Montag, 29. April 2024

Archiv


Ewig knusprige Brötchen

Beim Beruf des Bäckers denken viele Menschen heute noch an ein grundsolides Handwerk. Doch die moderne Backstube ist schon seit langem durchindustrialisiert. Und wenn es um Mohnstriezel, Rührkuchen oder Sesambrötchen geht, dann haben die Lebensmitteltechnologen das Sagen. So standen auch neue Gefriertechniken und Backverfahren bei einem zweitägigen Branchentreffen im Bremerhavener Technologietransfer-Zentrum im Mittelpunkt.

Von Folkert Lenz | 24.06.2009
    Die Hausfrau kennt es und auch der Bäcker: Mehl ist nicht immer gleich. Am heimischen Herd können die Unzulänglichkeiten des Naturproduktes beim Teigrühren notfalls mit einem Schuss Milch extra oder einer Messerspitze Butter ausgeglichen werden. In der industriellen Massenfertigung von Backwaren verbietet sich das, erklärt Olaf Gerken von der Firma Stern Enzym:

    "Mehlqualitäten schwanken: Von Jahr zu Jahr, aber auch innerhalb einer Kampagne. Und durch unsere Enzyme können wir diese Schwankungen ausgleichen. Dadurch erzielt man eine gewisse Teigstabilität, die erwünscht ist, die man haben muss, um ein möglichst großes Gebäckvolumen zu bekommen und um eine gewisse Struktur zu bekommen."

    Sulfhydryl-Oxidase - kurz: SOX - heißt die Wunderwaffe, die den Teig immer gleich fluffig und geschmeidig machen soll: ein Enzym, das Gerken und seine Kollegen über die Bierhefe gewinnen. Angenehmer Nebeneffekt: Brötchen werden größer, wenn man SOX in den Teig tut. Und das Kleingebäck fällt trotzdem nicht in sich zusammen.

    Außerdem schmeckt behandelter Teig von Plundergebäck oder Pasteten selbst nach zehn Wochen Lagerung nicht ranzig - auch wenn Butter darin ist, hat der Ingenieur Gerken herausgefunden. Am Ende steht ein Gebäck, auf dessen Zutatenliste keine der ungeliebten E-Nummern auftaucht, weil die Enzyme dort nicht ausgewiesen werden müssen.

    Die Frostschutzeigenschaften von Kleinstlebewesen aus polaren Gewässern dagegen möchte sich die Mikrobiologin Elisabeth Helmke vom Alfred-Wegener-Institut zunutze machen. Denn beim Hightech-Backen kommen meist tiefgefrorene, halb fertige Produkte zum Einsatz.

    Diese arktischen Organismen aber haben Antigefrierproteine entwickelt, damit sie auch bei Temperaturen unter minus fünf Grad noch wachsen können. Diese Proteine könnten dafür sorgen, dass die Zellwände von Obst oder Gemüse - aber eben auch im Teig oder Brot - beim Frosten nicht beschädigt werden.

    "Die kann man zum Beispiel Lebensmitteln zusetzen, so dass diese Kristallbildung vermieden wird. Dass dann kleinere Kristalle oder gar keine Kristalle gebildet werden. Dass die Zellen nicht kaputt gehen."

    Beim Gefrieren der Teigwaren. Das würde außerdem feinporigere Substanzen beim Backen möglich machen.

    Im Ofen dagegen könnten polare Enzyme Energie sparen helfen, wenn Backprozesse schon bei niedrigeren Temperaturen ablaufen, glaubt Helmke.

    "Enzyme von den kälteangepassten Organismen sind ja gerade in dem Bereich von null bis zwanzig Grad - also auch Zimmertemperatur, da können ja andere ja noch gar nichts machen -, da haben unsere Organismen quasi das Optimum."

    Der Bäcker müsste seinen Ofen also nicht mehr voll aufheizen. Trotzdem wird die Ware gar.

    Energie sparen will die Branche auch, wenn sie vorgebackene Brötchen wieder einfriert. Doch die herkömmlichen Schockfroster sind wahre Energiefresser. Abhilfe schafft eine neuartige Kühlkammer, in der ein eiskalter Nebel aus superfeinen Wassertröpfchen die Teigklumpen abkühlt, ohne sie auszutrocknen. Der Bremerhavener Lebensmitteltechnologe Professor Klaus Lösche:

    "Diese Wassertröpfchen haben jetzt die Eigenschaft, dass sie extrem klein sind. Also etwa einen Mymeter. Und dadurch eine sehr hohe Verdriftungseigenschaft haben, also im Grunde nicht sedimentieren. So dass man einen Raum, einen x-beliebigen Raum sehr leicht auf eine Feuchte bringen kann, wie man es normalerweise nicht schafft."

    Weiterer Vorteil: Durch das neuartige Kühlverfahren entsteht auf dem Brötchen eine haltbare Kruste, die nicht sofort beim Aufschneiden abbröselt. Denn anders als beim Schockgefrieren bilden sich bei der Benebelung durch die Mikrotröpfchen keine Eiskristalle unter der Oberfläche, die die leckere Kruste sprengen, erklärt Lösche.

    "Man bekommt dadurch diese zarte Crispiness, diese zarten Materialbrucheigenschaften, die sich dann tatsächlich über zehn oder zwölf Stunden halten. Obwohl meinetwegen das Salatblatt dazwischen ist, die Käsescheibe dazwischen ist, die Wurstscheibe dazwischen ist."

    Ein knackiges Brötchen, das sich auch nach Stunden noch so anfühlt, das hatte sich ein Luftfahrtunternehmen von den Bremerhavener Forschern gewünscht. Jetzt müssen sich die Touristen auch am Ende von Langstreckenflügen nicht mehr vor matschigen Semmeln fürchten.