Freitag, 19. April 2024

Archiv

Evangelische Kirche in Lettland
"Mehr Vertrauen zu einem Mann"

Frauen sollen beten, aber nicht predigen: So sehen es viele Geistliche der evangelisch-lutherischen Kirche in Lettland. Sie haben ihre Kirchenverfassung entsprechend geändert: Ab sofort können nur noch Männer Pastoren werden. Jesus habe doch auch nur Männer als Apostel ausgewählt. Der Kirche drohen Spaltungen wegen des Verbots, Frauen zu ordinieren.

Von Birgit Johannsmeier | 13.07.2016
    Panorama der Kulturhauptstadt 2014 Riga
    In Riga und in Lettland ist in der evangelischen Kirche ein Streit um die Frauenordination entbrannt. (picture alliance / dpa / Valda Kalnina)
    Das dunkle Haar zu einem Knoten gebunden, steht Vaira Bitena auf einer Kanzel in der lettischen Hauptstadt Riga und hält ihre Predigt: Bilder wie diese wird es in Zukunft in Lettland nicht mehr geben. Denn die 75-Jährige ist die letzte ordinierte Pastorin, die in Lettland noch predigen darf. Anfang Juni haben die evangelisch-lutherischen Geistlichen rund um den lettischen Erzbischof Janis Vanags ihre Kirchenverfassung geändert. Ab sofort dürfen in "seiner Kirche" nur noch Männer Pastoren werden. Tatsächlich hatte Janis Vanags bereits seit seinem Amtsantritt vor 23 Jahren keine Frauen mehr ordiniert. Damit unterstreiche die Evangelisch-Lutherische Kirche Lettlands ihre konservative Sichtweise, sagt Kirchensprecher Elis Godins. Die lettischen Lutheraner würden die Bibel eben als Wort Gottes verstehen.
    "Schon bei Apostel Paulus ist zu lesen, dass die Aufgabe des Predigens auf gar keinen Fall von Frauen ausgeübt werden darf. Außerdem ist Jesus zwar von Frauen umgeben, hat aber nur Männer als Apostel ausgewählt. Jesus hat das Amt des Priesters also nicht den Frauen, sondern nur den Männern zuerkannt. Manch einer bezeichnet das als neuen Fundamentalismus. Wir aber wollen der Bibel treu bleiben und können nicht erkennen, dass jene Kirchen, die sich modernisieren und Frauen ordinieren, plötzlich voller geworden sind."
    "Männer waren unsere besten Freunde"
    Die 75-jährige Vaira Bitena schaut sich gerne die Schwarzweiß-Fotos an, die sie an ihre Einsegnung erinnern. Als Lettland noch Sowjetrepublik war, hatte sie ihren Weg in die Kirche gefunden – trotz mancher Schikane durch den Geheimdienst KGB. 1975 gehörte Vaira Bitena zu den ersten drei Frauen, die zu Pastorinnen ordiniert wurden.
    "Das Präsidium der lettischen lutherischen Kirche hat damals die Gleichberechtigung von Männern und Frauen durchgesetzt. Es hat uns natürlich sehr glücklich gemacht, dass wir Frauen uns nicht auf einem niedrigeren Niveau als die Männer befanden. Es war eine sehr tolle Zeit, weil auch die männlichen Studenten damals nicht gegen uns Frauen waren. Sie waren unsere besten Freunde."
    Politische Unabhängigkeit brachte den Frauen keine Freiheit
    Vaira Bitena hat damals fünf Gemeinden gleichzeitig betreut: In der Hauptstadt Riga und in der lettischen Provinz. Dabei wurde sie ständig von der kommunistischen Partei kontrolliert. Dann kamen das Jahr 1991 und die lettische Unabhängigkeit. Vaira Bitena:
    "In der Sowjetzeit waren wir ständig bemüht, die Gesetze nicht zu verletzen. Endlich änderten sich die Zeiten: Lettland war frei, die Kirche war frei, aber da haben die Männer den Aufstand gegen uns Frauen gewagt. Eines Tages kamen sieben Pfarrer in meine Wohnung und haben verlangt, dass ich als Pfarrerin zurücktreten soll. Das war der Anfang."
    Was bereits unter seinem Vorgänger begonnen hatte, griff Erzbischof Janis Vanags vor seiner Wahl im Jahre 1993 wieder auf. Während seiner lebenslangen Amtszeit werde in Lettland keine Frau mehr Pastorin werden, hatte Vanags damals angekündigt – und unter den Gläubigen seiner Kirche durchaus Zustimmung erfahren: "Wir Frauen haben mehr Vertrauen zu einem Mann. Der Mann erfährt mehr Achtung, deshalb muss ein Mann Pastor sein", sagt eine Frau, und eine andere sieht es ähnlich: "Ich denke, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sind. Aber unsere Kirchenleitung weiß es besser. Wenn sie Frauen als Pastorinnen ablehnen, wird es wohl richtig sein."
    Nicht alle sind einverstanden
    Die Anhänger der Kreuzkirche in der lettischen Hafenstadt Liepaja lehnen die Abschaffung der Frauenordination ab. Die Gemeinde rund um Pfarrer Martin Urdze hat ihren Austritt aus der Evangelisch-Lutherischen Kirche Lettlands erklärt, um in die lettische Auslandskirche einzutreten. Das ist ein Zusammenschluss liberaler Exilgemeinden, die nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden, aufgebaut von Letten in aller Welt. Die Auslandskirche untersteht einer Erzbischöfin in den USA und hat eine eigene Propstei in Lettland. Pfarrer Martin Urdze fürchtet jedoch, dass dem Beispiel seiner Gemeinde keine weitere Gemeinde folgen wird.
    "Jetzt geht es auch um Eigentumsfragen. Denn wenn eine Gemeinde wie unsere sagt, dass sie austreten will, dann kann die Großkirche Lettlands einen Anspruch auf die Gebäude erheben. Wir wissen noch nicht, wie weit die Kirche gehen wird. Wenn sie unsere Immobilien zurück will, dann ziehen wir vor Gericht."
    Tatsächlich hat die evangelisch-lutherische Kirche kurz darauf die Leitung der Kreuzgemeinde in Liepaja entlassen und Anspruch auf ihre Gebäude erhoben. Ein Konflikt, dem Pfarrer Martin Urdze gelassen entgegensieht. Denn die kleine Holzkirche und das Gemeindehaus sind im Besitz seiner Gemeinde und gehören nicht der Großkirche. Vielleicht habe dieser Streit aber auch seine gute Seite, sagt Martin Urdze. Menschen und Medien in ganz Lettland könnten deutlich sehen, dass die Evangelisch-Lutherische Kirche Lettlands auch von Machtinteressen geleitet sei.