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Europakolumne: Wahlfälschung mal anders

In einem russischen Zeitungsinterview ließ Weißrusslands Präsident Alexander Lukaschenko vor wenigen Tagen wissen, er habe das Ergebnis der letzten Präsidentschaftswahl im Jahre 2006 gefälscht. Allerdings nicht etwa nach oben, sondern nach unten.

Von Burkhard Müller-Ullrich | 31.08.2009
    Dass die meisten Wahlen auf der Welt nicht ganz mit rechten Dingen zugehen, ist bekannt. Mehr als ein Drittel der 192 UNO-Mitgliedsstaaten sind gar keine Demokratien. Und der Rest handhabt den fundamentalen Akt jeder Demokratie, nämlich die freie, gleiche und geheime Wahl, recht unterschiedlich. In Deutschland zum Beispiel gehen viele Menschen gar nicht hin, und unliebsame Kleinparteien werden mit formalen Haarspaltereien im Vorfeld aus dem Rennen geboxt. In den USA hat man sich mit Lochkartenautomaten und Wahlcomputern blamiert. Und im Iran wird man für Zweifel am Wahlergebnis einfach eingesperrt.

    Bloß in Weißrussland, einer der übelsten Ecken Europas, was Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten betrifft, hat sich der amtierende und nach selbstgebastelter Verfassungsänderung immer weiter amtierende Präsident Lukaschenko unerwartet tiefe Gedanken über das demokratische Wahlverfahren gemacht. Er schreckt zwar vor keiner Fälschung des Ergebnisses zurück, sein Geheimdienstchef bedrohte vor drei Jahren Protestierende sogar ganz offen mit dem Tod, aber Lukaschenko fälscht im Sinne der Glaubwürdigkeit.

    Eigentlich zielen Fälschungen grundsätzlich auf Glaubwürdigkeit, denn zum Wesen der Fälschung gehört es, dass sie als solche verborgen bleiben soll. Eine Fälschung, die jeder durchschaut, ist keine mehr, jedenfalls keine gelungene. Dann bleibt nur, ein gefälschtes Wahlergebnis mit Gewalt durchzusetzen, ohne Rücksicht auf den Anschein von demokratischer Zustimmung.

    Wo dieser Anschein nun beginnt und wo er aufhört, ist eine Frage des Fingerspitzengefühls. Hier hat der weißrussische Präsident gewissermaßen politikwissenschaftliche Pionierarbeit geleistet, indem er mit der Lukaschenkoschen Glaubwürdigkeitskonstante an die Öffentlichkeit getreten ist. Sie liegt bei 90 Prozent. Das sei die psychologische Grenze, sagt er; ein Wahlergebnis, das darüber liege, werde nicht geglaubt. Deshalb ließ Lukaschenko sein eigenes angebliches 93-Prozent-Resultat um zehn Prozentpunkte herabsetzen, per Anordnung.

    Es ist diese Anordnung, die im Nachhinein zeigt, warum der Mann von angeblich 93 Prozent seiner Landsleute gewählt wurde: Er achtet ihre Intelligenz und schont so ihre Selbstachtung. Er überfordert sie nicht mit einem über 90, womöglich sogar über 100 Prozent liegenden Stimmanteil. Und er liefert damit ein Paradebeispiel für Nietzsches Theorie, dass die Lüge der Wahrheit immer überlegen ist, weil sie sich als viel subtiler und komplizierter erweist. Wer lügt, muss die Wahrheit schon kennen und ständig mitbedenken. Es gibt nichts Langweiligeres als eine Sache, die einfach bloß stimmt.