Donnerstag, 18. April 2024

Archiv

Evangelische Sexualethik
Warum aus einer EKD-Denkschrift keine Denkschrift wurde

Eigentlich sollte aus diesem Buch eine Denkschrift der Evangelischen Kirche werden. Doch dann bekam die EKD kalte Füße. Nun erscheint das Werk unter dem Titel "Unverschämt – schön. Sexualethik: evangelisch und lebensnah". Die Autoren wollen einen unverkrampften Zugang zum Thema Sexualität bieten.

Von Rainer Brandes | 24.08.2015
    Paar im Sonnenuntergang am Strand (dpa / picture alliance / Zhang Jie)
    Sexualität als Lebensenergie - Ein neues Werk zur evanglischen Sexualethik (dpa / picture alliance / Zhang Jie)
    Eines stellen die Autoren gleich zu Beginn klar: Sexualität ist aus evangelischer Sicht keine Frage des Heils. Mit anderen Worten: Die sexuelle Orientierung eines Menschen spielt für die Rechtfertigung vor Gott zunächst einmal keine Rolle. Warum also beschäftigt sich dann die Theologie überhaupt mit dem Thema Sexualität? Peter Dabrock ist Professor für Systematische Theologie an der Universität Erlangen-Nürnberg. Er hat das Buch "Unverschämt – schön: Sexualethik: evangelisch und lebensnah" maßgeblich mit verfasst.
    "Es lässt sich jedenfalls, glaube ich, kaum leugnen, dass selbst in der säkularen Gesellschaft viele Menschen – seien sie selbst religiös, seien sie nicht religiös – sich einfach dafür interessieren, was eben aus dem Bereich Religion, Kirche, Theologie zu diesem Thema gesagt wird. Und das ist genau das, was wir aufgreifen und was meines Erachtens nach auch heutzutage in evangelischer Perspektive aufgegriffen werden sollte."
    Letzte EKD-Denkschrift zur Sexualität stammt aus dem Jahr 1971
    Für die Autoren war es längst überfällig, eine neue, zeitgemäße evangelische Sexualethik zu schreiben. Ursprünglich hatte das auch der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) so gesehen. Die letzte EKD-Denkschrift zu Fragen der Sexualität stammt aus dem Jahr 1971. Vor fünf Jahren hatte der Rat deshalb eine Kommission eingesetzt, die eine neue Denkschrift erarbeiten sollte. Mit dabei waren auch Peter Dabrock und andere Autoren des jetzt vorgelegten Buches. Dann aber hagelte es Kritik am neuen EKD-Familienpapier. Noch eine kontroverse Denkschrift in derselben Ratsperiode: Das war den Verantwortlichen zu viel. Im vergangenen Jahr stoppte der Rat die Arbeit der Kommission. Peter Dabrock bedauert das und hat gemeinsam mit den anderen Autoren ihre Thesen zur Sexualethik nun einfach auf eigene Faust publiziert.
    "Ich hätte es natürlich gerne gesehen, dass die EKD eine Denkschrift zum Thema verantwortete Sexualität veröffentlicht hätte. Aber vielleicht ist ja unser Buch ein kleiner Impuls, damit die Diskussion in der evangelischen Kirche und auch in der Gesellschaft zum Thema verantwortete Sexualität weiter geht."
    Die EKD begrüßt das übrigens ausdrücklich. Auf Anfrage teilt sie dem Deutschlandfunk mit:
    "Die Publikation von Peter Dabrock, Cornelia Helfferich und anderen ist ein wichtiger Beitrag zu der in Kirche und Gesellschaft geführten Debatte zur Sexualethik, den wir begrüßen. Die Autoren stellen ihre Beiträge hinein in eine gesellschaftliche Debattenlage, die die Vielfalt der Stimmen braucht. Und diese Diskussion braucht Zeit und die Bereitschaft, sehr sorgfältig und respektvoll aufeinander zu hören."
    Der neue Rat, der im November gewählt wird, könne dann entscheiden, ob und in welcher Form er die Arbeit an einer EKD-Denkschrift wieder aufnimmt. Was aus Sicht von Peter Dabrock darin stehen müsste, das kann man nun in seinem neuen Buch nachlesen. Für ihn gibt es fünf zentrale Kriterien, wann Sexualität verantwortlich gelebt werden kann: Freiwilligkeit, Respekt der Andersheit, Schutz der Beteiligten, Chancengleichheit und Bereitschaft zur Treue. Wo diese Kriterien nicht erfüllt sind, da müsse sich die Kirche für die Benachteiligten und die Gefährdeten einsetzen. Indem die Autoren die Bereitschaft zur Treue betonen, wollen sie zeigen, dass ein unverkrampfter Zugang zur Sexualität nicht gleichzusetzen sei mit Beliebigkeit. Dabei spielt es für Peter Dabrock nur eine untergeordnete Rolle, welche sexuelle Orientierung jemand hat.
    Verlässlichkeit und Treue
    "Wir haben ein eigenes Kapitel zu Geschlechtsidentitäten. Und innerhalb dessen wird dann das Homosexualitäts-Thema behandelt. Das heißt, wir wollen es gar nicht so exzeptionell stellen, wie das in den gegenwärtigen Debatten häufig der Fall ist, sondern wir wollen es kontextualisieren. Und wenn Sie sich die Kriterien-Liste anschauen, dann ist die Konsequenz unseres Erachtens völlig klar: Niemand darf wegen seiner sexuellen Orientierung diskriminiert werden, darf als ein schlechterer Mensch dargestellt werden. Das gilt für kirchliches genauso wie für gesellschaftliches Verhalten."
    Deshalb begrüßen es die Autoren, dass sich inzwischen viele evangelische Gemeinden für Segnungen von Paaren geöffnet haben, die nicht heterosexuell leben. Für sie ist es eine Stärkung der althergebrachten Institutionen wie der Ehe, wenn sie nicht nur heterosexuellen Paaren offenstehen. Denn mit einer Ehe machen auch nicht-heterosexuelle Paare deutlich, dass sie sich Verlässlichkeit und Treue in ihren Beziehungen wünschen. Aus evangelisch-theologischer Sicht ist das eines der zentralen Kriterien für eine verantwortliche Sexualität, so die Autoren. Lange Zeit hat auch die evangelische Theologie Sexualität ausschließlich in den Dienst der Fortpflanzung gestellt. Dies ist für die Autoren allerdings eine unzulässige Engführung des Begriffs Fruchtbarkeit. In ihrer Definition ist Sexualität als Lebensenergie für ein fruchtbares Leben im weitesten Sinne zu verstehen. Das bedeutet: Sexuelle Beziehungen seien lebensdienlich, egal, ob daraus Kinder hervorgehen oder nicht. Das heißt auch: Die Kirche müsse anerkennen, dass es sexuelle Identitäten jenseits der Zweigeschlechtlichkeit gebe. Dass es darüber bis heute auch in der evangelischen Kirche so heftigen Streit gibt, das liegt für Peter Dabrock an der jahrhundertelangen Überbetonung der Sexualität in der kirchlichen Verkündigung. Für ihn steht die ständige Problematisierung des Themas in keinem Verhältnis zu den biblischen Texten.
    "Sexualität ist kein zentrales Thema in der biblischen Botschaft. Angesichts der langen sexualitäts- und leibfeindlichen Geschichte des Christentums, vor allem beeinflusst ja durch den Neuplatonismus und seine Folgen, glaube ich, ist es dann aber auch mal an der Zeit, daran zu erinnern, dass es eben auch in der biblischen Bibliothek viele Passagen gibt, die ein sexualitäts- und leibfreundliches Bild vermitteln."
    Sexualität sei auch aus theologischer Sicht etwas Kostbares. Dies müsse die zentrale Botschaft einer zeitgemäßen evangelischen Sexualethik sein. Das führt die Autoren zu Handlungsempfehlungen für die kirchliche Verkündigung. Dieser Teil des Buches ist sicher der schwächste. Dort ist dann zu lesen, im Gottesdienst sollten häufiger leib- und sexualfreundliche Bibelstellen zitiert werden – wenn auch mit Fingerspitzengefühl. Besondere Gottesdienste zum Valentinstag oder Tangoabende der Sinnlichkeit werden als positive Beispiele genannt. Solch banale Empfehlungen hätte es nicht gebraucht, um die zentrale Botschaft des Buches klarzumachen. Die lautet: Aus evangelisch-theologischer Sicht verbietet es sich, sexuelle Orientierungen zu verurteilen, sofern sie verlässlich sind und auf Gleichberechtigung und Freiwilligkeit basieren.