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Europäische Öffentlichkeit
"Kooperation ist das Gebot der Stunde"

Der europäische Journalismus ist über einzelne Projekte nie hinausgekommen: Noch immer berichten überwiegend nationale Medien für nationale Zielgruppen. Was für eine grenzüberschreitende Berichterstattung fehlt, diskutierten Medienschaffende aus drei EU-Ländern im Dlf unter der Gesprächsleitung von Bettina Schmieding.

Von Annika Schneider | 02.01.2019
    Der britische Premierminister David Cameron stellt sich 2015 bei einem EU-Gipfel den wartenden Journalisten.
    Journalisten aus ganz Europa berichten aus Brüssel - hier bei einem EU-Gipfel 2015. (picture alliance / dpa)
    In den Monaten vor der Europawahl widmen sich viele Redaktionen den großen EU-Themen: Brexit, Migration, Eurozone. Im Blick haben die Sender und Zeitungen vor allem ihr nationales Publikum. Nur wenige Angebote versuchen, europaweit Menschen zu erreichen, zum Beispiel die BBC oder die englischsprachige "Spiegel Online"-Ausgabe. Internationale Medien, die über Ländergrenzen hinweg berichten, sind hingegen rar.
    Eine europäische Öffentlichkeit sei durchaus vorhanden, sagte Thomas Mayer im Dlf. Er ist leitender Redakteur des österreichischen "Standard" in Brüssel. Die Möglichkeiten seien dank der digitalen Medien so groß wie nie zuvor. "Aber es gibt eine große Verwirrung: Es gibt ‚Fake News‘ genauso wie sehr präzise Informationen." Der Journalist glaubt aber nicht, dass ein europäisches Einzelmedium mit einer großen Redaktion das Problem lösen könne. Stattdessen seien Netzwerke zwischen Journalisten gefragt.
    "Journalisten müssen lernen, europäisch zu arbeiten"
    "Die europäischen Journalisten müssen lernen, europäisch zu arbeiten, über Grenzen hinweg", ergänzte der "Tagesspiegel"-Redakteur Harald Schumann, der das europäische Rechercheprojekt "Investigate Europe" mitgegründet hat: "Kooperation ist das Gebot der Stunde." Zum Teil werde man über China und die USA besser informiert als über die europäischen Nachbarländer, kritisierte er. Dabei würden europäische Themen von Tag zu Tag wichtiger.
    Es sei ein großes Problem, dass viele Journalisten vor allem der Betrachtung ihrer jeweiligen nationalen Regierung folgten und dabei vorrangig die nationalen Interessen berücksichtigten. Stattdessen sollten sie häufiger nach dem europäischen Gemeinwohl fragen. In der Berichterstattung über Konfliktthemen der EU sollte man immer auch Repräsentanten anderer Länder zu Wort kommen lassen, forderte Schumann, "damit wir in der Berichterstattung ein gesamteuropäisches Bild kriegen".
    Kritik an Brexit-Berichterstattung
    Dani Rovirosa, Brüssel-Korrespondent der spanischen Tageszeitung "La Vanguardia", berichtete von mangelndem Interesse der Bürger an EU-Themen, vor allem in Katalonien. Parallel zur Europawahl würden dort 2019 Regional-, Kommunal- und vielleicht sogar nationale Wahlen stattfinden. An EU-Themen seien viele Bürger deswegen nicht sehr interessiert, sagte Rovirosa.
    Einig waren sich die drei Journalisten darin, dass die britischen Medien zum Ergebnis des Brexit-Referendums mit ihrer Berichterstattung beigetragen hätten. Sie hätten dreiste Lügen deutlicher entlarven müssen, kritisierte Schumann. Das sei "völlig unverantwortlicher, ideologischer Journalismus" gewesen, sagte Mayer.
    Europaweite Tageszeitung scheiterte
    Die Idee eines europäischen Journalismus ist nicht neu. Ein früher Visionär auf diesem Gebiet war der britische Medienunternehmer Robert Maxwell. Er gründete 1990 "The European", angekündigt als "Europas erste nationale Zeitung". Das Blatt sollte ursprünglich täglich erscheinen. Diesen ehrgeizigen Plan musste der Medienmogul bald aufgeben. 1998 wurde die wöchentliche Publikation ganz eingestellt.
    Erfolgreicher war das europäische Fernsehprojekt ARTE. Der Kulturkanal mit Sitz in Straßburg sendet seit 1992 Filme, Serien, Dokumentationen und Kulturbeiträge. Gemäß Auftrag soll er "das Verständnis und die Annäherung der Völker in Europa" fördern.
    Das Kooperationsprojekt von ARD und ZDF mit dem französischen Fernsehen finanziert sich über die Rundfunkgebühren der beiden Länder. Zusätzlich arbeitet es mit Mediengesellschaften aus Belgien, der Schweiz, Polen, Österreich, Tschechien, Italien, Irland, Griechenland und Finnland zusammen. Nach Angaben des Senders können somit 70 Prozent der Europäer ARTE in ihrer Muttersprache sehen: Gesendet wird in sechs Sprachen.
    Kommission zahlt für EU-Berichte
    Ein ähnliches Konzept verfolgt der Nachrichtenkanal euronews, der 1993 auf Sendung ging. Das Unternehmen mit Sitz in Frankreich berichtet in zwölf Sprachen über aktuelle Themen, auch für Zuschauer außerhalb der Europäischen Union. An euronews sind zahlreiche internationale Mediengesellschaften beteiligt, darunter der US-Konzern NBC. Mehrheitseigner ist seit 2015 ein ägyptischer Milliardär. Für die Berichterstattung über EU-Themen bekommt das Medienunternehmen außerdem Geld von der Europäischen Kommission.
    Auch der Axel-Springer-Konzern investiert in europäischen Journalismus. 2015 brachte er gemeinsam mit einem US-amerikanischen Kooperationspartner das Internetportal "Politico" auf den Markt – ein Ableger des gleichnamigen Angebots in den USA. Das in Brüssel ansässige Politikmagazin richtet sich vor allem an EU-Mitarbeiter, Konzerne und Verbände im EU-Umfeld. Zur Finanzierung tragen kostenpflichtige Abos bei, die Organisationen für ihre Mitarbeiter abschließen können.
    Recherche über Grenzen hinweg
    Ein ganz anderer Ansatz steckt hinter "Investigate Europe". In dem internationalen Medienprojekt haben sich 2016 neun europäische Journalisten zusammengeschlossen, um gemeinsam EU-Themen zu recherchieren. Finanziert wird das Angebot über Spenden und Stiftungsgelder. Über die Ergebnisse berichten sie allerdings nicht auf einer europaweiten Plattform, sondern in nationalen Medien.
    In sozialen Netzwerken hingegen ist die Berichterstattung von Natur aus grenzüberschreitend. Dass sie einen Beitrag zu einer europaweiten Öffentlichkeit leisten können, zeigt die 2016 ins Leben gerufene Initiative "Pulse of Europe". Damals vernetzten sich Bürger in ganz Europa, um gemeinsam für die EU und demokratische Werte zu demonstrieren.