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Europas neue Region der Mitte

Seit 2003 bemühen sich Tschechien, die Slowakei, Ungarn und Österreich unter dem Namen "Centrope" eine "Europa Region Mitte" zu etablieren. Vier Länder, die einst zum Vielvölkerstaat der kaiserlich und königlichen Doppelmonarchie Österreich-Ungarns gehörten. Und zwischen denen am 21. Dezember die Schengen-Grenze fällt. Ein gemeinsamer Wirtschafts- und Kulturraum ist das Eine, doch wie nimmt man die Menschen mit, die diesen Raum ausmachen? Alexander Musik hat an einer Centrope-Konferenz in Bratislava teilgenommen.

    Da sollen ein älterer - Österreich - und drei neuere EU-Staaten - Ungarn, Tschechien und die Slowakei - gemeinsam Politik machen, um langfristig die Lebensverhältnisse in der "Europa Region Mitte" anzugleichen. Man hat den Zentralismus der k.u.k.-Doppelmonarchie durchlebt und die jahrzehntelange Trennung durch den Eisernen Vorhang überwunden. Kein Wunder, dass Empfindlichkeiten übrig geblieben sind, so dass die Centrope-Verhandlungen manchmal etwas zäh verlaufen.

    Eugen Antalovsky, Geschäftsführer des Europaforums in Wien, der die Centrope-Aktivitäten koordiniert, spricht über diese Mentalitätshürden:

    "Die gibt es tatsächlich, und wir haben in den letzten vier Jahren oft damit zu kämpfen gehabt. Das Zweite ist, dass natürlich durch die unterschiedlichen Entwicklungsstufen, die jedes der Länder hat - wobei Österreich am entwickeltsten in vielen Bereichen ist und gleichzeitig auch das Land war, das das Projekt vorangetrieben hat - natürlich Ressentiments entstanden sind: Na ja, die geben uns wieder mal vor, wo's langzugehen hat."

    Nicht schon wieder möchte man sich von Wien sagen lassen, wie Effizienz funktioniert, jetzt, wo doch alle Partner gleichberechtigt sind.

    "Centrope" ist ein Raum mit sieben Millionen Einwohnern. Man versteht sich als Peripherie, die ins Zentrum drängt. Mit dem Wirtschaftsschwerpunkt Life Science, Automobilzulieferung, Tourismus. Es herrscht hohe Jugendarbeitslosigkeit und Facharbeitermangel. Centrope, das ist keine Region mit überdurchschnittlicher Kaufkraft, aber mit überproportionalem Wachstum. Und einem Absatzmarkt, der bis tief nach Russland reicht.
    Wie aber entsteht Synergie?, fragten sich die Konferenz-Teilnehmer. Antwort: durch Infrastrukturmaßnahmen. Das war denn auch der Begriff, den die Gäste aus Politik und Wirtschaft - allesamt Herren - am häufigsten in den Mund nahmen.

    Doch mit Autobahnbau ist es nicht getan; es braucht auch sprachliche Verständigung, immerhin werden in den vier Ländern vier Sprachen gesprochen. Jiri Skrla, Chef der Messe im tschechischen Brünn, appelliert an seine Landsleute, die Sprache des Nachbarn zu lernen:

    "In Mähren sollte man einfach, durch Geschichte und Historie bedingt, Deutsch lernen. Und Österreicher müssen sich auch etwas bewegen und Tschechisch lernen! Es gibt immer wieder bei einem Volk gute Sachen, die man implementieren muss, die Liebe zur Ordnung, System, das bewundern wir an Österreich, ich selbst beispielsweise, und das muss auch in unsere Mentalität integriert werden."

    Der Messechef gibt unumwunden zu: Centrope ist ein Konstrukt, das in Tschechien kaum einer kennt. Ganz anders sieht es offenbar im ungarischen Györ aus, das zu Kaisers Zeiten einmal Raab hieß. Vize-Bürgermeister Rudolf Ottófi ist davon überzeugt, dass Centrope direkt an eine große Vergangenheit anknüpft.

    "Die Leute wissen, was Centrope ist. Wir sprechen ziemlich viel darüber. Es ist wichtig, weil es eine gute Kooperationsmöglichkeit zwischen den Teilnehmerstaaten ist und ein bisschen vielleicht ein Nachfolger der alten österreichisch-ungarischen Monarchie, nur ein kleinerer Teil."

    Ottófi wünscht sich, dass der Tourismus in seiner Region angekurbelt wird und die Universität Partner zur Gründung eines internationalen Innovations- und Forschungszentrums findet. Der Schwung und die Effizienz, mit der Österreich zu Werke gehe, gehen auf eine historische Chance zurück, sagt Ottófi: Die Russen sind aus Österreich eben schon 1955 abgezogen - nicht erst beim Fall des Eisernen Vorhangs.

    Dennoch: Der österreichische Centrope-Manager Antalovsky hat noch eine große Sorge: die ungenügende Datenlage in Ungarn, Tschechien und der Slowakei. Ein Investor wolle genau wissen, was ihn erwartet. Als Erfolg wird deshalb die Fertigstellung des "Geschäfts- und Arbeitsmarktbericht" für die Centrope-Region gewertet.

    Darüber hinaus wurden - aus EU-Mitteln - schön anzusehende, gemeinschaftsfördernde Broschüren gedruckt: eine Straßenkarte, ein Wein- und Architekturführer, Zeitungsbeilagen.

    Die nächste große Hoffnung ist der Abbau der Schengengrenze am 21. Dezember. Konstantin Bekos, österreichischer Handelsdelegierter für die Slowakei, schwärmt von einer neuen Heimat namens Centrope.
    "Da kommt jetzt noch ein weiterer Impetus vor allem für das kleine Gewerbe aus wirtschaftlicher Sicht. Für die an der Grenze Wohnenden, die bisher gesagt haben, nein, da wollen wir nicht herüber fahren, das ist noch zu schwierig, das ist Ausland. Das wird mehr und mehr zu einem erweiterten Heimat-Begriff. Das ist das Schöne dabei."