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Europas Vorreiter

Der spanische Untersuchungsrichter Baltasar Garzón hat Ermittlungen wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen im US-Gefangenenlager Guantánamo und anderen Gefängnissen eingeleitet. Garzón ermittelt ausdrücklich auch gegen die Verantwortlichen, die dort Folter angeordnet haben, also auch Mitglieder der Regierung Bush.

Von Hans-Günter Kellner |
    Die Auswirkungen lassen sich gar nicht absehen: Die Ermittlungen des spanischen Untersuchungsrichters Baltasar Garzón wegen des Gefangenenlagers Guantanamo betreffen Ex-US-Außenministerin Condoleezza Rice, Ex-US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und viele weitere hochrangige Mitglieder der ehemaligen Regierung von George Bush. Guilia Tamayo vom Madrider Büro von Amnesty International über die Ermittlungen:

    "Es wurde misshandelt in Guantanamo und anderen Gefängnissen, Leute sind verschwunden. Hohe Beamte könnten betroffen sein. Aber hier wurden keine US-amerikanischen Gesetze verletzt sondern international gültige Gesetze zur Menschlichkeit verletzt. Wenn die USA das nicht verhandeln, erfüllen sie ihre internationalen Verpflichtungen nicht. Spanien erfüllt sie, indem es diese Verbrechen verhandelt."

    Schon Mitte der 90er-Jahre hatte Baltasar Garzón mit seinen Ermittlungen gegen den ehemaligen chilenischen Diktator Augusto Pinochet für Aufmerksamkeit gesorgt. Der couragierte Strafrechtler meinte, die internationalen Abkommen und die Nürnberger Gesetze verpflichteten Spanien, bei schweren Verbrechen gegen die Menschlichkeit selbst dann zu ermitteln, wenn die Verbrechen nicht in Spanien begangen wurden und weder Täter noch Opfer Spanier sind. Dieser Auffassung folgte schließlich sogar das spanische Verfassungsgericht. Guilia Tamaoy von Amnesty erklärt:

    "Spanien ist im Augenblick das Land, das diese Vorgaben am weitestgehend erfüllt. Das Internationale Recht ist sehr präzise. Es geht hier um Völkermord, Kriegsverbrechen, Folter, das Verschwindenlassen von Menschen. Dies sind die wichtigsten. Jedes Land hat nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, in diesen Fällen zu ermitteln. Viele Staaten erfüllen diese Verpflichtung derzeit nicht."

    Denn in den meisten Ländern müssen zumindest eigene Staatsbürger betroffen sein, um Ermittlungen einleiten zu können. Die spanische Regierung hatte vor wenigen Tagen angedeutet, auch sie könne die Kompetenzen der Justiz beschneiden. Denn längst gehen ihr die vielen Ermittlungen gegen andere Staaten am Nationalen Gerichtshof viel zu weit und führen zu diplomatischen Problemen. So hatte zuletzt der Israel in Madrid wegen Ermittlungen wegen eines Bombardements im Gaza-Streifen protestiert. Die Amnesty-Rechtsexpertin fasst die wichtigsten Fälle zusammen:

    "Da sind die Ermittlungen gegen Marokko wegen möglicher Verbrechen in der Westsahara. Den Fall Atenco in Mexiko, wo die Polizei verhaftete Frauen systematisch vergewaltigt haben soll. Wir haben Israel wegen des Bombardements von Gaza 2002 und China wegen Tibet wegen Verhaftungen in den 90er-Jahren und kurz den Olympischen Spielen vom letzten Jahr. Insgesamt sind es 14 Fälle. Das sind doch nicht zu viele."

    Ob Mitglieder der Vorgängerregierung der USA wirklich einmal in Madrid vor dem Richter stehen, mag die Juristin nicht einschätzen. Allerdings habe auch niemand die Ermittlungen gegen lateinamerikanische Militärs ernst genommen, sagt sie. Doch am Ende gab es ein Urteil: Der argentinische Offizier Adolfo Sclingo wurde vor zwei Jahren wegen Folterungen in 250 Fällen zu tausend Jahren Haft verurteilt. Nach der spanischen Rechtssprechung bedeutet das 30 Jahre Gefängnis.

    Auch am Verschwinden der Eltern der Argentinierin Susana García war Scilingo beteiligt. Der Prozess habe auch in ihrer Heimat weitreichende Auswirkungen gehabt, erzählt sie:

    "Diese langjährigen Ermittlungen haben ermöglicht, dass in Argentinien die Schlussstrichgesetze aufgehoben worden sind. Auch in Chile kann endlich gegen die Militärs ermittelt werden. Jetzt werden auch dort die Leute angeklagt."

    Doch während Spanien bei der Verfolgung von Folterungen im Ausland ein gutes Beispiel gebe, würden Misshandlungen und Folter durch die spanische Polizei kaum verfolgt, kritisiert Amnesty. So erschwere zum Beispiel die fünftägige Isolationshaft für Terrorverdächtige die Aufklärung solcher Vorwürfe erheblich, sagt Guilia Tamayo von Amnesty:

    " Wir sind in dieser Frage in den letzten Jahren überhaupt nicht weitergekommen. Es wird bei Foltervorwürfen überhaupt nicht ernsthaft ermittelt. Die Verhafteten sind praktisch schutzlos. Da werden ein paar Formalien erledigt und fertig. Nach vielen Jahren ist Spanien jetzt bereit, in den Haftanstalten Kameras zu installieren. Aber erst, nachdem die Richter das angeordnet haben. Es war keine Initiative der Regierung. Spanien muss in diesem Bereich noch sehr viel nachholen. Wirklich sehr viel."