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Europäischer Wanderzirkus

Tonnenweise Akten müssen jeden Monat zwischen Straßburg und Brüssel hin und her transportiert werden. 100 Millionen Euro kostet das die EU jedes Jahr - nur weil sich das Parlament zwei Standorte leistet. Einige Parlamentarier haben jetzt genug davon und sammeln Stimmen für einen endgültigen Umzug nach Brüssel. Christian Schütte berichtet.

    Gut ein Dutzend Europa-Parlamentarier auf dem Weg zum Gebäude der Brüsseler Kommission. Jeder Abgeordnete trägt einen Stapel Papier, darauf die Namen von insgesamt einer Million EU-Bürgern. Sie alle haben sich an einer Internet-Aktion beteiligt und sich gegen die Pendelei des Parlaments zwischen Straßburg und Brüssel ausgesprochen. Diese Liste überbringen die Abgeordneten nun der Kommission.

    Bündel für Bündel legen sie die Ausdrucke auf einen Haufen. Ein Vertreter der Kommunikations-Kommissarin Margot Wallström nimmt sie entgegen. Freude bei den Parlamentariern, dass sie innerhalb von vier Monaten so viel Zustimmung bekommen haben. Alexander Alvaro von den Liberalen hat die Kampagne mit initiiert, er erklärt, warum er gegen Straßburg ist:

    "Es ist einfach nicht mehr erklärbar, dass man an einem Relikt festhält, ohne zu sehen, dass sich die Zeiten geändert haben. Wir müssen schneller sein, flexibler sein, wir müssen vernünftiger arbeiten können. Und das ging vielleicht in einem kleinen Club mit sechs Staaten, vielleicht auch noch mit 15, aber mit 25 ist das einfach nicht mehr praktikabel."

    Die Frage, ob das Parlament dauerhaft nach Brüssel geht, habe jetzt, mit den Stimmen der Bürger, eine neue Dringlichkeitsstufe erreicht, meint der Sozialdemokrat Jo Leinen:

    "Das Thema Wanderzirkus Europa-Parlament von Straßburg nach Brüssel und wieder zurück ist ein Dauerbrenner. Das gelöst werden muss, darüber sind sich auch die meisten im klaren. Und diese Million und mehr Menschen, die das jetzt schon verlangen, schaffen politischen Druck."

    Ob dieser Druck tatsächlich etwas bewirkt, ist allerdings ungewiss. Zwar hat Kommissarin Wallström die Kampagne bis vor kurzem noch begrüßt. 200 Millionen Euro koste das Hin- und Her jedes Jahr, Straßburg sei zu einem negativen Symbol geworden für Geldverschwendung, Bürokratie und den Irrsinn der Brüsseler Institutionen. Doch in den letzten Tagen reagierte Wallström eher zurückhaltend. Vielleicht auch, weil sie weiß, dass die Kommission gar nicht zuständig ist, wie Sprecher Johannes Laitenberger betonte:

    "Selbstverständlich darf Kommissarin Wallström eine persönliche Meinung vertreten, das hat sie getan, man muss das dann aber trennen von der institionellen Rolle der Kommission. Wir haben eine Gewaltenteilung, und die Sitzfrage ist kein Thema, zu dem die Kommission als Institution einen Kommentar abgehen muss und das sollte sie auch nicht."

    Der eigentliche Sitz des Parlaments ist Straßburg, so steht es in den EU-Verträgen. Ändern kann das weder die Kommission noch das Parlament, sondern nur der Ministerrat. Dazu bräuchte es einen einstimmigen Beschluss, und der werde kaum zustande kommen. Der Parlaments-Vize-Präsident Ingo Friedrich glaubt,

    "dass die Franzosen fast unter keinen Umständen ein Nein zu Straßburg sagen werden. Aber ohne ein Nein der Franzosen bleibt Straßburg Sitz des europäischen Parlaments, so dass die Wahrscheinlichkeit, dass wir, auch wenn eine Million Unterschriften gesammelt worden sind, in Straßburg bleiben, sehr groß ist."

    Auch wenn zahlreiche Parlamentarier die Petition unterstützen - aus den eigenen Reihen kommt auch Kritik. Bernd Posselt von der CSU nennt die Aktion einen europapolitischen Knieschuss. Man tue so, als gebe es bereits ein europäisches Bürgerbegehren. Dieses sollte aber erst mit der neuen, unter anderem in Frankreich gescheiterten Verfassung eingeführt werden. Ein Ja der Franzosen zur Verfassung erreiche man aber nicht, indem man geplante Neuerungen vorwegnehme, um eine anti-französische Kampagne zu starten, so Posselts Kritik.

    Wie es nun weitergeht, nachdem die Unterschriften bei der Kommission eingetroffen sind, wissen die Akteure selbst noch nicht. Vorerst wird der Wanderzirkus EU-Parlament auf Tour bleiben. Nächste Woche steht wieder Straßburg auf dem Spielplan.