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Ex-AfD-Mitglieder
Parteigründung noch nicht beschlossen

Schon vor seiner Abwahl als AfD-Parteichef hatte Bernd Lucke den "Weckruf" initiiert. In ihm sammelten sich die Parteimitglieder, die sich dem wirtschaftsliberalen Flügel zurechnen. Auf einem Treffen in Kassel soll beraten werden, ob eine neue Partei gegründet werden soll. Offen ist dabei aber noch, wie viele Ex-AfDler bereit sind, sich zu engagieren.

Von Tonia Koch | 16.07.2015
    Der ehemalige AfD-Vorsitzende Bernd Lucke steht auf dem Parteitag der AfD in Essen.
    Der ehemalige AfD-Vorsitzende Bernd Lucke steht auf dem Parteitag der AfD in Essen. (Picture Alliance / dpa / Maja Hitij)
    Vor wenigen Wochen in Saarbrücken. Die AfD-Anhänger strömen in den Saal. Mehr als erwartet. Die Neuwahl des Landesvorsitzenden steht auf dem Programm. Viel Prominenz ist anwesend. Bernd Lucke, Bernd Kölmel, Europaabgeordneter aus Baden-Württemberg, aber auch Markus Pretzell aus Nord-Rhein-Westfalen. Die Stimmung ist seltsam angespannt, irgendwann versteht es auch der letzte im Saal, die Saar-AfD wird von neuen Kräften übernommen. Gerührt vom greifbar nahen Erfolg formuliert der spätere Landesvorsitzende Josef Dörr. "Ein Hauch von Geschichte weht durch diesen Saal."
    Dem 77-Jährigen, der zuvor Jahrzehnte bei den Grünen und der CDU engagiert war, entgleist die Bildsprache. "Wir spüren eine tiefe Glut ins uns. An ihr werden wir das Feuer entfachen. Die Missstände in unserem Lande sind der Wind, der diese Glut entfacht. Eine Flamme kommt zur anderen Flamme. Die Flammen wachsen zu einem Flammenmeer, schließlich zu einem Feuersturm. Dieser Feuersturm wird alles hinwegfegen und vernichten, was schlecht ist."
    Für namhafte saarländische AfD-Mitglieder, wie Sven Bender, Kreisvorsitzender und Mitglied des Saarbrücker Stadtrates, war dieser Auftritt nicht nur ein schlechtes Omen, sondern bereits ein Weckruf. Er hat sich schon früh dem gleichnamigen Verein angeschlossen. Der Weckruf 2015 sei von unzufriedenen AfD-Mitgliedern ins Leben gerufen worden, um ein Zeichen zu setzten, gegen die schleichende Unterwanderung der Partei durch übertrieben national ausgerichtete Kräfte. "Man hat den Eindruck gehabt, dass die Leute da immer mehr eingesickert sind mit solch einer Gesinnung, also am Anfang waren das ein, zwei. Okay, da hat man gedacht, die kriegt man in den Griff. Aber plötzlich kamen immer mehr, plötzlich kamen immer mehr und die haben dann ganz langsam die Partei gekapert."
    Der Kommunikationstrainer fungiert als Sprecher des Weckrufes, die AfD hat er verlassen, wie seine Kollegin aus dem Saarbrücker Stadtrat auch, sein Mandat behält er. "Die AfD hat sich ganz deutlich weiterentwickelt, das ist nicht mehr die AfD, mit der ich in den Wahlkampf eingestiegen bin, sondern das ist eine andere AfD geworden. In dem Fall behalte ich mir vor, das Mandat zu behalten und weiter zu machen, mit den Thesen, mit denen ich in den Wahlkampf eingestiegen bin und nicht mit dem neuen Kurs der Frau Petry."
    Die Anfang des Monats zur AfD-Bundesvorsitzenden gewählte Frauke Petry beurteilt die Mandatsfrage naturgemäß völlig anders. "Wir sind natürlich enttäuscht darüber, dass man offenbar nicht vorhat, diese Mandate zurückzugeben. Aber es überrascht uns auch nicht. Behalten sie nur in Erinnerung, dass das diejenigen Personen sind, die vorgeben, bürgerlich und moralisch einwandfrei zu handeln, das sind nun diejenigen, die letztendlich die AfD um Mandate betrügen."
    Ein Wochenende mit heißen Diskussionen
    Zu den als Betrügern gescholtenen zählen auch fünf der insgesamt sieben Europa-Abgeordneten, darunter Bernd Kölmel. Der Wähler habe die Verschiebung der Koordinaten im Rahmen der AfD so nicht gewollt, davon ist er überzeugt. "Die fünf vertreten mindestens so stark die ursprüngliche Politik wie die beiden anderen, ich würde sogar sagen, in Reinkultur machen wir es."
    Den abtrünnigen Europaabgeordneten, die allesamt im Weckruf engagiert sind, wird am Wochenende in Kassel, wenn es darum geht, ob eine neue Partei neben der AfD gegründet wird, eine wesentliche Rolle zukommen. Wenn es mit der neuen Partei klappen soll, müssten sie sich einbringen, das sei ihnen klar, sagt Kölmel. Allerdings gelte auch: "Es gibt da keinen Automatismus, dass ein Mandatsträger da ganz vorne sein muss."
    Das gelte für alle, auch für Bernd Lucke. Der ehemalige Parteigründer hat die AfD ebenfalls verlassen und gilt nach wie vor als prominentes Aushängeschild, was jedoch nicht bedeuten muss, dass Lucke bei einer Parteigründung an vorderster Front stehen müsse, so Kölmel. "Wir können sicher nicht insgesamt auf Bernd Lucke verzichten. Aber ich glaube, wir sollten da auch Mut haben und andere Modelle durchsprechen und das werden wir in Kassel sicher auch tun."
    Von den insgesamt etwa 4.000 Mitgliedern, die sich dem Weckruf angeschlossen haben, werden nach Angaben der Organisatoren etwa 70 bis 90 in Kassel erwartet. Vertreter aus den Ländern, die dort als Koordinatoren fungiert haben. Es wird um ein Programm gehen, eine Satzung, einen neuen Namen und um einen Gründungsvorstand. Für alle Punkte sind hinter den Kulissen in den vergangen Wochen in verschiedenen Arbeitsgruppen Vorschläge erarbeitet worden. Der Weckruf sei gut vorbereitet, aber das bedeute nicht, dass er den Schritt auch machen werde, sagt Vereinssprecher Sven Wagner. "Es wird herbeigeschrieben, dass wir auf jeden Fall gründen werden, nee, das liegt in den Händen der Länderkoordinatoren oder der Versammlung, die dann durchaus den Stecker ziehen kann und sagen kann, wir machen nichts, wir gründen nicht. Das wird also ein heiß diskutiertes Wochenende."

    Eine Weckruf–interne Umfrage hat ergeben, dass sich etwa 75 Prozent die Gründung einer neuen Partei neben der AfD wünschen. Die Frage ist nur, ob sich auf Dauer genügend Mitglieder finden, die aus Wunschdenken und Enttäuschung überlebensfähige Strukturen formen.