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Europawahl in Großbritannien
Grün ist die Hoffnung

Bei der Europawahl dürften heute in Großbritannien Außenseiter das Rennen machen: Die europafeindliche UKIP könnte stärkste Kraft werden. Und auch die Grünen hoffen auf starke Zuwächse. Dabei sind sie in der britischen Politik eine rare Spezies.

Von Jochen Spengler | 22.05.2014
    Das Dutzend Lokalaktivisten wirkt ein wenig verloren ohne seinen grünen Wahlkampfbus. Doch der original Routemaster aus dem Jahr '68 mit den Plakaten und Flugblättern hat vor Southampton schlapp gemacht. Am Biodiesel lag es angeblich nicht. Nun warten grüne Wahlkämpfer wie Lindsey hinterm Bahnhof nur noch auf ihren Spitzenkandidaten. Nein, sagt die agile Endfünfzigerin; eigentlich kenne sie Keith Taylor nicht: "Nicht persönlich, ich habe ihn ein- oder zweimal beim Wahlkampf getroffen. Aber ich bin überzeugt von jedem, den die Grünen auswählen. Das ist ein sehr offener Prozess. Und sie werden bemerken, dass grüne Parlamentarier nicht in Finanz-Skandale verwickelt sind."
    Das ist allerdings kein Kunststück, denn grüne Parlamentarier sind in Großbritannien eine rare Spezies. Wegen des Mehrheitswahlrechts gibt es im britischen Unterhaus bloß eine einsame Grüne und ins Europaparlament hat die Partei auch nur zwei schicken dürfen. Einer davon ist Keith Taylor: "Ich bin leidenschaftlich bei allem, aber vor allem Tierschutz ist mir sehr wichtig. Ich bin gegen Lebendtiertransporte, gegen das Keulen der Dachse hier und gegen Tierversuche für Kosmetika. Ich engagiere mich im Europaparlament aber auch gegen das Schiefergas-Fracking – das interessiert mich besonders."
    Während Europaabgeordnete der Anti-EU-Partei UKIP nur bei 60 Prozent der Parlamentsabstimmungen überhaupt anwesend waren, gilt für Keith das Gegenteil. Der 60-jährige Großvater von drei Enkeln kommt auf eine Quote von über 90 Prozent. "Ich kreuze auf. Die einzigen Abstimmungen habe ich verpasst, als ich krank war im Dezember. Menschen zu repräsentieren, das muss man anständig machen. Ich halte das für eine sehr ernste Verantwortung."
    Eine ältere Version von Freddy Schenk
    Äußerlich erinnert Keith an eine ältere und schwerere Version des Kölner Tatort-Kommissars Freddy Schenk. Ein kecker Strohhut verdeckt die grauen Stoppelhaare; er trägt ein weißes offenes Hemd über einem zu großen schwarzen Jackett - am Revers die knallgrüne Parteirosette. Keith kam als Nachrücker ins Europa-Parlament und will seinen Sitz verteidigen - schlecht stehen die Chancen nicht, erzählt er. "Heute gab es eine Umfrage, die hat den Grünen zehn Prozent bescheinigt, das ist mehr als die sieben Prozent für die Liberalen. Wir hoffen, die dritte Partei zu werden."
    Nach UKIP und den Konservativen - aber vor der Labour-Party, die es bei den 8,6 Millionen Wahlberechtigten im gutsituierten Südostengland schwer hat. Die Grünen können voraussichtlich nur hier und in London punkten.
    Helfer Daniel nimmt einen Packen Flugblätter, gibt Keith auch einen und meint, er solle bestimmen, wo es lang gehe, man werde dann schon folgen. Das alles wirkt sympathisch unprofessionell.
    Die grünen Faltblätter gehen nicht gerade weg wie warme Semmeln. Sie versprechen, dass eine Stimme für die Grünen eine Stimme fürs Allgemeinwohl sei und zeigen ein Foto von Keith Taylor, den man wieder ins Europaparlament wählen solle. Niemand der Passanten erkennt den Kandidaten.
    "Do you know this man? No, no, no."
    Zwei Männer stehen in einer Fußgängerzone und unterhalten sich.
    Der Europa-Abgeordnete der britischen Grünen, Keith Taylor, im Wahlkampf-Gespräch mit einem Hot-Dog-Verkäufer (Jochen Spengler/Deutschlandradio)
    Doch Keith kennt keine Berührungsängste. Wegen seines schlimmen Knies bewegt er sich langsam wie ein schwerer Bär in Zeitlupe auf die potentiellen Wähler zu und weckt die Neugierde von Ian; der ist christlich beseelt und verkauft nicht nur Hot-Dogs, sondern bietet seinen Kunden auch heilende Gespräche und sorgt für gute Stimmung mit lauter Erweckungsmusik. "Ich weiß nicht viel über die Grüne Partei außer dass sie umweltfreundlich ist." Keith entgegnet: "Wir sind auch menschenfreundlich, so wie ich. Ich bin Mitglied des Europaparlament."
    Und dann bittet Ian, der fröhliche Christ, den Politiker darum, bürokratische Auflagen für fahrende Händler wie ihn zu verhindern. Keith antwortet noch, dass dafür eigentlich die Gemeinde zuständig ist und nicht Europa, aber Ian ist schon wieder hinter seinem Hot-Dog-Stand verschwunden, nicht ohne das Versprechen, für den Kandidaten zu beten, vielleicht hilft's ja.