Archiv

Ex-NSA-Mitarbeiter Binney
Erschreckendes Ausmaß der NSA-Datenspionage

Der Untersuchungsausschuss zur NSA-Ausspähaffäre hat William Binney, einen ehemaligen Mitarbeiter des US-Geheimdienstes, befragt: Binney stellte die Datenüberwachung des US-Geheimdienstes in einen Vergleich mit ähnlichen Praktiken in Diktaturen. "Sie wollen Informationen über alles haben", sagte er. "Das ist wirklich ein totalitärer Ansatz, den man bislang nur bei Diktatoren gesehen hat."

    Der ehemalige technische Direktor der NSA, William Binney, kommt am 03.07.2014 zum NSA-Untersuchungsausschuss des deutschen Bundestags
    Der ehemalige technische Direktor der NSA, William Binney, vor dem Ausschuss. (dpa / Hannibal Hanschke)
    Es sei im Prinzip inzwischen möglich, die gesamte Bevölkerung zu überwachen - nicht nur im Ausland, sondern auch in den USA. Und das widerspreche der Verfassung, betonte der frühere NSA-Mitarbeiter. Bereits kurz nach den Anschlägen vom 11. September 2001 sei mit der massenhaften Datenüberwachung begonnen worden. Das habe ihn damals veranlasst, den Geheimdienst zu verlassen.
    Binney war über 30 Jahre für den US-Geheimdienst tätig. Er und Thomas Drake hatten die Datenspionage der NSA kritisiert, schon bevor Edward Snowden als Ex-NSA-Mitarbeiter die Überwachungspraxis des Geheimdienstes öffentlich machte. Drake, der in den Vereinigten Staaten wegen Geheimnisverrats zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde, erklärte, der Bundesnachrichtendienst arbeite eng mit der NSA zusammen. Die Behauptung, man habe nichts von der massenhaften Datenüberwachung gewusst, sei unglaubwürdig.
    Der SPD-Obmann im Ausschuss, Flisek, und die Linken-Obfrau Renner forderten, dass die Bundesanwaltschaft wegen der Massenüberwachung deutscher Bürger Ermittlungen aufnimmt. Der Grünen-Politiker Ströbele sagte, niemand könne jetzt mehr behaupten, dass die Dokumente des Ex-NSA-Mitarbeiters Edward Snowden falsch seien. Der Obmann der Union, Kiesewetter, kündigte an, dass der Ausschuss im September Zeugen zur Rolle der deutschen Nachrichtendienste befragen werde.
    NSA spähte deutschen Studenten aus
    Kurz vor der heutigen Ausschuss-Sitzung wurde ein weiterer Ausspähfall bekannt: Nach  Recherchen von NDR und WDR späht die NSA auch gezielt Deutsche aus, die sich mit der Verschlüsselung von Daten im Internet befassen. Der Erlanger Student Sebastian Hahn betreibt einen Server für das Anonymisierungsnetzwerk Tor. Damit versuchen Nutzer, ihre Spuren im Netz zu verwischen. Auch Menschenrechtler in Ländern wie dem Iran setzen auf diese Software.
    Hahns Einsatz für Privatsphäre im Internet hat den jungen Mann offenbar zum Ziel der NSA gemacht: Im Quellcode der NSA-Überwachungssoftware XKeyscore sind die Journalisten von WDR und NDR auf Hahns Computer-Adresse gestoßen. Auch alle Nutzer, die auf seinen Server zugreifen, werden den Recherchen zufolge von der NSA markiert und in einer speziellen Datenbank erfasst. Neben Hahns Adresse findet sich im Quellcode der geheimen NSA-Software auch die des deutschen Chaos Computer Clubs.
    Hahn nannte die Ausspähung "schockierend": "Es ist ein Rieseneingriff in meine Privatsphäre, dass alle Verbindungen, die ich mit einem Server, den ich selber betreibe in Deutschland, mitgeschnitten werden von einem ausländischen Geheimdienst."
    If you have ever considered supporting #Tor, now is an excellent time to start. Privacy matters, even yours— Sebastian Hahn (@sebastianhahn) July 3, 2014
    Konstantin von Notz, Obmann der Grünen im NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags, äußerte sich empört über die Ausspähung des Studenten: Die einzige Antwort der Bundesregierung auf die NSA-Affäre laute, die Bürger sollten sich im Internet selbst schützen und ihre Daten verschlüsseln. "Und nun stellen wir fest, dass gerade die, die verschlüsseln und das nutzen, überwacht werden. Das ist pervers und verrückt", sagte von Notz im ARD-"Morgenmagazin".
    Kritik an Kooperationsbereitschaft der Bundesregierung
    Mit Blick auf die Zeugenvernehmung im NSA-Untersuchungsausschuss sagte der Grünen-Politiker, die Bundesregierung sabotiere die Aufklärungsarbeit des Gremiums, indem etwa Whistleblower Edward Snowden nicht nach Deutschland kommen könne. Mit seiner Kritik ist er nicht allein: Parteiübergreifend haben Mitglieder des Untersuchungsausschusses der Regierung mangelnde Kooperationsbereitschaft vorgeworfen. Der Ausschussvorsitzende Patrick Sensburg (CDU) sagte ebenfalls im ARD-"Morgenmagazin", in den bereitgestellten Akten seien viele Passagen geschwärzt worden.
    (nin/kis/DK)