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Exekution in Leipzig

Noch bis in die 1980er Jahre gab es auf deutschem Boden die Todesstrafe - und zwar in der DDR. Wie im gesamten Ostblock konnten Delinquenten für schwere Verbrechen hingerichtet werden, zum Beispiel für Mord, Spionage und Geheimnisverrat. Die Exekutionen erfolgten in Leipzig.

Von Ralf Geißler | 17.07.2007
    Das ehemalige Gefängnis in der Alfred-Kästner-Straße im Leipziger Süden: Tobias Hollitzer vom Bürgerkomitee Leipzig öffnet eine schwere Stahltür. Ausschließlich hier hat die DDR-Justiz seit den 60er Jahren ihre Todesurteile vollstreckt.

    "Das sind dann also hier die eigentlichen Hinrichtungsräume. Das heißt, der zum Tode Verurteilte ist unmittelbar vor der Hinrichtung hier nach Leipzig gebracht worden. Ihm ist hier mitgeteilt worden, dass sein Gnadengesuch abgelehnt worden ist, dass die Hinrichtung bevorsteht. Er hat hier gegebenenfalls einen letzten Brief schreiben dürfen, die aber in der Regel nicht abgesendet worden sind, sondern sich nach 1990 bei den staatsanwaltschaftlichen Akten befunden haben."

    Die Hinrichtungen waren streng geheim. Obwohl das Gefängnis in einem dicht bewohnten Viertel steht, wussten nur wenige Eingeweihte, was hinter den Mauern geschah. Der letzte Verurteilte wurde hier 1981 hingerichtet. Sechs Jahre später, am 17. Juli 1987, hat die DDR die Todesstrafe aus dem Gesetz gestrichen. Das geschah auf internationalen Druck hin. Die UNO hatte die Todesstrafe als unmenschlich kritisiert. SED-Generalsekretär Erich Honecker wollte zudem im Herbst 1987 die Bundesrepublik besuchen. Die Abschaffung der Todesstrafe war ein Zugeständnis an den Westen, das Stasi-Chef Erich Mielke nur ungern erbrachte. Mitschnitt aus einer Offiziersversammlung:

    "Wir sind nicht gefeit leider, dass mal ein Schuft unter uns sein kann. Wir sind nicht gefeit davor, leider. Wenn ich das schon jetzt wüsste, der würde schon morgen nicht mehr leben. Ganz kurz. Prozess. Das ganze Geschwafel von nicht Hinrichten und nicht Todesurteil. Alles Käse, Genossen."

    Historiker schätzen, dass in der DDR mehr als 160 Menschen hingerichtet wurden. Genaue Zahlen gibt es nicht. Die wenigsten der Verurteilten waren Regime-Gegner, sagt der Direktor des Zeitgeschichtlichen Forums Leipzig, Rainer Eckert.

    "Die Todesstrafe gab es in drei großen Bereichen. Das eine waren NS- oder Kriegsverbrechen. Das zweite war Mord. Und das dritte waren Staatsverbrechen. Zu den Staatsverbrechen gehörte etwa Spionage, Geheimnisverrat im massiven Fall."

    Fast keiner der Angeklagten erhielt ein rechtsstaatliches Verfahren. Das Urteil stand in der Regel schon zu Prozessbeginn fest.

    "Wir können in verschiedenen Fällen nachweisen, dass vor dem Urteilsspruch die Entscheidung über die Todesstrafe im Politbüro oder damals durch den Generalsekretär des ZK der SED, Walter Ulbricht, persönlich gefällt wurde."

    Das letzte Todesurteil 1981 fiel gegen Werner Teske, einen Stasi-Offizier, der in den Westen überlaufen wollte. Die Richter hatten Teske geraten, ein umfassendes Geständnis abzulegen. Ausführlich legte Teske seine Fluchtpläne offen. Den Prozess ließ das Gericht aufzeichnen.

    "Ich bitte den hohen Senat bei seiner Urteilsfindung, mir die Chance einzuräumen, eben noch einmal die Möglichkeit zu geben, ein Leben mir einzurichten, in dem ich voll den gesellschaftlichen und gesetzlichen Normen der DDR entspreche."

    Die Bitte wurde abgelehnt. Teskes Leben endete im Gefängnis in Leipzig. Tobias Hollitzer:

    "Wenn die Hinrichtung dann unmittelbar bevorstand, dann ist der Hingerichtete aus diesem Raum hier mit freiem Oberkörper mit so einer Art Lederriemen über der Brust gefesselt in diesen eigentlichen Hinrichtungsraum hier gebracht worden."

    Mit einem Schuss in den Hinterkopf tötete ein Henker den Verurteilten. Anschließend fälschte ein Arzt den Totenschein. In der Regel vermerkte er dort Herzversagen. Der Tote wurde anonym auf dem Leipziger Südfriedhof bestattet. Die Angehörigen erfuhren davon nichts. Sie glaubten oft, der Verurteilte lebe noch abgeschottet im Gefängnis.

    "Diese anonyme Einäscherung war es schlussendlich auch, dass das Ganze hier nach 1990 aufgedeckt worden ist. Weil: Es waren die Krematoriumsmitarbeiter, die entsprechend Anzeige erstattet hatten, weil sie selbst noch davon ausgingen, dass die Staatssicherheit hier unliebsame Mitbürger, Regimegegner oder was auch immer hat heimlich einäschern lassen, die sie vorher umgebracht hatten."

    Nach der Wiedervereinigung mussten sich zwei DDR-Juristen für die Todesstrafe vor Gericht verantworten. Ergebnis: Vier Jahre Haft wegen Rechtsbeugung und Totschlags. Das Berliner Landgericht kam zu dem Urteil, dass selbst nach den strengen DDR-Gesetzen die Todesstrafe in mindestens zwei Fällen zu Unrecht verhängt wurde.