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Evolution in Krater-Seen

In Nicaragua haben Buntbarsche in den vergangenen 6000 Jahren mehrere Kraterseen besiedelt. Im Laufe der Evolution entstanden - unabhängig voneinander - sich ähnelnde Unterarten, die jeweils nur in einem der Kraterseen leben. Forscher aus Konstanz konnten nun nachvollziehen, welche Gene dabei eine Rolle spielen.

Von Joachim Budde | 25.03.2013
    Ihre dicken Lippen fallen ins Auge. Ansonsten sind die Vertreter dieser Buntbarschart aus dem nicaraguanischen Apoyeque-Kratersee eher unauffällig: grünlich-bronzefarben mit breiten senkrechten schwarzen Streifen. Sie spüren kleine Krustentiere auf, die sich in Ritzen und Spalten der Kraterwände verstecken. Die wulstigen Lippen schützen die Fische dabei, und sie dichten den Mund wie eine Saugglocke ab, wenn die Tiere Krabben aus den Spalten nuckeln.

    Der Vulkan Apoyeque ist Teil des pazifischen Rings des Feuers, zu dem im Westen Nicaraguas eine ganze Reihe aktiver und erloschener Vulkane gehört, sagt Professor Axel Meyer.

    "Das Spannende ist nun, dass in diesen sechs oder acht Kraterseen, die es dort gibt, unabhängig voneinander ähnliche Arten neu entstanden sind, die es dann jeweils nur in einem dieser Kraterseen gibt. Und für uns als Evolutionsbiologen ist das so eine Art natürliches Experiment, wo die Evolution sozusagen über Tausende von Jahren neue Seen besiedelt hat, und dann mit ähnlichen Antworten auf ähnliche ökologische Fragen reagiert hat."

    Seit 30 Jahren erforscht der Evolutionsbiologe von der Universität Konstanz die Buntbarsche in Mittelamerika. Er hat die Genome der Barscharten in den Kraterseen der Region verglichen und herausgefunden, dass die Arten sehr nah verwandt sind und alle vom Zitronenbuntbarsch abstammen. Dieser Fisch kommt in den beiden großen Seen des Landes vor, dem Managua- und dem Nicaraguasee.

    "Die großen ursprünglichen Seen sind sehr alt, aber auch sehr flach und trübe, die sind vielleicht höchstens 40 Meter tief, das Wasser ist voller Schwebestoffe und sehr trübe. Die Kraterseen sind ein ganz anderes Habitat, die sind mehr als 200 Meter tief, das Wasser ist sehr klar, und es gibt dort ökologische Nischen, die es in diesen ursprünglichen Seen nicht gibt."

    An diese neuen Nischen in den Kraterseen haben sich die Fische im Laufe der letzten 150 bis 6000 Jahre angepasst und in jedem See unabhängig voneinander in zwei neue Arten aufgespaltet. Einerseits in die Barsche mit den dicken Lippen, die am Kraterrand Beute suchen, andererseits in eine Art, die eher wie ein Torpedo geformt ist, weil sie im tiefen offenen Wasser jagt.

    "Und diese wiederholte Evolution ist das, was uns besonders interessiert."

    Zunächst haben sich Meyer und seine Kollegen auf die dicken Lippen beschränkt. Sie haben verglichen, welche Gene im Lippengewebe der Fische aktiv waren und fanden 22.000. In einem zweiten Schritt haben sie die Gene bestimmt, die in den Fischen mit dicken Lippen deutlich häufiger arbeiteten als in den anderen.

    "Eins der Gene, die wir gefunden haben, hat etwas mit dem Immunsystem zu tun, was auch bekanntermaßen auf der Haut und in den Lippen angeschaltet ist, mit Hautgewebe oder auch mit Nervensystemgewebe, und da haben wir dann eben eine Überschneidungsmasse von sechs Genen gefunden, die konsistent in diesen Vergleichen immer wieder aufgetaucht sind."

    Alle Fische mit dicken Lippen nutzten also unabhängig voneinander sechs gleiche Gene, um dieses Merkmal zu entwickeln. Noch vor fünf Jahren wäre eine solche Analyse technisch unmöglich gewesen, sagt Axel Meyer.

    Forschung an paralleler Evolution, also der wiederholten Entstehung gleicher Merkmale unter ähnlichen Umweltbedingungen, werde zwar schon seit Jahrzehnten betrieben, sagt Professor Jonathan Losos, Evolutionsbiologe an der Harvard Universität, aber keine habe das gesamte Genom eines Organismus betrachtet.

    "Diese Buntbarsch-Studie ist eine der ersten, die zeigt, wie viele Gene für die parallele Evolution eines Merkmals verantwortlich sind. Es wäre auch möglich, dass unterschiedliche Gene dieselben anatomischen Anpassungen hervorrufen. Es ist eine wichtige Erkenntnis, dass tatsächlich dieselben genetischen Mutationen bei allen Fischen wulstige Lippen machen."

    Solche Fragen habe man bisher nur anhand weniger Organismen wie Fruchtfliegen stellen können, die sich leicht in Laboren züchten lassen, sagt Axel Meyer.

    "Jetzt können wir von einem ökologischen Problem ausgehend genetische Fragen stellen, und bisher war es immer umgekehrt."