Spengler: Osteuropas Mafia ist schon da?
Storbeck: Das ist richtig. Oder auch umgekehrt: Unsere Kriminalität ist schon in Osteuropa. Wir haben schon seit Längerem einen gemeinsamen Aktionsraum für organisierte Kriminalität. Man nennt das einen gemeinsamen kriminalbiographischen Raum. Die kriminellen Organisationen aus dem Baltikum, aus Polen, sind natürlich schon länger in Skandinavien tätig, sind auch schon in Spanien und umgekehrt. Ich möchte das noch einmal betonen: Unsere Kriminalität beeinflusst natürlich jetzt auch die Kriminalitätslage in Polen, in Ungarn, in der Tschechischen Republik. Unsere Kriminellen haben dort gut investiert. Trotzdem sehe ich darin keinen großen Anstieg. Ich erwarte auch keinen weiteren großen Anstieg.
Spengler: Mehr Bewegungsraum für die Kriminellen. Wie viele sind das eigentlich? Hat man da einen Überblick?
Storbeck: Wir haben natürlich Zahlen, aber diese statistischen Zahlen nutzen nicht sehr viel. Für uns ist es wichtig, zu sagen, dass die neuen Beitrittsstaaten nicht mehr, wie vielleicht vor einigen Jahren, Herkunftsgebiet für Kriminalität sind, sondern es sind Transitgebiete für kriminelle Dienstleistungen und auch für kriminelle Menschen, wie das natürlich auch für die EU gilt. Deutschland, die Niederlande und Spanien sind Transitstaaten für Kokain aus Südamerika zum Beispiel.
Spengler: Um jetzt mal ein Beispiel zu nehmen: Der Kampf gegen den Terrorismus, damit ist Europol ja auch zum Teil betraut, wird der durch die Erweiterung nun leichter oder er schwerer?
Storbeck: Ich glaube, er wird leichter. Erst mal müssen wir klar sehen, dass die Beitrittsstaaten nicht typische Staaten sind, in denen sich internationaler Terrorismus angesiedelt hätte. Aber wir können, wenn Reiserouten von Terroristen jetzt über diese Gebiete geführt werden, mit diesen Staaten besser zusammenarbeiten, sie besser in den Kampf gegen internationalen Terrorismus und internationale Kriminalität eingliedern.
Spengler: Dass heißt, Sie, Europol, tauschen jetzt schon Daten mit diesen Staaten aus? Die sind, sozusagen, schon bei Ihnen Mitglied?
Storbeck: De facto sind seit zwei Jahren fast alle Beitrittskandidaten schon mit eigenen Büros bei Europol vertreten. Sie haben nur eingeschränkte Einsichtsrechte in unsere Dateien. Aber ein Großteil, ich würde sagen 25 Prozent unserer gesamten Ermittlungsprojekte, aber auch grenzüberschreitende Arbeiten bei Grenzüberwachung bei so genannten kontrollierten Lieferungen, laufen schon mit diesen neuen Staaten.
Spengler: Vielleicht sollten Sie uns auch noch mal kurz erläutern, was Europol eigentlich genau macht. Man stellt es sich ja ein bisschen so vor, wie das amerikanische FBI. Haben Sie Agenten, bei denen hinten auf der Jacke Europol steht, wie beim man das vom FBI kennt? Dann machen Sie Durchsuchungen und Ermittlungen... Das ist alles so gar nicht, oder?
Storbeck: Das ist richtig. Wir sind in erster Linie eine Zentralstelle, die unterstützt, durch Dienstleistung, wie Informationsaustausch zentraler Dateien. Aber gerade in den letzten zwei Jahren ist hinzugekommen, dass viele internationale Sonderkommissionen bei Europol arbeiten. Wir sind mit unseren Experten inzwischen Vorort sogar bei Durchsuchungen zum Beispiel von Drogenlaboren. Wir organisieren, initiieren Ermittlungen. Insofern sind wir in den letzten zwei Jahren doch sehr aktiv geworden. Aber kein Europolbeamter hat jetzt das Recht, irgendwo in der Europäischen Union Leute festzunehmen, Häuser, Wohnungen, Büros zu durchsuchen, oder eben Gegenstände zu beschlagnahmen. Wir können nur anwesend sein. Wir können unterstützen, aber wir haben keine eigenen Rechte, keine eigenen exekutiven Befugnisse.
Spengler: Ich würde sagen, um Ihr Glück vollkommen zu machen, bräuchten Sie solche Rechte.
Storbeck: Das würde ich so nicht sagen. Wir haben ein Riesenproblem: Wir haben natürlich einen gemeinsamen Raum, der unterschiedliche Gesetze hat, elf unterschiedliche Sprachen hat. Diese Vielfalt von Rechtssystemen, Strafrecht, Strafprozessrecht, Polizeirecht, die würden es nicht möglich machen, dass wir in jedem Staat dann tatsächlich das richtige Gesetz bis zum letzten Detail anwenden. Deshalb brauchen wir für exekutive Befugnisse die nationalen Polizeien. Das sind die exekutiven Arme auch von Europol.
Spengler: Europol selber sollte nicht mehr Rechte bekommen, als es jetzt schon hat? Habe ich das richtig verstanden? Oder plädieren Sie doch dafür, dass die Rechte für Europol ausgeweitet werden?
Storbeck: Ich glaube, die Rechte für Europol müssen ausgeweitet werden, aber jetzt nicht so viel flächendeckend und nicht so auf alle Kriminalitätsbereiche. Aber ein wichtiger Bereich, der mir sehr am Herzen liegt, ist die Bekämpfung der Fälschung des Euros. Dafür gibt es keine logisch zuständige nationale Polizei mehr. Wenn der Euro gefälscht wird, innerhalb der EU und vor allem auch außerhalb der EU, dann gibt es in gewisser Weise ein Vakuum. Da muss Europol eine eigene Ermittlungszuständigkeit haben, muss selber ermitteln können. Dafür gibt es dann auch gemeinsame Rechtsnormen. Da brauchen wir dann natürlich auch eine europäische Justizbehörde.
Spengler: Der Fortschritt auf diesem Gebiet in Europa ist eine Schnecke. Gestern immerhin haben die EU-Innenminister in Luxemburg nach jahrelangen Verhandlungen sich auf einheitliche Asylverfahren verständigt. Hilft Ihnen das eigentlich in der praktischen Arbeit?
Storbeck: Nicht direkt, aber indirekt schon, denn wir brauchen, wie ich vorhin schon gesagt habe, gemeinsame Rechtsnormen. Wenn es zu einer Vereinheitlichung kommt, dann wird es auch für uns einfacher sein, zu arbeiten. Da Asylpolitik mit illegaler Einreise manchmal doch Verbindungen hat und organisierte illegale Einreise auch in unseren Zuständigkeitsbereich fällt, haben wir indirekt doch Vorteile davon.
Spenler: Ihre Amtszeit als Direktor der europäischen Polizeibehörde Europol läuft jetzt in diesem Jahr aus. 1999 sind Sie berufen worden. Frankreichs Innenminister möchte jetzt einen Franzosen benennen, Italiens Innenminister einen Italiener und Otto Schily hält an Ihnen einstweilen fest, hält Sie für den besten Mann. Was wollen Sie denn persönlich? Wollen Sie weitermachen?
Storbeck: Wenn die Innenminister und Justizminister der EU dafür sind, dann würde ich gerne weitermachen. Das ist klar. Das ist eine der größten Herausforderungen im Sicherheitsbereich.