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Evolution im Rückwärtsgang

Biologie. - Es gibt Fischarten, die in den letzten Jahren immer kleiner wurden. Denn durch starke Befischung endeten die großen Fische in den Netzen der Fischer, während die kleineren durch die Maschen hindurch schwammen und somit besser angepasst waren und überlebten. Doch der Effekt lässt sich wieder umdrehen, meinen Experten.

Von Michael Lange |
    Die silbern glänzenden Fische der Art "Menidia menidia" werden etwa 15 Zentimeter groß. Sie bevölkern massenhaft die Gewässer an der Ostküste der Vereinigten Staaten. "Atlantic Silverside" heißen sie in den USA. Zu deutsch: Mondährenfisch. An der Universität von Stony Brook auf Long Island bei New York werden die Tiere in riesigen Wassertanks gehalten. David Conover und sein Zoologenteam interessieren sich besonders für die Größe der Fische.

    "Wir halten sechs Fisch-Populationen in Gefangenschaft. Einmal im Jahr, wenn eine neue Fischgeneration herangewachsen ist, wird geerntet. Wir fischen nach genau festgelegten Regeln nur bestimmte Fischgrößen."

    Wenn die Forscher, wie in der Fischerei üblich, nur die großen Exemplare abfischen, sinkt die Durchschnittsgröße im Laufe der Zeit. Jede Generation ist einige Millimeter kleiner als die im Vorjahr. Der gleiche Prozess findet seit Jahrzehnten in den Weltmeeren statt. Die Fischereiflotten haben es vor allem auf die großen Fische abgesehen. Das führte zu einer beschleunigten Evolution, die die kleinen Tiere gegenüber den größeren bevorzugte. Aber es geht auch umgekehrt, wie die Zoologen von der Stony Brook Universität in zehn Jahren Forschung zeigen konnten. Wenn die kleinen Fische verstärkt gefangen werden, steigt die Durchschnittsgröße wieder.

    "Durch unser Experiment haben wir errechnet, dass es etwa zwölf Generationen braucht, bis geschrumpfte Fische wieder ihre normale Größe erreichen. Aber das sind Laborergebnisse unter konstanten Bedingungen. In der freien Natur kommt es auf die Fischart und die Umweltbedingungen an."

    Beim Kabeljau mit einer Generationszeit von fünf Jahren würde der gleiche Prozess mindestens 60 Jahre dauern, schätzen die Wissenschaftler. Dennoch machen die neuen Ergebnisse Hoffnung. Sie zeigen eindeutig, dass sich die umweltbedingte Veränderung der Größe rückgängig macht lässt. Wenn man die Selektionsfaktoren ändert, dann ändern sich mit den Jahren auch die Gene.

    "In unseren Experimenten haben wir die Umweltbedingungen kontrolliert. Ernährung, Wasser und alle anderen Faktoren sind gleich geblieben. Wir wissen nicht welche Gene verantwortlich sind, aber es ist ganz klar: Die Veränderungen der Fischgröße haben eine genetische Ursache."

    Um den Fischen ihre alte Größe zurückzugeben, schlagen die Zoologen mehrere Gegenmaßnahmen vor. Zum einen helfen Schutzgebiete, in denen die großen Fische im Vorteil sind gegenüber den kleineren Artgenossen. Aber auch bei der kommerziellen Fischerei müsste sich etwas ändern, so David Conover:

    "Wir haben zwar die Entwicklung umgekehrt, aber es ist ein langsamer Prozess. Es wäre viel besser, die Verkleinerung von vornherein zu verhindern. Man müsste kleine und große Fische schützen, indem man versucht nur mittelgroße Fische zu fangen."

    Mit Schleppnetzen ist das nicht möglich. Durch die Maschen der Schleppnetze schlüpfen stets nur die kleinen Fische. Mit speziellen Stellnetzen oder ausgelegten Fischfallen könnten außerdem große Fische verschont werden, und nur die mittelgroßen gingen ins Netz. So erhielten große Fische ihren angestammten Evolutionsvorteil zurück.