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Europaspiele
"Ein verbrecherisches Regime"

Am 12. Juni beginnen im aserbaidschanischen Baku die ersten Europaspiele. Die Auswahl des Gastgebers wird von Menschenrechtlern kritisiert, Menschenrechtsorganisationen prangerten die Maßnahmen gegen Aktivisten und Journalisten in Aserbaidschan an.

Von Robert Kempe | 07.06.2015
    Die Flagge von Aserbaidschan.
    Die Flagge von Aserbaidschan. (picture-alliance / dpa / RIA Nowosti)
    Die ersten Europa-Spiele. In Baku, Aserbaidschan. Einem der undemokratischsten Länder der Welt, in dem Meinungs- und Pressefreiheit systematisch unterdrückt werden.
    An der Spitze des Landes steht Ilham Alijew, der sein Reich gern als modernen europäischen Staat präsentiert. Mit Erfolg: 2014 durfte Aserbaidschan den Vorsitz im Europarat übernehmen – einer Organisation, die eigentlich dem Schutz der Menschenrechte verpflichtet ist. Unterstützt wird man dabei von Lobby-Firmen und willfährigen Politikern – auch in Deutschland, beschreibt Gerald Knaus von der Europäischen Stabilitätsinitiative das Vorgehen des Regimes.
    "Wir haben es hier mit einem verbrecherischen Regime zu tun. Mit einem Regime, das Wahlen fälscht, das die Ressourcen das Landes ausbeutet, das Kritiker verhaftet, das die Redefreiheit und Versammlungsfreiheit verunmöglicht. Und dieses Regime verwendet den Reichtum des Landes, um sich Freundschaften zu kaufen."
    Proteste niedergeschlagen
    Aserbaidschan, zuletzt beim Eurovision Song Contest 2012 im Fokus. Damals gab es viele Proteste von Menschenrechtsaktivisten, die Alijew brutal niederschlagen ließ. Die Europa-Spiele hat das Regime nun rigoros vorbereitet, sagt Emin Milli. Der Regimekritiker saß in Aserbaidschan im Gefängnis und musste fliehen. Aus Berlin betreibt er die Webseite Meydan.tv – eine Alternative zu den aserbaidschanischen Staatsmedien.
    "Es gibt über 100 politische Gefangene in Aserbaidschan. Einige davon sind führende Menschenrechts-Verteidiger, die dafür bestraft worden sind, dass sie mit internationalen Medien gesprochen haben. Sie sind alle inhaftiert worden, rechtzeitig vor den Europa-Spielen."
    Eine von Ihnen: Leyla Yunus. Historikerin. International renommierte Bürgerrechtlerin. Dem Regime schon lange ein Dorn im Auge – auch weil sie sich für Aussöhnung mit dem Nachbarn Armenien einsetzt. Yunus wurde am 30. Juli 2014 verhaftet. Genau drei Tage, nachdem sie einen Brief an Patrick Hickey abgeschickt hatte. Hickey ist ein Multifunktionär im Weltsport. Sitzt im Vorstand des Internationalen Olympischen Komitees, ist Chef des Europäischen Olympischen Komitees, der Vereinigung aller nationalen Olympia-Komitees in Europa. Der Veranstalter der Europa-Spiele in Baku. Yunus schrieb an Hickey:
    Die Spiele in Baku seien ein Missbrauch der Olympischen Idee. Es werde Proteste geben gegen das Sportfest in Aserbaidschan, das bedeckt sei von Blut und Tränen.
    Zur Verhaftung von Leyla Yunus und anderen Häftlingen hat sich Patrick Hickey niemals öffentlich geäußert. Auch auf Anfrage nicht. Es ist ein Freibrief des Sports für Alijew. Wenzel Michalski von der Organisation Human Rights Watch beobachtet seit geraumer Zeit, dass die Verfolgung von Dissidenten im direkten Zusammenhang mit den Spielen steht. Der Sport müsse sich für deren Freilassung einsetzen.
    "Weil die Veranstalter durch ihre Veranstaltung mitverantwortlich sind für die Situation. Das hätten sie sich vorher überlegen müssen: Eigentlich hätten sie ihr Sportfest niemals in so einem Land stattfinden lassen sollen."
    Schweigen in Europa
    Der europäische Sport schweigt zu den Häftlingen. Und in Baku ist was zu holen. Alijews Familie besitzt dutzende Firmen. Der Clan, genannt: die Corleones vom Kaspischen Meer. Öl und Erdgas schmieren sein Imperium und auch die Europa-Spiele. Alijew spendiert für seine Spiele allen Teams Reise und Unterkunft. Kosten-Schätzungen fürs Sportfest schwanken zwischen drei und sieben Milliarden Euro.
    Und die Spiele bei den Kleptokraten bringen auch dem Sport etwas. Allein knapp sechs Millionen verteilt das Europäische Olympische Komitee an die Teilnehmerländer. Was man insgesamt von Aljew bekommt, daraus macht man ein Geheimnis. Es sind geheime Deals unter Sportfreunden: Ilham Alijew gehört als Präsident des aserbaidschanischen NOK schließlich zur Olympischen Familie. Die Europa-Spiele seien Beispiel für eine tiefe moralische Krise, meint Gerald Knaus.
    "Was wir hier sehen ist, dass unsere Bekenntnisse zu Menschenrechten sehr viel oberflächlicher, sehr viel weniger ernsthaft ist als das noch vor wenigen Jahren möglich schien. Aserbaidschan hält uns einen Spiegel vor: Es zeigt uns, wie wenig ernst wir es wirklich meinen mit diesen Werten. Es zeigt uns, wie leicht es ist, Europäer, Sportorganisationen, Politiker zu Komplizen zu machen."
    Leyla Yunus bemühte sich auch um die Adresse des DOSB. Der stellt in Baku eines der größten Teams. Der DOSB betonte in letzter Zeit immer wieder seine Treffen mit Menschenrechtsorganisationen. Der Vorstandsvorsitzende Michael Vesper behauptet, sich beim Regime in Aserbaidschan kritisch geäußert zu haben. Wie und wann, erklärte er bisher nicht. Auch mit Human Rights Watch traf sich der Sportbund. Wenzel Michalski fordert nun endlich ein klares Handeln.
    "Wir erwarten, dass die Damen und Herren des DOSB, wenn sie nach Baku fahren, die politischen Gefangenen besuchen und öffentlich für deren Freilassung eintreten. Hinter verschlossenen Türen und im Privaten, das sind solche Geschichten, damit können wir uns nicht abspeisen lassen. Hand und Fuß bekommt Kritik erst, wenn sie in der Öffentlichkeit geäußert wird. Denn nur dann entsteht dadurch ein Druck auf Regierungen, auf die Verantwortlichen für Menschenrechtsverletzungen, das sein zu lassen, um die Situation zu verbessern."