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Europäischer Mediengipfel
Gemeinsam gegen Populismus?

Seit zwölf Jahren treffen sich Auslandskorrespondenten einmal im Jahr in Österreich zu einem Mediengipfel. Diesmal diskutierten sie darüber, was Europas Medien gemeinsam gegen Populismus tun können. Doch länderübergreifende Zusammenarbeit ist gar nicht so einfach - und von einigen auch gar nicht erwünscht.

Von Susanne Lettenbauer | 04.12.2018
    Viktor Orban (l.) und Matteo Salvini
    Was Rechtspopulisten wie Viktor Orban und Matteo Salvini gemeinsam haben, recherchiert eine länderübergreifende Journalistenkooperation. (AP)
    Etwas resigniert klingt es schon. Dass Kooperationen zwischen Journalisten funktionieren können, das zeigen der Rechercheverbund von NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung. Oder das gemeinnützige Recherchezentrum Correctiv. Was im deutschsprachigen Raum erfolgreich ist, sollte doch europaweit möglich sein, ist Heribert Prantl, Chefkommentator der Süddeutschen Zeitung, überzeugt. Doch man stehe erst am Anfang, bedauert er:
    "Ich glaube schon, dass der Journalismus noch zu wenig europäisch ist. Ich bin ja jemand, der leidenschaftlich für Europa wirbt. Man tut es immer im nationalen Kontext. Aber ich denke, dass die Erfahrungen der italienischen Kollegen mit Extremisten, die Erfahrungen von ungarischen Kollegen mit Extremisten, die Erfahrungen der polnischen Kollegen, wie Pressefreiheit eingeengt und eingeschnürt wird, dass diese Erfahrungen unglaublich wichtig wären, auch für die politische Auseinandersetzung in Deutschland."
    Austausch über Ländergrenzen hinweg
    Wo bleiben die europäischen Mediengipfel, der Austausch der Politikredaktionen über Ländergrenzen hinweg? Die Meinungen changieren zwischen zwei Polen, die vor allem linksliberale und konservative Medien trennen:
    Auf der einen Seite Florian Klenk, Chefredakteur der österreichischen Wochenzeitschrift Falter, einst in den 70er Jahren als linksliberales Spontiblatt gegründet, Auflage: 40 000. Seiner Erfahrung nach, sei der Weg zu einer europäischen Öffentlichkeit gar nicht so schwer, sagt der 45-Jährige. Sein Haus habe einfach bei Kollegen in Ungarn, Frankreich, Italien angerufen, seitdem publiziert der Falter mehrere transnationale Berichte zu Populismus:
    "Wir haben Recherchekooperationen gemacht mit ungarischen, polnischen, italienischen, deutschen und französischen Kollegen, und bringen jetzt jeden Monat ein europäisches Thema über die Politik der Rechten."
    Wie genau inszenieren Rechtspopulisten ihre Medienauftritte? Was unterscheidet den Auftritt eines Viktor Orban von dem eines Matteo Salvini? Und was verbindet sie? Recherchiert in sechs Ländern. So beginne ein europäisches Bewusstsein, ist Klenk überzeugt.
    Zusammenarbeit nur als "mentale Unterstützung"
    "Also wir versuchen in diesem Netzwerk, jeder recherchiert in seinem Land, was die Rechtsdemagogen in deren Land gerade vorhaben und das verknüpfen wir. Und diese Netzwerke funktionieren auch dann, wenn sie 'kalt' sind, weil man die Kollegen kennen lernt - wir tauschen uns aus."
    Aktuell steht der Umgang der Populisten mit Antifeminismus im Fokus des Falter. In Kürze erscheint ein einordnender Überblick über die Sozialpolitik der Rechten in Europa.
    Man sei auf einem guten Weg, ist auch Andreas Pfeifer überzeugt, Aktuellchef des ORF Fernsehens in Wien und ehemaliger Italien-Korrespondent. Bei dem Begriff "europäische Öffentlichkeit" sei er aber vorsichtig. Die Zusammenarbeit geschehe - in Maßen - als mentale Unterstützung für unter Druck geratene Kolleginnen und Kollegen, ob in Warschau, Mailand, Rom oder Budapest.
    "Der Dialog muss geführt werden und vielleicht muss man da und dort auch Journalisten dazu ermuntern, das zu tun, was sie gern tun möchten. Deshalb laden wir ungarische Journalisten nach Wien ein, damit sie ihre Meinungen frei äußern und auch mitteilen können, und das ist für uns dann ein großer Erkenntnisgewinn."
    "Bild" gegen transnationale Kooperationen
    Eine Kooperation darüber hinaus würde er hingegen nicht befürworten, so Pfeifer. Journalismus bedeute Meinungsvielfalt. Ein gemeinsames Vorgehen gegen Populismus entspräche seiner Meinung nach nicht dem Neutralitätsgebot:
    "Journalismus besteht ja auch in der Pluralität der Perspektiven. Wir dürfen auch nicht in der Wahrnehmung dessen, was wir für populistisch oder provokant empfinden einen zu strengen Konsens suchen, denn sonst sind wir selbst Partei."
    Strickt gegen transnationale Kooperationen spricht sich Julian Reichelt aus, Nachfolger von "Bild"-Chef Kai Diekmann in der obersten Etage des Springer-Verlags. Das Argument des Chefredakteurs der europaweit größten Tageszeitung: Wie soll ein europäisches Bewusstsein, eine europäische Öffentlichkeit entstehen, wenn bereits einzelne Redaktionen eines Hauses nicht kooperieren?