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Europas erfolgreichster Klimawächter

Umwelt. - Seit Frühjahr 2002 ist "Envisat" im Einsatz, der größte jemals gebaute Umweltsatellit. Die Bilanz des über zwei Milliarden Euro teuren und acht Tonnen schweren Kolosses ist beeindruckend, wie jetzt Esa-Wissenschaftler in Montreux resümierten.

Von Volker Mrasek | 23.04.2007
    Die neuen, hoch entwickelten Instrumente von Envisat erlauben Beobachtungen in allen Bereichen der Geowissenschaften. Der einzige Satellit, der dies kann.

    Auszüge aus einem Demo-Band der Europäischen Raumfahrtagentur Esa, dem Betreiber von Envisat:

    ... damit kommt ihm eine einzigartige Rolle bei der Erdbeobachtung zu. Mehr als 900 Forschungsprojekte nutzen Envisat derzeit, jeden Monat steigt diese Zahl um 20 bis 30 an.

    Einen solchen Satelliten hat nicht einmal die US-Raumfahrtbehörde Nasa in ihrem Repertoire:

    "Envisat ist sicher eine außerordentlich erfolgreiche Mission. Die Instrumente an Bord liefern zum Teil einzigartige Daten. Insofern kann man durchaus von einem Popstar der Wissenschaft sprechen."

    John Burrows gehört zur großen Gemeinde der Envisat-Nutzer. Der Brite ist Professor für Atmosphärenphysik an der Universität Bremen und wissenschaftlicher Betreuer von Sciamachy, einem der zehn Instrumente auf dem ESA-Satelliten. Es ist ein Spektrometer, das den Gehalt wichtiger Spurengase in der Atmosphäre sehr genau bestimmen kann. Seit fünf Jahren ist Envisat jetzt im All - ohne dass größere Probleme aufgetreten sind. Als einer der Hauptvortragenden in Montreux schilderte Burrows jetzt einige bemerkenswerte Ergebnisse des europäischen Projektes:

    "Wir können sehen, wie rasch die Luftverschmutzung in China zunimmt. Unsere Beobachtungen zeigen, dass die Emissionen unterschätzt worden sind. Tatsächlich stößt China viel größere Schadstoffmengen aus als man gedacht hat. Wir konnten auch zeigen, dass Luftschadstoffe weltweit verfrachtet werden: Emissionen aus Asien gelangen bis in die USA, die aus den USA bis nach Europa, und die europäischen zum Teil nach Asien, aber auch in die Arktis."

    Die Sensoren an Bord von Envisat messen die Oberflächentemperatur der Meere. Sie erfassen tektonische Bewegungen auf den Kontinenten und bestimmen sogar die Masse der polaren Eisschilde. Das alles aus 800 Kilometern Höhe. Der jüngste Coup der Satelliten-Mission: Burrows Arbeitsgruppe legte eine Weltkarte der wichtigsten Treibhausgas-Quellen vor:

    "Es ist das erste Mal, dass die Emissionen der Treibhausgase Kohlendioxid und Methan über Land so umfassend dargestellt werden können. Das ist sehr wichtig. Wir verfügen nunmehr über eine Technologie, mit der man die Einhaltung des Kyoto-Klimaschutzprotokolls überwachen kann. Dafür ist es wichtig, die natürlichen und die künstlichen Quellen der Treibhausgase genau zu erfassen."

    Viele der beteiligten Wissenschaftler sehen darin den Hauptnutzen von Envisat: Der Satellit eignet sich bestens als Klima-Monitor im All. Es gibt da allerdings ein Problem: Die Vertragsstaaten des Kyoto-Protokolls haben bis zum Jahr 2012 Zeit, um ihren Kohlendioxid- und Methan-Ausstoß zu vermindern. Erst dann kommt es das erste Mal zum großen Kassensturz. Envisat aber wird das nicht mehr erleben. Seine Mission sollte eigentlich schon in diesem Jahr enden. Im günstigsten Fall kann sie vielleicht noch bis 2010 verlängert werden. Mehr sei wohl nicht drin, sagt Henri Laur, der zuständige Projektmanager der Esa. Es gebe aber schon feste Pläne für eine Ersatzlösung im All:

    "Es wird Nachfolger für Envisat geben. Nicht einen, sondern mehrere Satelliten, die die Instrumente untereinander aufteilen. Diese Baureihe heißt Sentinel, und die Satelliten sollen 2011 oder 2012 starten."

    Auch da besteht allerdings ein Problem: Noch ist nicht sicher, ob wirklich wie geplant fünf Sentinel-Satelliten gebaut werden. Und ob am Ende einer von ihnen Methan und Kohlendioxid messen kann als heute Envisat. Diese Entscheidung steht noch aus. Und damit auch die Antwort auf die Frage, ob es überhaupt einen vollwertigen Ersatz für Europas Klimawächter geben wird.