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Ex oriente lux

Aus der Sicht eines Touristen fallen einem zu Turin Schokolade und Nudeln ein, die werden da produziert und eines der ausgefallensten Lokale ist sicher das auf sibirische Küche spezialisierte Sibiriacky in Via Bellezza. Jetzt hat das neue Nationalmuseum für orientalische Kunst in Turin seine Tore geöffnet.

Von Thomas Migge |
    Wie in einem typischen Museum fühlt sich nicht, wer diese Räume betritt. Vielmehr wie am Eingang in coolen, asiatisch angehauchten Restaurants oder eines trendigen Hotels . Über dem Holzfußboden erhebt sich eine Glasdecke, rechts und links von einem breiten Korridor mit gläsernen Wänden wächst Bambus, meterhoch.

    Das ganze Gebäude ist eine Anspielung an die Philosophie japanischer Zen-Gärten. Vorbei am Bambuswald en miniature geht es zu den fantastischen Skulpturen aus dem Gebiet des Gandhara, an der Grenze zwischen Afghanistan und Pakistan - heute eine heißumkämpfte Gegend, in der pakistanische Soldaten Jagd auf Taliban machen. Die Skulpturen zeigen Götterfiguren aus der Zeit zwischen dem zweiten vorchristlichen und fünften nachchristlichen Jahrhundert. Nach Glasboxen mit Schmuckstücken, Bronzen und Terrakotten, ebenfalls aus dem Gandhara, folgen die seltenen Skulpturen der indischen Kushana- und der Gupta-Epochen, aus dem gleichen Zeitraum. Fremdartige Bildwerke, aus einer fernen Welt, die jetzt endlich, nach jahrelangen Restaurierungs- und Renovierungsarbeiten einen repräsentativen Ausstellungsort gefunden haben.

    Während Italiens Regierung die finanzielle Ausgaben für Kunst und Kultur ständig kürzt - die Florentiner Uffizien haben noch nicht einmal genügend Geld, um die laufenden Strom- und Heizungskosten zu begleichen - leistet sich die piemontesische Hauptstadt Turin ein nagelneues Museum für orientalische und asiatische Kunst, das MAO. Sein Direktor ist der Tibet- und Buddhismus-Experte Franco Ricca:
    "Die Entscheidung der Stadt Turin, aus dem Palazzo Mazzonis ein Museum für die Kunst des Orients und Asiens zu machen, fällt in eine Zeit der tiefen Kulturkrise. Überall wird gespart, hier aber hat man verstanden, dass Kultur Investition bedeutet. Dieses Museum ist vielleicht das wichtigste seiner Art in Italien, sicher aber das schönste und beeindruckendste. Asiatische und orientalische Kunst in einem der schönsten Turiner Paläste des 18. Jahrhunderts."
    Der moderne Eingangsbereich ist das Werk des Architekten Andrea Bruno, der für die neue Unterbringung der rund 2000 ausgestellten Kunstwerke verantwortlich zeichnet. Der Besucher des neuen Museums durchschreitet geographische Kulturzonen, fein säuberlich von einander getrennt. Bruno lehnte das anfangs erwogene Konzept des ethnologischen Museums von Paris am Quai Branly ab, in dem auf eine exakte Trennung der Kulturen verzichtet wurde, was dort bei nicht wenigen Museumsbesucher immer wieder für Verwirrung sorgt.

    Im MAO geht es von der afganisch-pakistanischen Grenzregion zunächst nach Indien und dann nach Kambodscha, Thailand und Birma. Das Erdgeschoss mit seinen kleineren Fenstern wird, Objekt für Objekt, bühnenreif ausgeleuchtet. Ganz anders die Lichteffekte im ersten Stock, wo im Barock die adligen Hausherren aus der Familie Solaro della Chiusa residierten. Große und hohe Fenster im französischen Barockstil erhellen mit natürlichem Licht, diskret unterstützt von versteckten Richtstrahlern, die chinesische Galerie, mit Kunstwerken aus dem Neolithikum über die Han-Periode zwischen dem zweiten vorchristlichen und dem zweiten nachchristlichen Jahrhundert bis zum Ende der Tang-Dynastie im neunten Jahrhundert: Vasen und Bronzen, Lackarbeiten und Terrakotten wie man sie in dieser Kunstfertigkeit und in diesem perfekten Zustand nur selten zu sehen bekommt.

    "Das Museum bietet fünf verschiedene Galerien: nach der indischen und chinesischen Kultur geht es nach Japan, in das Gebiet des Himalaya und in die östlich von uns gelegenen islamischen Länder. Die Japan-Sammlung nimmt einen Flügel mit zwei Stockwerken ein. Wir besitzen eine der weltweit schönsten Paravent-Kollektionen aus dem 16. Jahrhundert, aus der Edo-Periode, und große buddhistische Holzskulpturen au dem 12. bis 18. Jahrhundert. Im dritten Stock stellen wir das Himalaya-Gebiet vor, das jahrhundertelang ein Ort war, an dem die verschiedensten Kultureinflüsse zusammenkamen."

    Dank großzügiger Spenden Piemonteser Bankenkonsortien besitzt das neue Museum auch seltene Malereien aus dem Himalaya-Gebiet, sogenannte thang-ka, und kostbare Handschriften aus Tibet und Nepal.

    Die letzte Sektion des MAO zeigt islamisches Kunst und Kunsthandwerk aus dem neunten bis 18. Jahrhundert, darunter Teppiche und ottomanische Stoffe sowie Handschriften.

    Im Unterschied zu anderen Regionen Italiens ist das Piemont zum musealen Aushängeschild des Landes geworden. Ohne auf römischen Geldsegen zu warten, ein ohnehin vergebliches Warten, investieren die Politiker in Kunst und Kultur, in der Hoffnung, mehr Touristen anzulocken. Eine Kulturpolitik, die von großen lokalen Banken unterstützt wird und - das ergaben Untersuchungen - tatsächlich seit einigen Jahren immer mehr ausländische Italienreisende anzieht.