt.
Dabei war von Beginn an klar, dass der Konvent nur einen Vorschlag für eine Verfassung machen kann. Die Entscheidung, ob und wie diese Verfassung in Kraft tritt, liegt ohnehin bei den Regierungen. Im Herbst sollen die Beratungen darüber beginnen, im Dezember soll die endgültige Fassung beschlossen werden. Einstimmig, und das bedeutet: Auch mit den Stimmen der euroskeptischen Briten, der machtbewußten Franzosen und der sperrigen Spanier. Alle im Konvent wussten, dass sie nicht zu ehrgeizig werden durften, wenn der Entwurf überhaupt eine Chance haben sollte.
Besonders deutlich wird dies bei der umstrittenen Figur des EU-Präsidenten. Eigentlich sollte der Konvent in erster Linie die Europäische Union transparenter und demokratischer machen. Das war der Auftrag: Denn in knapp 50 Jahren hat die EU nicht nur Vertrag an Vertrag gereiht. Die Dokumente widersprechen sich teilweise, sie schränken sich gegenseitig ein, und sind vor allem nicht mehr zu durchschauen. Der Konvent sollte dieses Gestrüpp lichten und in eine überschaubare Form bringen, mit anderen Worten: in eine Verfassung.
Doch bald setzte sich die Erkenntnis durch, dass es mit dem Aufräumen allein nicht getan ist. Wenn die EU nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch ein politische Rolle in der Welt spielen will, dann müssen die Mitglieder mehr Souveränität an Brüssel abgeben als bisher. Das hat sich auch in den europäischen Hauptstädten herumgesprochen. Der Konflikt mit den USA um die richtige Irakpolitik hat diese Einsicht vor allem bei den großen Ländern noch gefördert.
Doch genau die hatten plötzlich wieder Angst vor der eigenen Courage. Mehr Macht nach Brüssel, das hätte ja Europäische Kommission und Parlament stärken können. Deshalb tauchte auf einmal die Forderung nach einem hauptamtlichen EU-Präsidenten auf. Aus den Reihen der Regierungschefs sollte er sein, schlug Konventspräsident Valery Giscard d´Estaing vor.
Es ging uns darum, die halbjährliche Rotation der Ratspräsidentschaft zu stoppen. Das ist hiermit geschehen, das war die wesentliche Herausforderung. Wir haben immer gesagt, dass es um einen stabilen Ratsvorsitz geht. Es ging nie darum, die Art der Präsidentschaft zu verändern, sondern um Kontinuität.
Doch genau daran gab es erhebliche Zweifel. Denn der neue Chef, so wie ihn Paris und London wünschten und wie ihn Giscard vorgeschlagen hatte, wäre zwangsläufig zum Rivalen des Kommissionspräsidenten geworden. Eine Frage der Machtbalance, wie der österreichische Kanzler Wolfgang Schüssel betont.
Wir wollen eine starke Kommission, vor allem keine Doppelgleisigkeiten, und ein Präsident des Rates würde einfach die Gefahr einer zweiten Kommission, die allerdings dann intergouvernemental operiert, heraufbeschwören.
Kein anderes Thema hat den Konvent zwischenzeitlich so gespalten wie dieser neue Posten. Das ging so weit, dass 18 kleinere Länder, darunter fast alle mittel- und osteuropäischen Beitrittskandidaten, zum offenen Widerstand gegen einen möglichen Präsidenten aufriefen. Aus ihrer Sicht war dieser künftige EU-Präsident eine Erfindung der Großen, um die Kleinen Länder an den Rand zu drängen. Ganz falsch lagen sie damit nicht.
Denn für kleine Länder sind EU-Kommission und Parlament der natürliche Anwalt gegen die großen Nationalstaaten in Europa. Kommission und Parlament sind vor allem der europäischen Zusammenarbeit und dem Ausgleich verpflichtet. Ein EU-Präsident aber, der von den Regierungen ernannt wird, stünde wesentlich stärker unter dem Einfluss der großen und starken Länder. So war es kein Zufall, dass Paris und London am hartnäckigsten für diesen neuen Posten eintraten. Der Konvent habe den EU-Präsidenten zwar nicht verhindern können, meint Brok, aber doch entmachtet:
Das ist der natürliche Traum der Regierungschefs, sich hier zusammenzusetzen, die nationalen Parlamente sind fern, das Europäische Parlament hält man sich vom Leib. Aber das ist nicht gelungen, denn dieser Vorsitz des Europäischen Rates hat kein Weisungs- und Aufsichtsrecht, wie das ursprünglich vorgesehen war, sondern ist allein auf die Vorbereitung der Sitzungen des Europäischen Rates und deren Leitung konzentriert.
Es muss in den Hinterzimmern der Macht mehr Einsicht gegeben haben, als nach außen sichtbar wurde. Die europäische Machtbalance jedenfalls wurde nicht zugunsten der Regierungen verschoben. Im Gegenteil. Der Kommissionspräsident bekommt mehr Einfluss und auch das Europaparlament soll mehr Rechte erhalten, wie der frühere Parlamentspräsident Klaus Hänsch zufrieden feststellt:
Das Europäische Parlament wird direkten Einfluß auf die Auswahl wenigstens einer Führungsposition in der Europäischen Union haben, es wird nämlich – auf Vorschlag der Staats- und Regierungschefs – den Präsidenten der Europäischen Union wählen oder auch ablehnen können, dann muß der Rat einen neuen Vorschlag machen, bis das Europäische Parlament den vorgeschlagenen Kandidaten gewählt hat.
Die Wahl des EU-Kommissionspräsidenten durch das Parlament wird das Bild der Europäischen Union verändern. Denn plötzlich bekommen Europawahlen eine Bedeutung. Die Parteien können Wahlkampf machen für einen konservativen oder sozialdemokratischen, einen liberalen oder grünen Kommissionspräsidenten. Plötzlich geht es nicht mehr um irgendwelche Europaprogramme, die niemand kennt, die niemanden interessieren und die sich ohnehin kaum von einander unterscheiden. Auf einmal ist Politik im Spiel, die sich an Personen festmacht und damit um vieles klarer wird.
Das erstaunlichste Ergebnis des Konvents aber sind die neuen Abstimmungsregeln für den Ministerrat, in dem die Regierungen die wichtigsten Entscheidungen treffen. Fünf Tage lang hatte Frankreichs Präsident Jacques Chirac auf dem EU-Gipfel in Nizza ein undurchsichtiges System der Stimmengewichtung verteidigt, das Frankreich und Spanien den größtmöglichen Einfluss auf alle europäischen Entscheidungen sicherte. Fünf Tage lang hatten 13 Regierungschefs dagegen gekämpft, bis sie einer nach dem anderen vor Erschöpfung aufgaben.
Doch in diesen Wochen hat der Vertreter der französischen Regierung im Konvent stillschweigend die alte Position geräumt und einer einfachen Abstimmungsregel zugestimmt, die sogar Normalbürger verstehen: Eine Richtlinie oder Verordnung ist beschlossen, wenn die Hälfte der Regierungen zustimmen und diese Regierungen 60 Prozent der europäischen Bevölkerung repräsentieren. Dass Paris eingelenkt hat, liegt nach Meinung von Konventsmitglied Klaus Hänsch daran, dass :
... Frankreich erkannt hat, dass wir mit dem alten System, was ja im Grunde auch altes Denken ist, nicht weitermachen können. Dieses alte Denken besteht darin, zu glauben, dass alle Mitgliedsstaaten gleich sind. Aber sie sind nicht alle gleich, weil sie sowohl von ihrer wirtschaftlichen Stärke als auch von allen Dingen von ihrer Bevölkerungszahl her sehr unterschiedlich sind. Und diese Unterschiede müssen sich auch im Entscheidungsverfahren ausdrücken können. Wenn das nicht geschieht, wird die EU sehr schnell in eine Krise geraten, weil sich die größeren Mitgliedsstaaten übervorteilt fühlen durch die Masse der Kleineren.
Doch das letzte Wort über die Machtbalance ist noch nicht gesprochen. Denn der Konvent hat den abschließenden Teil seiner Arbeit noch gar nicht beendet. In der Steuerpolitik, in der Innenpolitik, in weiten Bereichen der Sozial- und Beschäftigungspolitik gilt noch immer das Prinzip der Einstimmigkeit von Beschlüssen. Bei künftig 25 Ländern würde das die EU regelmäßig lahmlegen. Ganz wird sich das Prinzip der Einstimmigkeit nicht beseitigen lassen. In der Steuerpolitik beispielswiese will kaum ein Land riskieren, überstimmt zu werden. Noch heikler ist die Verteidigungspolitik, bei der es im Ernstfall um Menschenleben geht.
Doch bis zu dieser Entscheidung, welche Bereiche in der EU künftig mit Mehrheit beschlossen werden sollen, ist der Konvent noch nicht gekommen. Präsident Valery Giscard d´Estaing will dieses Kapitel übernächste Woche nacharbeiten lassen.
Vor allem in der Außenpolitik ist es nicht unwichtig, welche Bereiche weiterhin einstimmig entschieden werden müssen. Davon hängt auch die Macht des künftigen EU-Außenministers ab. Der deutsche Außenamtschef Joschka Fischer ist einer der Favoriten für diesen Posten. Fischer kämpft bereits um die Ausstattung seines vielleicht nächsten Postens:
Wir brauchen eine handlungsfähige Außen- und Sicherheitspolitik. Dafür sollten wir einen diplomatischen Dienst in der Verfassung verankern und die Bestimmungen zur qualifizierten Mehrheit ausweiten.
Fischer hat gute Chancen auf das Amt. Nicht zuletzt, weil die Kompetenzen des künftigen EU-Außenministers nur ziemlich vage definiert sind. Fischer gilt als durchsetzungsfähig und es gehört zur europäischen Personalpolitik, schwache Posten zu schaffen und sie mit starken Persönlichkeiten zu besetzen. Denn einerseits fürchten die Regierungen, zuviel Macht aus der Hand zu geben. Andererseits soll der neue Außenminister ja etwas erreichen. Weil ihnen der Mut für klare Entscheidungen fehlt, wollen die EU-Regierungen offenbar überrumpelt werden.
Gerade in der Frage der künftigen Aussenpolitik hat sich der Konvent ziemlich eng an das gehalten, was die Mehrheit der europäischen Staatskanzleien gerne möchte. Außen- und Sicherheitspolitik sind ein sensibles Feld, was sich schon daran zeigt, dass Deutschland und Frankreich ihre Außenminister persönlich als Regierungsvertreter in den Konvent geschickt haben. Das habe leider die visionären Kräfte des Konvents gedämpft, klagen einige. Das habe die Durchsetzbarkeit der Ergebnisse gestärkt, meint dagegen der spanische EU-Abgeordnete Inigo Mendez de Vigo:
Das veränderte die Situation zum Guten. Ich habe es immer vorgezogen, die Minister, die politische Verantwortlichen, im Konvent vertreten zu sehen, denn das bedeutet, dass wir am Ende zu einem Konsens kommen, und ich hoffe, dass sie auch in der Regierungskonferenz dabei bleiben werden. Deshalb halte ich es für eine exzellente Idee, dass die Außenminister dabei waren, es zeigt die Bedeutung des Konvents und dass das Vorgehen gut funktioniert. Wenn die Regierungskonferenz beginnt, werde ich die Minister daran erinnern, dass sie mit im Konvent gesessen haben und dass sie an dessen Verfassungsentwurf gebunden sind.
Nach der Sommerpause, im September, werden sich die 15 Regierungen der EU über den Verfassungsentwurf beugen. Im Dezember wollen sie ihn verabschieden. Die mittel- und osteuropäischen Länder, die im nächsten Jahr der EU beitreten werden, sie werden als Zuschauer eingeladen sein. Mitbestimmen dürfen sie noch nicht. Und das war auch so gedacht: Die Verfassung ist die letzte Chance der 15, die EU so umzubauen, dass sie auch mit 25 Mitgliedern noch handlungsfähig bleibt.
Zweimal, auf dem EU-Gipfel in Amsterdam 1997 und vor drei Jahren in Nizza, sind die Regierungen genau daran gescheitert. Einige wollten damals nicht über ihren Schatten springen. In Amsterdam war es vor allem die deutsche Regierung, in Nizza die französische. Diesmal scheint es allen ernst zu sein. Selbst die britische Regierung hat im Konvent heftig mitgestritten und damit den Eindruck erweckt, dass sie das Ergebnis ernst nimmt.
Doch die Unsicherheit bleibt, ob sich im Herbst nicht doch eine Regierung querstellt. Die spanische zum Beispiel, die mit der neuen Stimmengewichtung ihren überproportionalen Einfluss verliert. Zwar hat der Konvent im Gegenzug angeboten, die Neuverteilung der Stimmen mindestens bis 2009 aufzuschieben. Doch die spanische Regierung windet sich noch. Sie möchte ihren unverdienten Vorteil nicht aufgeben.
Der spanische Europaabgeordnete Mendez de Vigo, einer der Vordenker im Konvent, beschwört die Vorteile der Konvention für sein Heimatland:
Ich glaube, wenn wir die einzelnen Punkte des Verfassungsentwurfes entlanggehen, dann ist das eine sehr spanische Verfassung, wenn ich das mal so sagen darf. Und es ist auch deshalb eine spanische Verfassung, weil Spanien immer hinter der europäischen Integration gestanden hat. Was gut für Spanien ist, das ist in diesem Fall auch sehr gut für Europa.
Aber es kann teuer werden. Das letzte spanische Zugeständnis bei einer Regierungskonferenz kostete Brüssel 1,5 Milliarden Euro an zusätzlichen Strukturhilfen. Beim vorletzten Mal schlug Madrid sogar drei Milliarden heraus.
Anders liegt der Fall für die britische Regierung. Seit Wochen treibt die englische Boulevardpresse Premier Tony Blair vor sich her, weil seine Regierung im Konvent überhaupt mitarbeitet. Einige Zeitungen haben ihn schon der Unterwerfung Britanniens unter einen europäischen Superstaat beschuldigt. Doch nach aller Erfahrung ebbt britisches Trommelfeuer schnell ab, sobald das Dokument unterschrieben ist. Beschlossen ist beschlossen, das wird in Großbritannien rascher akzeptiert als anderswo.
Viel größer ist die Gefahr, dass alle 15 Regierungen ein bisschen am Entwurf der Verfassung herumdoktern wollen. Jedes Land hat bei dem einen oder anderen Punkt Bauchschmerzen. Berlin zum Beispiel bei der Asylpolitik. Denn bei Mehrheitsentscheidungen wäre es rein theoretisch zum Beispiel möglich, dass die anderen eine Regelung zum Familiennachzug beschließen, die künftige Flüchtlinge vorwiegend nach Deutschland schleust.
Doch eine Verfassung, warnt Konventsmitglied Klaus Hänsch, werde nur dann funktionieren, wenn die Regierungen ein Minimum an gegenseitigem Vertrauen aufbrächten. Anders seien die unterschiedlichen Interessen nicht unter einen Hut zu bringen.
Genau das hat der Konvent in den vergangenen 16 Monaten geleistet, meint der Österreicher Johannes Voggenhuber. Herausgekommen sei ein exakt austarierter Kompromiss.
Der Druck kam von den Bundesländern, die ihren Einfluss auf die deutsche Politik zunehmend von Brüsseler Entscheidungen bedroht sahen. Die Bundesländer drohten sogar, den Vertrag von Nizza im Bundesrat scheitern zu lassen. Auch die britische Regierung erwärmte sich rasch für den Plan, Brüssel auf diese Art in die Schranken zu weisen.
Die meisten EU-Regierungen aber waren wenig begeistert von der Idee, die EU-Kommission in ein enges Korsett zu schnüren. Zumal der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber als Wortführer der deutschen Bundesländer recht deutlich durchblicken ließ, worum es ihm tatsächlich ging: Weniger Strukturhilfen für die wirtschaftlich rückständigen Gegenden Europas und mehr Freiheit für die reichen Regionen, ihre Wirtschaft zu subventionieren.
Doch irgendwann entdeckten die Befürworter einer stärkeren europäischen Integration den Charme des Kompetenzkatalogs. Denn zufällig war auf dem EU-Gipfel in Nizza auch die Liste der europäischen Grundrechte abgesegnet worden, die ein Konvent unter Leitung des früheren Bundespräsidenten Roman Herzog aufgestellt hatte. Kompetenzkatalog und Grundrechte, das ergibt zusammen eine lupenreine Verfassung. Nichts könne die europäische Integration stärker verankern als eine Verfassung, meint der Salzburger Europaabgeordnete Johannes Voggenhuber:
Es ist ein gewaltiger Fortschritt, denn zum ersten Mal ist es nicht nur eine Vertragsrevision. Es ist ein Grundriss einer europäischen Republik, ein Grundriss einer europäischen Demokratie. Das ist eine historische Entwicklung jenseits des Nationalstaates im supranationalen Raum, in völlig neuen Verhältnissen eine Demokratie zu verwirklichen.
Eine europäische Revolution, sagen manche. Doch im Grunde hat die Revolution schon früher angefangen. Dass Abgeordnete wie Johannes Voggenhuber an einer europäischen Verfassung mitschreiben dürfen, wäre vor fünf Jahren undenkbar gewesen. Das hätten die Regierungen damals nie aus der Hand gegeben. Für Änderungen an den europäischen Grundlagenverträgen gibt es Regierungskonferenzen, in denen die Regierungschefs das Sagen haben.
Doch die letzten beiden Regierungskonferenzen, die zu den Verträgen von Amsterdam und Nizza führten, diese Regierungskonferenzen sind kläglich gescheitert. Die Probleme, die sie lösen sollten, waren anschließend größer als zuvor. In Amsterdam wischten die Kanzler und Premiers um fünf Uhr morgens entnervt alles vom Tisch, was in 15 Montaten zuvor von ihren Sherpas vorbereitet worden war. Und in Nizza wäre die EU nach viertägigem Streit fast auseinander gebrochen. Die Aufgabe, die Europäische Union fit zu machen für die Aufnahme von 10 neuen Mitgliedsländern wurde weder in Amsterdam noch in Nizza gelöst.
Der Konvent war also eine Notlösung. Rund hundert zusammen gewürfelte Delegierte aus den nationalen Parlamenten, aus dem Europaparlament, der EU-Kommission und aus den nationalen Regierungen sollten in 15 Monaten einen Verfassungsentwurf für Europa vorlegen. Eine Notlösung die sich bewährt hat, meint der Europaabgeordnete Elmar Brok:
Ich glaube, die Konventsmethodik ist die bessere Methodik. Ich habe ja zweifach(teilgenommen) fürs Parlament an Regierungskonferenzen, die de facto Diplomatenkonferenzen sind, wo man hinter verschlossenen Türen sich ja und nein sagt, und wo es nicht voran geht. Dies ist eine offene Veranstaltung, bei der Parlamentarier nach Lösungen suchen, nationale und europäische Parlamentarier. Der einzige konstruktionsfehler, den wir diesmal hatten, war, dass wir ein Präsidium hatten, das nicht vom konvent selbst gewählt war, sondern zu weiten Bereichen vom Europäischen Rat bestimmt war. Da liegt, glaube ich, die entscheidende Ursache dafür, dass wir nicht ganz so weit gekommen sind, wie wir uns das gewünscht hätten.
Der Europäische Rat, das sind die 15 Regierungschefs der Mitgliedsländer. Und es ist typisch für die Europäische Union, dass die nationalen Regierungen einerseits einen unabhängigen Konvent einberufen, ihn andererseits aber gleich wieder an die Leine nehmen. Zu groß ist die Angst, dass die Parlamentarier den Einfluss der Regierungen beschneiden könnten. Deshalb haben sie mit Valery Giscard d´Estaing, Jean-Luc Dehaene und Giuliano d´Amato gleich drei ehemalige Regierungschefs ins 13köpfige Präsidium gesetzt.
Dabei war von Beginn an klar, dass der Konvent nur einen Vorschlag für eine Verfassung machen kann. Die Entscheidung, ob und wie diese Verfassung in Kraft tritt, liegt ohnehin bei den Regierungen. Im Herbst sollen die Beratungen darüber beginnen, im Dezember soll die endgültige Fassung beschlossen werden. Einstimmig, und das bedeutet: Auch mit den Stimmen der euroskeptischen Briten, der machtbewußten Franzosen und der sperrigen Spanier. Alle im Konvent wussten, dass sie nicht zu ehrgeizig werden durften, wenn der Entwurf überhaupt eine Chance haben sollte.
Besonders deutlich wird dies bei der umstrittenen Figur des EU-Präsidenten. Eigentlich sollte der Konvent in erster Linie die Europäische Union transparenter und demokratischer machen. Das war der Auftrag: Denn in knapp 50 Jahren hat die EU nicht nur Vertrag an Vertrag gereiht. Die Dokumente widersprechen sich teilweise, sie schränken sich gegenseitig ein, und sind vor allem nicht mehr zu durchschauen. Der Konvent sollte dieses Gestrüpp lichten und in eine überschaubare Form bringen, mit anderen Worten: in eine Verfassung.
Doch bald setzte sich die Erkenntnis durch, dass es mit dem Aufräumen allein nicht getan ist. Wenn die EU nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch ein politische Rolle in der Welt spielen will, dann müssen die Mitglieder mehr Souveränität an Brüssel abgeben als bisher. Das hat sich auch in den europäischen Hauptstädten herumgesprochen. Der Konflikt mit den USA um die richtige Irakpolitik hat diese Einsicht vor allem bei den großen Ländern noch gefördert.
Doch genau die hatten plötzlich wieder Angst vor der eigenen Courage. Mehr Macht nach Brüssel, das hätte ja Europäische Kommission und Parlament stärken können. Deshalb tauchte auf einmal die Forderung nach einem hauptamtlichen EU-Präsidenten auf. Aus den Reihen der Regierungschefs sollte er sein, schlug Konventspräsident Valery Giscard d´Estaing vor.
Es ging uns darum, die halbjährliche Rotation der Ratspräsidentschaft zu stoppen. Das ist hiermit geschehen, das war die wesentliche Herausforderung. Wir haben immer gesagt, dass es um einen stabilen Ratsvorsitz geht. Es ging nie darum, die Art der Präsidentschaft zu verändern, sondern um Kontinuität.
Doch genau daran gab es erhebliche Zweifel. Denn der neue Chef, so wie ihn Paris und London wünschten und wie ihn Giscard vorgeschlagen hatte, wäre zwangsläufig zum Rivalen des Kommissionspräsidenten geworden. Eine Frage der Machtbalance, wie der österreichische Kanzler Wolfgang Schüssel betont.
Wir wollen eine starke Kommission, vor allem keine Doppelgleisigkeiten, und ein Präsident des Rates würde einfach die Gefahr einer zweiten Kommission, die allerdings dann intergouvernemental operiert, heraufbeschwören.
Kein anderes Thema hat den Konvent zwischenzeitlich so gespalten wie dieser neue Posten. Das ging so weit, dass 18 kleinere Länder, darunter fast alle mittel- und osteuropäischen Beitrittskandidaten, zum offenen Widerstand gegen einen möglichen Präsidenten aufriefen. Aus ihrer Sicht war dieser künftige EU-Präsident eine Erfindung der Großen, um die Kleinen Länder an den Rand zu drängen. Ganz falsch lagen sie damit nicht.
Denn für kleine Länder sind EU-Kommission und Parlament der natürliche Anwalt gegen die großen Nationalstaaten in Europa. Kommission und Parlament sind vor allem der europäischen Zusammenarbeit und dem Ausgleich verpflichtet. Ein EU-Präsident aber, der von den Regierungen ernannt wird, stünde wesentlich stärker unter dem Einfluss der großen und starken Länder. So war es kein Zufall, dass Paris und London am hartnäckigsten für diesen neuen Posten eintraten. Der Konvent habe den EU-Präsidenten zwar nicht verhindern können, meint Brok, aber doch entmachtet:
Das ist der natürliche Traum der Regierungschefs, sich hier zusammenzusetzen, die nationalen Parlamente sind fern, das Europäische Parlament hält man sich vom Leib. Aber das ist nicht gelungen, denn dieser Vorsitz des Europäischen Rates hat kein Weisungs- und Aufsichtsrecht, wie das ursprünglich vorgesehen war, sondern ist allein auf die Vorbereitung der Sitzungen des Europäischen Rates und deren Leitung konzentriert.
Es muss in den Hinterzimmern der Macht mehr Einsicht gegeben haben, als nach außen sichtbar wurde. Die europäische Machtbalance jedenfalls wurde nicht zugunsten der Regierungen verschoben. Im Gegenteil. Der Kommissionspräsident bekommt mehr Einfluss und auch das Europaparlament soll mehr Rechte erhalten, wie der frühere Parlamentspräsident Klaus Hänsch zufrieden feststellt:
Das Europäische Parlament wird direkten Einfluß auf die Auswahl wenigstens einer Führungsposition in der Europäischen Union haben, es wird nämlich – auf Vorschlag der Staats- und Regierungschefs – den Präsidenten der Europäischen Union wählen oder auch ablehnen können, dann muß der Rat einen neuen Vorschlag machen, bis das Europäische Parlament den vorgeschlagenen Kandidaten gewählt hat.
Die Wahl des EU-Kommissionspräsidenten durch das Parlament wird das Bild der Europäischen Union verändern. Denn plötzlich bekommen Europawahlen eine Bedeutung. Die Parteien können Wahlkampf machen für einen konservativen oder sozialdemokratischen, einen liberalen oder grünen Kommissionspräsidenten. Plötzlich geht es nicht mehr um irgendwelche Europaprogramme, die niemand kennt, die niemanden interessieren und die sich ohnehin kaum von einander unterscheiden. Auf einmal ist Politik im Spiel, die sich an Personen festmacht und damit um vieles klarer wird.
Das erstaunlichste Ergebnis des Konvents aber sind die neuen Abstimmungsregeln für den Ministerrat, in dem die Regierungen die wichtigsten Entscheidungen treffen. Fünf Tage lang hatte Frankreichs Präsident Jacques Chirac auf dem EU-Gipfel in Nizza ein undurchsichtiges System der Stimmengewichtung verteidigt, das Frankreich und Spanien den größtmöglichen Einfluss auf alle europäischen Entscheidungen sicherte. Fünf Tage lang hatten 13 Regierungschefs dagegen gekämpft, bis sie einer nach dem anderen vor Erschöpfung aufgaben.
Doch in diesen Wochen hat der Vertreter der französischen Regierung im Konvent stillschweigend die alte Position geräumt und einer einfachen Abstimmungsregel zugestimmt, die sogar Normalbürger verstehen: Eine Richtlinie oder Verordnung ist beschlossen, wenn die Hälfte der Regierungen zustimmen und diese Regierungen 60 Prozent der europäischen Bevölkerung repräsentieren. Dass Paris eingelenkt hat, liegt nach Meinung von Konventsmitglied Klaus Hänsch daran, dass :
... Frankreich erkannt hat, dass wir mit dem alten System, was ja im Grunde auch altes Denken ist, nicht weitermachen können. Dieses alte Denken besteht darin, zu glauben, dass alle Mitgliedsstaaten gleich sind. Aber sie sind nicht alle gleich, weil sie sowohl von ihrer wirtschaftlichen Stärke als auch von allen Dingen von ihrer Bevölkerungszahl her sehr unterschiedlich sind. Und diese Unterschiede müssen sich auch im Entscheidungsverfahren ausdrücken können. Wenn das nicht geschieht, wird die EU sehr schnell in eine Krise geraten, weil sich die größeren Mitgliedsstaaten übervorteilt fühlen durch die Masse der Kleineren.
Doch das letzte Wort über die Machtbalance ist noch nicht gesprochen. Denn der Konvent hat den abschließenden Teil seiner Arbeit noch gar nicht beendet. In der Steuerpolitik, in der Innenpolitik, in weiten Bereichen der Sozial- und Beschäftigungspolitik gilt noch immer das Prinzip der Einstimmigkeit von Beschlüssen. Bei künftig 25 Ländern würde das die EU regelmäßig lahmlegen. Ganz wird sich das Prinzip der Einstimmigkeit nicht beseitigen lassen. In der Steuerpolitik beispielswiese will kaum ein Land riskieren, überstimmt zu werden. Noch heikler ist die Verteidigungspolitik, bei der es im Ernstfall um Menschenleben geht.
Doch bis zu dieser Entscheidung, welche Bereiche in der EU künftig mit Mehrheit beschlossen werden sollen, ist der Konvent noch nicht gekommen. Präsident Valery Giscard d´Estaing will dieses Kapitel übernächste Woche nacharbeiten lassen.
Vor allem in der Außenpolitik ist es nicht unwichtig, welche Bereiche weiterhin einstimmig entschieden werden müssen. Davon hängt auch die Macht des künftigen EU-Außenministers ab. Der deutsche Außenamtschef Joschka Fischer ist einer der Favoriten für diesen Posten. Fischer kämpft bereits um die Ausstattung seines vielleicht nächsten Postens:
Wir brauchen eine handlungsfähige Außen- und Sicherheitspolitik. Dafür sollten wir einen diplomatischen Dienst in der Verfassung verankern und die Bestimmungen zur qualifizierten Mehrheit ausweiten.
Fischer hat gute Chancen auf das Amt. Nicht zuletzt, weil die Kompetenzen des künftigen EU-Außenministers nur ziemlich vage definiert sind. Fischer gilt als durchsetzungsfähig und es gehört zur europäischen Personalpolitik, schwache Posten zu schaffen und sie mit starken Persönlichkeiten zu besetzen. Denn einerseits fürchten die Regierungen, zuviel Macht aus der Hand zu geben. Andererseits soll der neue Außenminister ja etwas erreichen. Weil ihnen der Mut für klare Entscheidungen fehlt, wollen die EU-Regierungen offenbar überrumpelt werden.
Gerade in der Frage der künftigen Aussenpolitik hat sich der Konvent ziemlich eng an das gehalten, was die Mehrheit der europäischen Staatskanzleien gerne möchte. Außen- und Sicherheitspolitik sind ein sensibles Feld, was sich schon daran zeigt, dass Deutschland und Frankreich ihre Außenminister persönlich als Regierungsvertreter in den Konvent geschickt haben. Das habe leider die visionären Kräfte des Konvents gedämpft, klagen einige. Das habe die Durchsetzbarkeit der Ergebnisse gestärkt, meint dagegen der spanische EU-Abgeordnete Inigo Mendez de Vigo:
Das veränderte die Situation zum Guten. Ich habe es immer vorgezogen, die Minister, die politische Verantwortlichen, im Konvent vertreten zu sehen, denn das bedeutet, dass wir am Ende zu einem Konsens kommen, und ich hoffe, dass sie auch in der Regierungskonferenz dabei bleiben werden. Deshalb halte ich es für eine exzellente Idee, dass die Außenminister dabei waren, es zeigt die Bedeutung des Konvents und dass das Vorgehen gut funktioniert. Wenn die Regierungskonferenz beginnt, werde ich die Minister daran erinnern, dass sie mit im Konvent gesessen haben und dass sie an dessen Verfassungsentwurf gebunden sind.
Nach der Sommerpause, im September, werden sich die 15 Regierungen der EU über den Verfassungsentwurf beugen. Im Dezember wollen sie ihn verabschieden. Die mittel- und osteuropäischen Länder, die im nächsten Jahr der EU beitreten werden, sie werden als Zuschauer eingeladen sein. Mitbestimmen dürfen sie noch nicht. Und das war auch so gedacht: Die Verfassung ist die letzte Chance der 15, die EU so umzubauen, dass sie auch mit 25 Mitgliedern noch handlungsfähig bleibt.
Zweimal, auf dem EU-Gipfel in Amsterdam 1997 und vor drei Jahren in Nizza, sind die Regierungen genau daran gescheitert. Einige wollten damals nicht über ihren Schatten springen. In Amsterdam war es vor allem die deutsche Regierung, in Nizza die französische. Diesmal scheint es allen ernst zu sein. Selbst die britische Regierung hat im Konvent heftig mitgestritten und damit den Eindruck erweckt, dass sie das Ergebnis ernst nimmt.
Doch die Unsicherheit bleibt, ob sich im Herbst nicht doch eine Regierung querstellt. Die spanische zum Beispiel, die mit der neuen Stimmengewichtung ihren überproportionalen Einfluss verliert. Zwar hat der Konvent im Gegenzug angeboten, die Neuverteilung der Stimmen mindestens bis 2009 aufzuschieben. Doch die spanische Regierung windet sich noch. Sie möchte ihren unverdienten Vorteil nicht aufgeben.
Der spanische Europaabgeordnete Mendez de Vigo, einer der Vordenker im Konvent, beschwört die Vorteile der Konvention für sein Heimatland:
Ich glaube, wenn wir die einzelnen Punkte des Verfassungsentwurfes entlanggehen, dann ist das eine sehr spanische Verfassung, wenn ich das mal so sagen darf. Und es ist auch deshalb eine spanische Verfassung, weil Spanien immer hinter der europäischen Integration gestanden hat. Was gut für Spanien ist, das ist in diesem Fall auch sehr gut für Europa.
Aber es kann teuer werden. Das letzte spanische Zugeständnis bei einer Regierungskonferenz kostete Brüssel 1,5 Milliarden Euro an zusätzlichen Strukturhilfen. Beim vorletzten Mal schlug Madrid sogar drei Milliarden heraus.
Anders liegt der Fall für die britische Regierung. Seit Wochen treibt die englische Boulevardpresse Premier Tony Blair vor sich her, weil seine Regierung im Konvent überhaupt mitarbeitet. Einige Zeitungen haben ihn schon der Unterwerfung Britanniens unter einen europäischen Superstaat beschuldigt. Doch nach aller Erfahrung ebbt britisches Trommelfeuer schnell ab, sobald das Dokument unterschrieben ist. Beschlossen ist beschlossen, das wird in Großbritannien rascher akzeptiert als anderswo.
Viel größer ist die Gefahr, dass alle 15 Regierungen ein bisschen am Entwurf der Verfassung herumdoktern wollen. Jedes Land hat bei dem einen oder anderen Punkt Bauchschmerzen. Berlin zum Beispiel bei der Asylpolitik. Denn bei Mehrheitsentscheidungen wäre es rein theoretisch zum Beispiel möglich, dass die anderen eine Regelung zum Familiennachzug beschließen, die künftige Flüchtlinge vorwiegend nach Deutschland schleust.
Doch eine Verfassung, warnt Konventsmitglied Klaus Hänsch, werde nur dann funktionieren, wenn die Regierungen ein Minimum an gegenseitigem Vertrauen aufbrächten. Anders seien die unterschiedlichen Interessen nicht unter einen Hut zu bringen.
Genau das hat der Konvent in den vergangenen 16 Monaten geleistet, meint der Österreicher Johannes Voggenhuber. Herausgekommen sei ein exakt austarierter Kompromiss.