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Ewige Jugend - und wie dann doch die Zeit vergeht

Der ewige Wunsch des Menschen, den Göttern gleichzukommen und den Tod, wenn schon nicht zu überwinden, so doch wenigstens so weit wie möglich nach hinten hinauszuschieben ist das Thema der dreiaktige Oper "Die Sache Makropulos" von Karel Capek und Leos Janacek. Cristoph Marthaler hat sie zu den Salzburger Festspielen neu inszeniert.

Von Frieder Reininghaus |
    Emilia Marty ist Elian MacGregor, auch Eugenia Montez, Ekaterina Mychkine, Elina Makropulos oder Else Müller. Abgesehen hat es die berühmte Sängerin darauf, die Rezeptur für einen Stoff wieder in ihre Hand zu bekommen, die sie vor langer Zeit einem Liebhaber überließ - die Formel zur Herstellung eines Elixiers, das zwar keine ewige Jugend beschert, aber eine deutlich verlängerte Lebenszeit. Das alles stellt sich erst kurz vorm Schluss der Oper "Die Sache Makropulos" heraus. Den Einstieg in die Handlung bildet ein seit Jahrzehnten anhängiger Erbschaftsstreit um ein Landgut, der mittlerweile zwischen Baron Jaroslav Prus und dem hoch verschuldeten Albert Gregor ausgetragen wird. Ungefragt mischt sich die legendär erfolgreiche Sopranistin, deren geheimnisvolle Abstammung vom alchemistisch experimentierenden Leibarzt des Kaisers Rudolf II. sich nach und nach enthüllt.

    Den Fall und seinen Hintergrund entwickelte Karel Capek 1922 mit munteren, teils surrealen Dialogen und turbulenten Ensembleszenen in einer Prager Anwaltskanzlei, einer Theatergarderobe und einem Hotelzimmer als höchst verzwickte juristische Angelegenheit. [Über die Besitzansprüche auf einen Flecken böhmischer Erde hinaus geht es da zunehmend um die fragwürdige Sehnsucht nach ewiger Jugend und mit der Option auf künstlich verlängertes Leben um die Aufhebung von Zeitschranken.

    Leos Janacek, gewitzt durch schlechte Erfahrungen mit verschiedenen Librettisten, bearbeitete sich Capeks Theaterstück nach seinen Vorstellungen. Er rückte die radikale Egozentrik der großen Sängerin, die Lebenssattheit, die seelische Müdigkeit der "unsterblichen" Frau ins Zentrum seiner so differenziert beredten Musik.] Esa-Pekka Salonen fächert mit den Wiener Philharmonikern das Klangspektrum auf, lässt die Streicher parlieren, das Fagott bohren, die nicht immer ganz prägnanten Hörner Signale setzen. Mit klarer Zeichengebung fördert Salonen die deutliche Strukturierung der musikalischen Syntax, sorgt zugleich für das weithin erforderliche Fließen des Parlandos der Musik, für deren beglückende oder bedrohliche Warte- und Schwebezustände. Mit Angela Denoke steht der neuen Salzburger Produktion eine Protagonistin zu Verfügung, die die Rolle der superselbstbewussten Primadonna, der manierierten Prominenten und erfahrenen Liebhaberin ebenso beglaubigt wie die Verletzlichkeit einer Frau, der zu viel zugemutet wurde. Das Neckische und Kapriziöse bringt Denoke ebenso zum Klingen wie den hohen Ton als erotische Verheißung, vor allem aber versteht sie auch, die Kälte, über die sich der späte Liebhaber Prus nach der von ihm eingehandelten Liebesnacht beklagt, mit kühler Intonation sinnfällig zu machen.

    Anna Viebrock stellte auf der überbreiten Bühne des großen Festspielhauses eine Simultaninstallation der Rechts-, Alten- und Traditionspflege bereit: Rechts vor einem Aquarium eine Wartezone mit zwei Reihen Sitzgelegenheiten; in der Mitte das Gestühl eines Gerichtssaals älteren Datums - die hart abgegrenzte Anklage- und Richterbank; links befindet sich hinter einem gläsernen Käfig für die Raucher eine Reihe dunkler Türen. Diese Zimmerflucht erinnert eher an ein sanierungsbedürftiges Hotel oder Altenheim als an eine Theatergarderobe. Christoph Marthaler hat dem ersten Einsatz der Musik eine Pantomime vorgeschaltet - einen Dialog über das Altern und die (zumindest für eine Elite) wünschenswerte Lebensverlängerung auf wenigstens 300 Jahre. Geführt wird er von zwei alterungs- und witterungsbedingt unterschiedenen Inkarnationen der bereits 1585 geborenen Diva. Die Zuschauer verstehen kein Wort und erhalten vom Disput nur Kenntnis vermittels der witzigen Obertitel. Auch im Folgenden müssen sie genau hinsehen, um die Handlungsstränge und Zeitebenen in den Köpfen richtig zu sortieren. Doch Marthaler erzählt die verworrene Geschichte ruhig, illustriert von den sich repetierenden stummen Erscheinungen der Emilia Marty aus früheren Zeitschichten. Dass sich die tragische Heldin von Erdenglück und -qual erlöst, deckt sich mit den Intentionen des Regisseurs.