Dienstag, 07. Mai 2024

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Eva und die Prediger

Im letzten Band seiner Trilogie über Frauen im zwölften Jahrhundert untersucht Georges Duby ihr Verhältnis zur Kirche. Die Quellen, die ihm dabei zur Verfügung stehen, sind allesamt Schriften von Klerikern. Der Historiker Duby, für viele der bedeutendste Mediävist Europas nach dem Krieg, macht in seiner Studie unmißverstädlich klar, daß er mit diesen Quellen selbstverständlich nur ein sehr einseitiges Bild von der Stellung der Frauen präsentieren kann. Wie nicht anders zu erwarten, sind für die Kirchenmänner die Frauen, deren Urahnin Eva ist, im wesentlichen eine Bedrohung für das Seelenheil der Männer.

Jürgen Wolf | 09.09.1998
    Zunächst beschäftigt sich Duby mit einem Text Burchard von Worms, in dem dieser eine Anleitung gibt, wie Priester Frauen zu ihren Sünden direkt befragen sollen. Die Fragen zeigen, daß in der Phantasie der Priester Frauen auf allerlei Arten Unzucht mit ihrem Körper treiben.

    Wichtige Aufschlüsse gibt die Interpretation der Geschichte von Adam und Eva am Anfang der Bibel. Der heilige Augustinus gesteht in seinem Kommentar Frauen zwar durchaus Vernunft zu, doch überwiege bei ihnen der animalische und begehrliche Teil. Das eigentliche Ebenbild des Schöpfers ist Adam. Auch Hrabanus Maurus sieht in Eva das Fleisch, die Lust und die Sünde; Adam hingegen ist Geist und damit göttlich.

    Im zwölften Jahrhundert machten sich jedoch auch einige Kleriker auf, durch Taten, Briefe und Reden die Seele der sündhaften Frauen zu retten. Die Methode ist allerdings seltsam. Der Prediger Jacob von Vitry, der Franziskaner Guibert von Tornai und der Dominikaner Humbert von Roman wollten in erster Linie nicht heilen, sondern nach altem Brauch die Fehler der Frauen anklagen. Georges Duby schreibt dazu: "Die Kirchenmänner fürchteten die Frauen. Sie fürchteten vor allem ihr Geschlecht. Humbert sagt es ausdrücklich in der Homilie an die Frauen vom Land. Nicht so sehr, weil sie dumm oder leichtgläubig ist, sondern weil sie wie Adams Gefährtin die Männer zur Lust verführt, indem sie ihnen die verbotene Frucht hinhält."

    Um 1180, in der sogenannten Renaissance des 12. Jahrhunderts, verbesserte sich die Lage der Frauen etwas. Auslösend war die Wiederentdeckung der Liebe, der Liebe zu Gott, aber auch der Liebe zwischen Mann und Frau. Die Minne, die liebende, feinsinnige Ehrerweisung der Männer an die Frauen, wie sie in den Erzählungen um die Helden Tristan, Iwain, Erec und Lanzelot beschrieben ist, war das weltliche Gegenstück zur reinen Liebe zu Gott. Diese unbedingte Gottesliebe beschreibt Bernard von Clairvaux 1126 in seiner Abhandlung mit dem Titel "Von der Liebe zu Gott". In einigen Schriften ist nun der Mann Adressat der moralischen Unterweisung. Alain de Lille beispielsweise ermahnt ihn zur maßvollen geistigen Liebe, die sich ganz auf das Herz beschränkt . Die stürmische Liebeslust dagegen ist immer Sünde. Dennoch bleibt die Moral einseitig. Dem Ritter wird geduldet, sich zwischen zwei Frauen aufzuteilen. Die edle Dame hingegen darf sich nur einem hingeben. Läßt sie sich mit mehreren ein, ist sie unwürdig, in die gehobene Gesellschaft aufgenommen zu werden. Dubys Schlußfolgerung ist eindeutig: "Zwei Gattungen: Toleranz für die Männer, das aktive Geschlecht; Repression für die Frauen, die passive Gattung des unerbittlich beherrschten weiblichen Geschlechts."

    Die Frau bleibt im Hintertreffen, obwohl sie nicht mehr ausschließlich ein Abbild der Verführerin Eva ist. Schon in der Karolingerzeit, gegen Ende des elften Jahrhunderts, begann mit dem Marienkult eine, wenn auch schwache, Gegenbewegung. Die Frau wurde zum Ideal einer unbefleckten Partnerin des Mannes und zur Lebensspenderin. Anselm von Canterbury war es, der in der Muttergottes die Anti-Eva sah.

    Georges Duby, der im Dezember 1996 starb, zeigt sich auch in diesem Buch als großer Stilist. Seine Sprache ist anschaulich und kristallklar. Seine Geschichte der Frauen im zwölften Jahrhundert erhellt bereits geahnte Perspektiven und ist außerdem mit Vergnügen zu lesen. Er ist ein Freund der Frauen, der die einseitige Anschauung der herrschenden Männer durch sachliche Darstellung, mit sanfter Leidenschaft und unverdeckter Ironie selbst nach 900 Jahren noch korrigieren will.