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Europäische Union
Agrarpolitik soll reformiert werden

60 Milliarden Euro fließen jährlich in Europas Landwirtschaft. Das ist fast die Hälfte des EU-Haushalts. Ein Großteil der Subventionen sind sogenannte Direktzahlungen. Doch das kritisiert der Naturschutzbund Deutschland: Die Fördermittel würden oft die Falschen erreichen.

Von Peter Kapern | 29.11.2017
    Der Landkreis Mecklenburgische Seenplatte
    Nach einer Totalrevision der EU-Agrarpolitik sieht es derzeit nicht aus (Deutschlandradio / Silke Hasselmann)
    Schon erstaunlich. Seit Jahrzehnten mischt Albert Deß, der CSU-Abgeordnete, in der europäischen Agrarpolitik mit. Erst im Bundestag, jetzt im Europaparlament. Als fundamentalistischer Gegner der Agrarsubventionen ist er in all den Jahren nicht aufgefallen. Und trotzdem kommt er zu einem demoralisierenden Urteil über die EU-Agrarpolitik:
    "Also wenn ich ganz ehrlich bin, und ich bin seit über 40 Jahren in der Agrarpolitik und seit 50 Jahren Landwirt, dann gibt´s nur eins: Die ganze EU-Agrarpolitik abschaffen und neu anfangen!"
    Rund 60 Milliarden Euro pro Jahr gibt die EU für die Landwirtschaft aus, so viel, wie für keinen anderen Politikbereich. Etwa 40 Prozent ihres derzeitigen Budgets. Aber die Zahlen, beharrt Albert Deß, die täuschen, weil Agrarsubventionen ausschließlich aus dem EU-Haushalt kommen.
    "Jetzt Moment einmal! Wenn alles so wie die Agrarpolitik über Brüssel abgerechnet würde, die Verteidigungsausgaben, die Bildungsausgaben, die Sozialausgaben, dann wäre der Anteil der Landwirtschaft am Haushalt ein Prozent. Und ein Prozent öffentliche Mittel für einen Berufsstand ausgeben, der jeden Tag eine halbe Milliarde Menschen mit Nahrungsmitteln versorgt, ist ein verschwindend geringer Anteil."
    Nicht die richtigen Anreize für die Bauern
    Also: Nicht die Subventionspolitik ärgert den CSU-Agrarpolitiker, sondern deren Umsetzung. Zu kompliziert, zu viel Bürokratie - und zuweilen der schiere Unsinn:
    "Mein Sohn wollte ein Ackerrandstreifenprogramm machen mit Blühstreifen, was eigentlich sehr umweltfreundlich gewesen wäre. Die Auflage war aber, dass man über diesen Blühstreifen nicht mit dem Traktor fahren darf. Wir konnten es nicht umsetzen, es war nicht praxisgerecht, ich muss mit dem Traktor über den Blühstreifen fahren, weil anders komme ich in den Acker nicht rein."
    Albert Deß übt also Kritik im Detail. Trees Robijns aber bübt Fundamentalkritik. Die Belgierin arbeitet für den Naturschutzbund Deutschland. Die Umweltorganisation hat kürzlich eine Studie veröffentlicht, die kein einziges gutes Haar an der EU-Agrarpolitik mit ihren zwei Säulen lässt. Die erste Säule, das ist der Geldtopf, aus dem Bauern pauschal Subventionen für jeden Hektar Land erhalten.
    "Die Direktzahlungen, die werden so wie mit einer Gießkanne über den ganzen europäischen Flächen verteilt, und wir sehen, dass die Bauern, die es am schwierigsten haben wirtschaftlich gesehen, nicht genug von den Zahlungen bekommen", sagt Trees Robijns. 80 Prozent aller Direktzahlungen landen bei nur 20 Prozent der Betriebe. So werden industrielle Großbetriebe gemästet, und nicht der kleine bäuerliche Betrieb gestützt. So der eine Vorwurf der Naturschützer. Der zweite richtet sich gegen die zweite Säule der EU-Agrarpolitik. Das ist der Geldtopf, mit dem der Umweltschutz und die wirtschaftliche Entwicklung der ländlichen Gebiete gefördert werden. Es gibt nicht die richtigen Anreize für die Bauern, mehr für die Umwelt zu tun.
    Wenn heute EU-Agrarkommissar Phil Hogan erste Ideen für eine Agrarreform vorlegt, dann wird er Trees Robijns Forderungen nach einer Totalrevision der EU-Agrarpolitik nicht erfüllen. Nur moderate Änderungen soll es in den kommenden Jahren geben. Erst nach 2020 soll es dann echte Reformen geben. Denn der Brexit reißt ein milliardengroßes Loch in den EU-Haushalt. Und die Forderungen mehren sich, dann vor allem bei der Agrarpolitik zu sparen.