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Europawahl
Kampf um Erstwähler in Niedersachsen

Bei den letzten Wahlen zum Europäischen Parlament 2014 blieb ein großer Teil der Erst- und Jungwähler zuhause. Damit das bei den anstehenden Wahlen am Sonntag nicht wieder passiert, wirbt in Niedersachsen ein breites gesellschaftliches Bündnis für die EU und ihre Verdienste. Dabei ist die Jugend gar nicht gleichgültig gegenüber Europa.

Von Alexander Budde | 24.05.2019
Tobias von Gostomski (l.) mit Mitstreitern
Tobias von Gostomski (l.) mit Mitstreitern (Alexander Budde)
Soll noch mal einer lästern, für die EU würden sich keine Gefühle regen! Das Bündnis "Niedersachsen für Europa" setzt auf Emotion pur. Prominente wie Musikproduzent Mousse T. und Bloggerin Ninia LaGrande werben für die Europäische Union und ihre Verdienste:
"Dass sich die EU für den Urheberschutz einsetzt, das ist natürlich für uns Künstler besonders wichtig."
"Hunderte von Millionen Menschen unter einem Dach – das nenne ich mal einen echten Bestseller!"
Auch ESC-Sternchen Carlotta Truman fordert mehr Leidenschaft im Einsatz für die europäische Idee, denn….
"…am Ende macht doch der richtige Ton die Musik!"
Das Problem: Gepredigt wird den Gläubigen – und viele der immer gleichen Besucher von Filmreihen, Konzerten, Podiumsdiskussionen und Lesungen rund ums Thema Europa sind inzwischen in die Jahre gekommen.
Vorteile der EU für viele selbstverständlich
Bei den letzten Wahlen zum Europäischen Parlament 2014 gaben europaweit nur 30 Prozent der 16 bis 29-Jährigen ihre Stimme ab. Zu befürchten ist, dass beim Urnengang am Sonntag Ähnliches passieren kann. Niedersachsens Europaministerin Birgit Honé vermutet, viele junge Leute hätten schlicht aus dem Blick verloren, welche Vorteile die EU ihnen bringt.
"Die offenen Grenzen, damit sind die aufgewachsen. Dass es jetzt europaweit die Roaming- und Telefongebühren gibt, das ist für sie schön, das ist aber was, worüber man sich keine Gedanken macht. Man muss es wieder auf diese emotionale Ebene bringen: Das sind alles Errungenschaften, die die Europäische Union geschaffen hat und die bei Dir unmittelbar ganz direkt ankommen und die Wirkung haben auf dein Leben."
"Die Menschen wollen Lösungen"
Tobias von Gostomski begrüßt, dass die Kampagne pro Europa auf die Sozialen Medien und so genannte Influencer setzt. Er ist Landesvorsitzender der Jungen Europäischen Föderalisten, die sich für ein weltoffenes, bürgernahes und demokratisches Europa einsetzen. Seine Eltern stammen aus Polen und leben in Deutschland. Ein offenes Europa ermöglichte ihm ein Erasmus-Studium in Dänemark. Der 25-Jährige sitzt mit Mitstreitern in einem Seminarraum der Universität Göttingen. Laptops surren auf dem Tisch.
"Durch diese Aktion versuchen wir auch Menschen zu erreichen, die nicht so super viel mit Europa zu tun haben. Deswegen haben wir uns gedacht, dass wir so Bilder posten."
Über soziale Medien Freunde für Europa zu begeistern, und hoffen, dass diese dann wieder andere dazu anregen, wählen zu gehen, das ist ihr strategischer Ansatz nach dem Schneeballprinzip. So sieht man auf einem der Fotos Tobias von Gostomski, wie er sich lässig in der Göttinger Theaterstraße an eine Hauswand lehnt. Die Sanierung des Quartiers wurde mit Mitteln aus dem Europäischen Regionalfond ermöglicht.
"Erst durch europäische Mittel konnte dieser Innenstadt-Bereich revitalisiert und erneuert werden. Und seitdem das passiert ist, ist es auf jeden Fall sehr einladend, dort zu flanieren."
Der angehende Jurist weiß von den großen und kleinen Errungenschaften der EU – doch Tobias von Gostomski ist es leid, diese immerzu in abgedroschen Phrasen zu beschwören.
"Ich störe mich auch so ein bisschen daran, dass viele führende Politikerinnen und Politiker diese Wahl als Schicksalswahl hochjazzen, weil ich glaube, das ist nicht förderlich für die europäische Demokratie. Denn ich glaube, dass die Menschen Lösungen präsentiert bekommen möchten, wie es sinnvoll auf der heutigen Grundlage vorangehen kann – und man nicht in den Antagonismus zurückfällt in mehr oder weniger Europa."
Nur pro Euopa sein, ist jungen Aktivisten wie Tobias von Gostomski zu wenig: Sie fordern ein nachhaltiges Engagement über den Wahltag hinaus, die Beteiligung an überfälligen Reformdebatten.
Freitagsdemonstrationen beweisen Interesse für Politik
Unpolitisch ist die "Generation Erasmus" mitnichten: Auch an diesem Freitag mobilisiert die Initiative "Fridays for Future" zur Kundgebung auf dem Opernplatz in Hannover. Europaweit demonstrieren junge Menschen nach dem Vorbild der Schwedin Greta Thunberg für mehr Klimaschutz statt in die Schule zu gehen. Zugleich trauen immer weniger Jugendliche dem Politpersonal in Brüssel noch zu, sich wirklich für die großen Zukunftsfragen einzusetzen. Statt blumiger Sonntagsreden seien beherzte Taten gefragt, damit die EU nicht zur lahmen Krücke verkommt, sagt die Mit-Organisatorin der "Fridays for Future"-Kundgebung, Amelie Bindert.
"Wer nicht wählt, der kann nichts verändern – und wir können nicht noch länger nachdenken da drüber, was vielleicht helfen würde, den Klimawandel zu stoppen. Wir müssen jetzt was tun, damit diese Erde nicht zerstört wird!"
Der Aktionstag sei ein Aufruf derjenigen, die noch nicht wählen dürfen, an diejenigen die stimmberechtigt sind, die demokratischen Kräfte zu stärken und den Klimaschutz zum europäischen Thema zu machen.