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Ex-Verfassungsschutz-Chef: NPD-Aufmarsch könnte verhindert werden

Friedbert Meurer: Herr Werthebach, Sie haben in Ihrer Zeit auch versucht, NPD-Kundgebungen oder Neonaziaufmärsche zu verhindern. Wie sind denn Ihre Erinnerungen daran?

Moderation: Friedbert Meurer |
    Eckart Werthebach: Ich habe das wiederholt versucht und in der Regel nicht mit großem Erfolg, insbesondere konnte ich nicht verhindern, dass im Januar 2000 die NPD und andere Neonazis durchs Brandenburger Tor marschierten und viele in der Welt sich zurecht aufregten. Das war ja auch dann die Initiative, das Versammlungsgesetz so zu ändern. Heute ist es so und das wird mein Nachfolger dann auch leidvoll ertragen müssen: Er kann praktisch nur zu einem Verbot der Veranstaltung am 8. Mai kommen, wenn er genügend Anhaltspunkte hat und diese belegen kann, dass aus der Versammlung heraus am 8. Mai Straftaten begangen werden. Insofern kann ich Herrn Wiefelspütz nicht zustimmen, der meint, das geltende Recht gäbe es ohne weiteres her, diese Demonstration der NPD am 8. Mai zu verbieten.

    Meurer: Wie sehr würde sich Ihre Einschätzung ändern, wenn das Versammlungsrecht geändert würde?

    Werthebach: Es ist so, dass wir eine Präzisierung des Versammlungsrechts brauchen. Wir können nicht grundlegend das Versammlungsgesetz ändern, das hat das Bundesverfassungsgericht durch seine Entscheidung verhindert, aber wir können es präzisieren, indem wir sagen, wir richten besondere befriedete Bezirke ein, ähnlich der Bannmeile, wie sie früher für Parlamente bestand, wie es in den Olympiastätten bei olympischen Spielen der Fall war, wie es an Sonn- und Feiertagen bei den Kirchen ist, dass man zum Beispiel das Brandenburger Tor als das Tor der Deutschen wegen seiner herausragenden nationalen Bedeutung zu einem befriedeten Bezirk erklärt, wo in der Regel Demonstrationen nicht stattfinden dürfen. Und schauen Sie: Wenn Sie das Brandenburger Tor durch eine neue gesetzgeberische Initiative nicht erfassen, dann sind wir ja wieder unmittelbar am Holocaustdenkmal und da will ja wohl niemand, dass dort Rechtsextremisten demonstrieren dürfen.

    Meurer: Würde es denn ausreichen, die Bannmeile des Bundestages auszuweiten, kann man dann auf strafrechtliche Verschärfungen verzichten, zum Beispiel beim Paragraphen der Volksverhetzung?

    Werthebach: Sie haben völlig recht, zunächst einmal, wenn man die Bannmeile so groß schneiden würde, wie sie in Bonn geschnitten war, dann könnte man sehr wohl Brandenburger Tor und Holocaustdenkmalgelände erfassen und man könnte auf jede eigenständige Strafvorschrift verzichten, denn dann entschiede entweder der Bundestagspräsident oder der Bundesinnenminister oder beide gemeinsam darüber, ob ausnahmsweise doch Demonstrationen stattfinden dürfen. Die Idee, eine Strafvorschrift zu schaffen, die der Bundesinnenminister und die Bundesjustizministerin in die Diskussion geworfen haben, hängt ganz einfach mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zusammen, denn dieses sagt, nur dann, wenn eine Strafvorschrift verletzt wird oder droht, verletzt zu werden, nur dann kann eine Versammlung verboten werden. Wie gesagt: große Bannmeile oder eigenständige befriedete Bezirke würden solche Überlegungen, neue Strafvorschriften auszuwerfen, überflüssig machen.

    Meurer: Eine Bannmeile könnte von der NPD umgangen werden, dann wird eben andernorts demonstriert, das ist vielleicht weniger symbolträchtig, hätte aber gleichwohl natürlich auch eine gewaltige Wirkung. Was die Volksverhetzung angeht, stößt man da doch an enge Grenzen, was den Artikel fünf des Grundgesetzes angeht, nämlich das Recht auf eine freie Meinung?

    Werthebach: Völlig richtig. Das Bundesverfassungsgericht hat immer wieder gesagt, dass Erklärungen im Zusammenhang mit dem Versammlungsrecht nicht nur von Artikel acht sondern auch im Schutz des Artikel fünf stehen, dem freien Meinungsäußerungsrecht. Insofern sind alle Strafvorschriften, die jetzt neu geschaffen wurden, sehr schwierig, weil nur ein ganz schmaler Handlungs- oder Entscheidungsspielraum besteht und an den Bestimmtheitsgrundsatz (dieser besagt, jeder muss durch das einfache Lesen einer Strafvorschrift erkennen können, ob er sich strafbar macht oder nicht, ob er den Tatbestand, der dort beschrieben ist erfüllt durch bestimmte Handlungen) von Strafnormen ganz hohe Anforderungen gestellt sind. Wenn ich an die Strafvorschriften zu hohe Anforderungen stelle, führt das dazu, dass der einfache Leser oder Bürger sich strafbar macht, ohne dass er das überhaupt erkennen kann. Deswegen sind so hohe Erfordernisse oder Voraussetzungen an die Bestimmtheit von Straftatbeständen gesetzt worden.

    Meurer: Was schlagen Sie vor beim Thema Volksverhetzung?

    Werthebach: Ich schlage vor, dass wir mit dieser Form einfach leben müssen, dass wir uns aktiv politisch mit ihnen und vor allem mit denen, die gefährdet sind, von diesen Volksverhetzern verführt zu werden, politisch auseinandersetzen. Wir werden nicht jede bösartige Unform des Rechtsextremismus unter Strafe stellen können, wir müssen nur verhindern, dass dieses dann auch noch weltweit Aufmerksamkeit gewinnt.

    Meurer: Also im Klartext: Bei der Volksverhetzung sehen Sie keine Möglichkeit, effektiv das Strafrecht zu verschärfen?

    Werthebach: Das ist meine Meinung, weil es rechtlich ungeheuer schwierig ist und wir auch tatsächlich das eher ertragen können als Fahnen schwingende und trommelnde Rechtsextremisten unterm Brandenburger Tor. Wir sollten uns insofern auf eine Präzisierung und Konkretisierung des Versammlungsrechts beschränken.

    Meurer: Nach Ihren Erfahrungen von damals, wie fatal wäre es, wenn am 8. Mai Bilder von Neonazis in Berlin um die Welt gehen?

    Werthebach: Sie können das den Ausländern, selbst unseren Freunden in Frankreich, Großbritannien und Amerika und erst recht nicht in Israel, nicht vermitteln. Sie fragen: Warum könnt ihr das nicht verhindern und verbieten? Das sind doch nun terroristische Organisationen gewesen. Und man kann ihnen dann nur sehr schwer die deutsche Rechtslage klarmachen. Deswegen wäre es so wichtig, das Versammlungsrecht jedenfalls insofern zu präzisieren, dass an diesen Orten solche Demonstrationen nicht stattfinden können.