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Europäisches Raumfahrt-Casting

Raumfahrt. - Ihr Start ist für die dritte Dekade des 21. Jahrhunderts vorgesehen, doch schon jetzt müssen die Weichen für Europas Großvorhaben im All gestellt werden. Die Raumfahrtagentur Esa lud gestern zur Finalrunde des großen Schaulaufens der Weltraumprojekte. Der Wissenschaftsjournalist Dirk Lorenzen berichtet im Gespräch mit Jochen Steiner.

04.02.2011
    Steiner: Herr Lorenzen, es gab hier ein langwieriges Auswahlverfahren. Nun sind drei Projekte in der Endrunde. Das klingt so ein bisschen nach wissenschaftlicher Castingshow?

    Lorenzen: Herr Steiner, das hat auch schon ganz klar etwas vom Schaulaufen. Diese drei Projekte durften sich da jeweils gut anderthalb Stunden lang präsentieren, in einem Vortrag, dann gab es anschließend eine Diskussion, bei der es dann auch zum Teil ganz kräftig zur Sache ging. Aber anders als bei Casting Shows: Es wurde nicht sofort jemand raus gewählt, hysterisch kreischen Fans gab es auch nicht.

    Steiner: Bevor wir gleich zu den Projekten selbst kommen, wer sitzt denn in dieser Jury?

    Lorenzen: Das waren fast 400 Experten, die der gestern zugehört haben, aus Europa und aus Übersee. Praktisch alle, die irgendwie von Rang und Namen sind in der Weltraumforschung. Die Jury selber ist das wissenschaftliche Planungskomitee der Esa, und das soll eben etwa im Juni eine Empfehlung abgegeben, welches Projekt weiterverfolgt werden.

    Steiner: Welche Projekte stehen denn da zur Auswahl?

    Lorenzen: Von diesen vielen Dutzend Vorschlägen hat man praktisch drei vorsortiert, bei denen es eben schon ausgiebige Studien gibt. Da ist zum einen LaPlace, eine Mission zum Jupitermond Ganymed. Dieser Mond hat vermutlich eine flüssige Schicht unter seiner Eisoberfläche, und die Forscher wollen jetzt dort klären, ob dort vielleicht sogar Leben vorkommt, und wollen insgesamt Jupiter und seinen Monden so als Sonnensystem en miniature untersuchen und hoffen dann eben, diese Erkenntnisse übertragen zu können auf Sonnensysteme bei fernen Sternen. Der zweite Kandidat war dann Ixo, ein großes Teleskop, das im Weltraum dann im Röntgenbereich hinaus gucken soll. Damit hätten die Astronomen dann das heiße, sehr energiereiche Universum im Blick. Und die Forscher könnten damit zum Beispiel die Strahlung unmittelbar aus der Nähe schwarzer Löcher beobachten, oder die Entwicklung von Galaxien verfolgen und erkunden, wie die materiellen Kosmos so großräumig verteilt ist. Und der dritte Kandidat war dann Lisa. Das ist eine ganze Konstellation von drei kleinen Satelliten, die dann im Weltraum Gravitationswellen messen. Und nach der Theorie entstehen diese Wellen im Kosmos immer dann, wenn wirklich große, kompakte Massen im Spiel sind. Damit könnte man noch schwarze Löcher im ganz fernen Universum genau vermessen, etwas über die Entstehung des Kosmos lernen oder sogar die stärksten Explosion im All verfolgen. Lisa würde den Astronomen buchstäblich ein ganz neues Fenster ins Universum öffnen.

    Steiner: Aber mal ehrlich, Planetensonde, Röntgenteleskop und Gravitationswellendetektor. Sind das denn wirklich die ganz großen Visionen?

    Lorenzen: Man will Missionen aufstellen, die eben wirklich etwas Neues liefern, aber sie sollen auch realisierbar sein. Aus den Visionen dürfen eben keine Luftschlösser werden. Das ist sehr wichtig der Esa. Deswegen hat man auch im Vorfeld schon all diese Projekte von einem externen Team auf die technischen Hürden und Kosten prüfen lassen. Da ist die Esa durchaus gebranntes Kind. Bei der Auswahl einer Merkurmission vor einigen Jahren hat man sich auf viel zu optimistische Schätzungen der beteiligten Wissenschaftler und Firmen verlassen. Und heute ist das Ding viel teurer und leistet wissenschaftlich gar nicht mehr so viel wie damals geplant. Intern gilt das wohl als Desaster, das will man unbedingt vermeiden. Deswegen hat man jetzt schon diese Punkte ganz genau angesehen. Da zeigte sich schon: Die Jupitersonde droht wohl zu schwer zu werden. Beim Röntgen Teleskop gibt es Zweifel, ob diese doch sehr anspruchsvolle Technologie doch wirklich schon einsatzreif ist. Und auch Lisa hat große Probleme, denn da gibt es bereits eine Pfadfindermission, die ist auch schon bezahlt und in Bau, da möchte man vor diesem ganz großen Projekt die Technik im All einmal ganz genau ausprobieren. Aber genau diese Pfadfindermission ist gerade um mehr als zwei Jahre mindestens bis 2014 verschoben worden. Da klappt eben auch nicht alles. Also, Selbstläufer sind alle diese drei Projekte nicht. Das können sie in der Raumfahrt aber auch nicht sein, wenn man wirklich etwas Neues machen will.

    Steiner: Um was für Kostendimension handelt es sich denn bei den Missionen, und wann könnten denn diese Mission starten?

    Lorenzen: Bei diesen großen Missionen, wie die Esa sie nennt, ist der Finanzrahmen so etwa 700 Millionen Euro. Den haben alle drei Projekte auch so halbwegs getroffen. Der Start wäre dann im Idealfall irgendwann 2020/2022.

    Steiner: Und ist die Esa da alleine an diesem Projekt beteiligt, oder gibt es da auch Kooperationen mit anderen Organisationen?

    Lorenzen: Es ist ganz klar auf internationaler Zusammenarbeit. Bei der Planetensonde und bei den Gravitationswellen, da ist die Nasa mit im Boot. Beim Röntgenteleskop ist es nicht nur die Nasa, sondern auch die japanische Raumfahrt Agentur Jaxa. Gestern haben sich hier auch japanische und amerikanische Vertreter geäußert und haben ihre Sicht der Dinge dann dargelegt.

    Steiner: Und abschließend Ihr Tipp, wer macht nun das Rennen?

    Lorenzen: Da sind Vorhersagen immer schwierig, aber wenn ich mich so ein bisschen daran erinnere, wie ich mich gestern um gehört habe, also, bei der Jupitermission war das ein bisschen die Stimmung, dass man sich fragt: Braucht man die wirklich, weil es da wirklich schon eine oder sogar zwei andere Jupitermissionen vorher gibt. Andererseits sind die Planetenforscher in Europa traditionell sehr stark, haben auch sehr viel Einfluss. Beim Röntgen-Teleskop ist es vermutlich so, dass man aus technischen Gründen doch lieber noch ein paar Jahre wartet, allerdings wird auch Lisa nicht ganz einfach. Doch wenn so ein Gravitationswellenobservatorium wirklich funktionieren würde, dann wäre das etwas ganz Neues. Also das wäre mein Favorit für die kosmischen Visionen.