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Exellenz oder Endzeitstimmung

Der Physiker Peter Grünberg hat den Nobelpreis verliehen bekommen. Geforscht hat der Wissenschaftler in Deutschland, finanziell genutzt wurde seine Forschung jedoch weitgehend von amerikanischen Firmen - ein typisches Phänomen für die Industrie hierzulande und den Forschungsstandort Deutschland. Exellenzinitativen und Fördergelder sollen junge Wissenschaftler nun wieder zurück ins Land locken.

Von Frank Grotelüschen, Armin Himmelrath und Britta Mersch; Am Mikrofon: Thilo Kößler | 09.10.2007
    Wie freut sich ein frisch gebackener Nobelpreisträger? Das klang im Deutschlandfunk so:

    "Teils überrascht, teils - ich hatte ja schon ein paar Preise vorher bekommen, und da hieß es ja immer: Aber jetzt fehlt nur noch einer und so, nicht? Also, insofern war man schon ein bisschen darauf eingestellt. Aber natürlich hat es mich dann in der Endphase doch überrascht."

    Der Physiker Peter Grünberg, 68 Jahre alt: Er ging nur kurz ins Ausland und kehrte zurück an seine Wirkungsstätte. Heute bekam er den Nobelpreis für Physik, den zweiten, der innerhalb von drei Jahren an einen Deutschen ging. Und das sagt ein Kollege im Forschungszentrum Jülich über ihn und diesen Preis:

    "Das ist natürlich eine große Aufregung hier im Forschungszentrum. Man hätte das ja nie gedacht, dass wir den Physik-Nobelpreis nach Jülich bekommen. Und alle sind da einfach ganz aus dem Häuschen, stehen auf dem Flur und gratulieren Peter Grünberg."

    Der Forschungsstandort Deutschland - seinen Preis wert, diesen Preis wert? Das ist das Thema unserer Sendung "Hintergrund" an diesem Dienstag. Am Mikrofon begrüßt Sie Thilo Kößler, einen schönen guten Abend.

    Für Peter Grünberg, den Physicus emeritus, der sich den Preis mit seinem französischen Kollegen Albert Fert teilt, sorgte diese Auszeichnung für einen der schönsten Momente seines Lebens. Für seinen ehemaligen Arbeitgeber, den Präsidenten der Helmholtz-Gesellschaft, ist der Nobelpreis ein Beleg für die Leistungsfähigkeit deutschen Wissens. Und aus den Glückwünschen von Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach auch ein wenig die Kollegin Physikerin: Hier könne man denn sehen, wie Grundlagenforschung zur täglichen Anwendung führt, sagte sie. In der Tat, ohne die Forschungen der diesjährigen Physik-Nobelpreisträger wäre die riesige Speicherkapazität auf den Festplatten moderner Computer ebenso wenig denkbar wie die ganze mp3- und iPod-Industrie. In nur zehn Jahren legte die Erfindung Grünbergs den Weg aus dem Labor in die Alltagswelt zurück. Der Erfolg führte freilich über den Umweg USA. Und das ist symptomatisch, wie Frank Grotelüschen beschreibt:


    Großes Geschäft für IBM
    Es begann wie eine typische Geschichte aus dem Labor eines deutschen Grundlagenforschers. 1987 untersuchte Peter Grünberg am Forschungszentrum Jülich magnetische Schichten, die aufgebaut sind wie ein Sandwich: zwei Eisenfilme getrennt durch eine Chromschicht, die nur einen Nanometer dünn ist, ein millionstel Millimeter. Zunächst entdeckte der Physiker, dass, sobald er ein Magnetfeld anlegte, die beiden Eisenschichten nicht wie erwartet gleich reagierten, sondern genau entgegengesetzt. Das sollte sich, so dachte sich Grünberg, auch auf eine andere physikalische Größe auswirken, den elektrischen Widerstand.

    "Dann hatte ich diese Diplomandin und habe ihr das gesagt, sie möchte doch bitte mal diese Schichtungen darauf untersuchen. Bis sie eines Morgens dann auch kam: Ich habe hier einen großen Effekt! Und ich habe gesagt: Das ist es, das ist unser Effekt, den wir gesucht haben! Wir hatten das etwa um die Jahreswende 1987/88 zum ersten Mal gesehen. Und wir haben dann sofort gesagt, und mein Chef hat mich darin auch bestätigt: Das ist natürlich ein Effekt, der riecht nach Anwendungen. Jetzt gehen Sie sofort zum Patentamt."

    Fast am gleichen Tag wie Grünberg entdeckte der Physiker Albert Fert in Paris den Effekt ebenfalls - und bezeichnete ihn als Riesenmagnetowiderstand, kurz GMR. Rasch wurde den Physikern die Tragweite der Entdeckung klar. Im Prinzip nämlich lässt sich der Effekt dazu nutzen, neue, empfindlichere Leseköpfe für Festplatten zu konstruieren. Und mit diesen neuen Leseköpfen wären dann Festplatten mit deutlich höherer Speicherkapazität möglich. Eine Revolution in der Computertechnik.

    Die Industrie jedenfalls reagierte schnell - zumindest der amerikanische Computerkonzern IBM, erinnert sich Peter Grünberg.

    "Ich habe damals auch gemerkt: Die IBM-Leute, ständig hatten die die Ohren gespitzt, das hat man denen richtig angemerkt. Die sind also schnell, das muss ich sagen. Leider ist die deutsche Industrie nicht so schnell."

    Bereits im Herbst 1988 veranstaltete IBM einen Workshop mit allen Forschern, die etwas mit dem GMR-Effekt zu tun hatten.

    "Alle, die daran beteiligt waren - die Franzosen, wir - wurden eingeladen zu einer Konferenz bei Nizza, ein sehr schöner Ort in den Bergen, oberhalb von Nizza. Man hat auf das Mittelmeer hinunterschauen können, das war toll. Und die haben uns da richtig ausgequetscht: Was habt Ihr da gesehen? Wie ist das? Und so was."

    Das Resultat: Mit vollen Kräften stieg IBM in die Technik ein und entwickelte sie weiter.

    "Wir haben dann die Leseköpfe auf Basis des GMR-Effekts entwickelt","

    sagt IBM-Forscher Stuart Parkin.

    ""Für diese Leseköpfe braucht man Materialien, die auf sehr kleine Magnetfelder reagieren, Magnetfelder, die nur zehn bis 20 Mal so groß sind wie das Erdmagnetfeld. Genau diese Materialien haben wir bei IBM entwickelt, und zwar in meinem Labor."

    1997 brachte das Unternehmen das erste Produkt auf den Markt - eine Festplatte mit einer Kapazität von zehn Gigabyte - für damalige Verhältnisse ein Durchbruch. Heute kommt der GMR-Effekt in nahezu jeder Festplatte zum Einsatz. Die besten Festplatten bringen es auf eine Kapazität von 1.000 Gigabyte - soviel wie 200 DVDs.

    Zwar bescherte das Patent von 1988 dem Forschungszentrum Jülich Lizenzeinnahmen von mehr als zehn Millionen Euro. Aber das wirklich große Geschäft haben ausländische Firmen wie IBM gemacht. Eine Geschichte gar nicht untypisch für die deutsche Forschungslandschaft. Auch bei anderer Gelegenheit haben deutsche Forscher mit ihren Erfindungen und Patenten die Grundlagen geschaffen. Aber in Produkte und klingende Münze umgesetzt wurden diese Patente dann oft genug von japanischen oder amerikanischen Firmen. Ein Paradebeispiel dafür ist das Faxgerät.

    Nun versucht man in Deutschland diesen Trend in den letzten Jahren verstärkt umzukehren. So haben Unternehmen und Forschungsinstitute vor einiger Zeit eine konzertierte Aktion gestartet, um eine neue Generation von Flachbildschirmen bis zur Marktreife zu entwickeln, die sogenannten OLED-Displays. Nur, das erste Produkt kommt doch wieder aus Übersee - ein kleiner Fernseher auf OLED-Basis, vor ein paar Tagen vorgestellt vom japanischen Technologiekonzern Sony.

    Frank Grotelüschen schilderte den Weg vom Forschungsobjekt zum Handelsartikel.

    Peter Grünberg war von den Erfolgsaussichten seiner Erfindung immer überzeugt, und doch ist eine derart steile Karriere einer wissenschaftlichen Idee eher die Ausnahme als die Regel, zumal sie "made in Germany" ist. Aber das ist nur ein Dilemma des Forschungsstandortes Deutschland. Wer gut ist, geht. Britta Mersch und Armin Himmelrath über Versäumnisse und Verheißungen in der deutschen Forschungslandschaft.


    Werben um Exzellenz
    Mathias Kleiner gehört zu den einflussreichsten Akteuren der deutschen Forschungslandschaft. Als Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft entscheidet er nicht nur über rund 1,3 Milliarden Euro Fördergelder pro Jahr. Darüber hinaus nimmt er auch Einfluss auf die wissenschaftspolitische Entwicklung, wenn er sich, wie zuletzt im Juli, beispielsweise zum Forschungsnachwuchs äußert.

    "Was mir im Moment wirklich am meisten durch den Kopf geht und auch mein Herz bewegt, ist: Wie können wir es hinbekommen, dass wir junge Leute in Deutschland, junge Leute in der Wissenschaft noch besser behandeln können."

    Gut behandelt werden sie bisher nicht. Viele Doktoranden und Habilitanden stehen in Deutschland vor einer schwierigen Situation. Auch wenn ihnen die deutschen Universitäten gute Ausbildungschancen bieten, blicken sie danach, was die Karriere in der Wissenschaft angeht, in eine unsichere Zukunft. Der Weg zur Professur oder zu einer Stelle in einem Forschungsinstitut ist steinig: Er führt über Zeitverträge, schlechte Bezahlung und die ständige Angst, aus dem System herauszufallen.

    In anderen Ländern sind die Rahmenbedingungen weitaus besser als in Deutschland. Beispiel USA: Wissenschaftler schwärmen von einem besseren Forschungsklima und auch die Bezahlung für die Nachwuchskräfte ist an den finanziell besser ausgestatteten Einrichtungen deutlich attraktiver als hierzulande. Zudem, sagen viele, sei es einfacher, Forschungsnetze mit renommierten Wissenschaftlern an den Elite-Universitäten der USA aufzubauen. So ist es kein Wunder, dass viele gute Nachwuchsforscher Deutschland verlassen und das Land viel investieren muss, um den Forschungsstandort wieder attraktiv zu machen. Eines der wichtigsten Projekte dazu ist die Exzellenzinitiative, bei der bis 2011 1,9 Milliarden Euro in die deutsche Spitzenforschung fließen sollen.

    Bund und Länder hatten das Programm beschlossen, um den Wissenschaftsstandort Deutschland dauerhaft zu stärken und ihn international wettbewerbsfähig zu machen. In der ersten Runde wurden bereits die Technische Universität München, die Ludwig-Maximilians-Universität in München und die Technische Hochschule Karlsruhe mit dem begehrten Elite-Titel ausgezeichnet. Verbunden sind damit jeweils Fördergelder von deutlich über 100 Millionen Euro für fünf Jahre.

    Ende der kommenden Woche wird sich nun abermals entscheiden, an welchen Universitäten die Sektkorken knallen können. Dann werden die Deutsche Forschungsgemeinschaft und der Wissenschaftsrat verkünden, wer in der zweiten Wettbewerbsrunde das Rennen als Elite-Uni macht. Kritiker bemängeln jedoch, dass exzellente Forschung alleine nicht ausreicht, um die Abwanderung von Spitzenkräften dauerhaft zu stoppen. Bundespräsident Horst Köhler etwa warnt vor zu viel Euphorie und stellt klare Forderungen an die Politik, in Zukunft weitere Initiativen dieser Art ins Leben zu rufen.

    "In künftigen Wettbewerben könnten sich dann ganz andere Ranglisten ergeben. Zumal dann, wenn zum Beispiel die Exzellenzkriterien passgenauer für die Geistes- und Kulturwissenschaften sind und wenn statt der Forschung auch die herausragende Lehre eine Rolle spielt."

    Exzellenz in der Lehre - eine Forderung, für die sich schon viele Bildungspolitiker stark gemacht haben. Sie bemängeln, dass Forscher in Deutschland ihre Reputation hauptsächlich über ihre wissenschaftliche Arbeit erlangen - die Lehre bleibt da oft auf der Strecke. Leidet jedoch die Lehre, ist auch der Nachwuchs in Deutschland schlecht ausgebildet. Und so hat Deutschland ein Wissenschaftssystem herausgebildet, das Forschern aus dem In- und Ausland nicht gerade optimale Bedingungen bietet. Während in den USA, in Frankreich oder Großbritannien etwa ein Drittel der Nachwuchsforscher aus dem Ausland kommt, sind es in Deutschland nur 14 Prozent aller Doktoranden. Christian Bode, Generalsekretär des Deutschen Akademischen Austauschdienstes, möchte jedoch nicht von einem speziell deutschen Problem sprechen:

    "Wir liegen etwas zurück, was die Attraktivität für internationale junge Wissenschaftler betrifft. In einzelnen Disziplinen machen sich hier auch Engpässe breit. Ich könnte es aber auch positiv mal so formulieren: Wir haben durch die Forschungsförderung, durch neue Initiativen auch außerhalb der Universitäten mehr Möglichkeiten, jetzt gute junge Forscher an uns zu binden. Wir rechnen mit ungefähr 6000 Plätzen, die in neuer Form in der Promotion angeboten werden können. Da muss es unser Interesse sein, die besten aus der Welt dorthin zu bekommen."

    Darüber hinaus gibt es spezielle Programme für Nachwuchsakademiker, die ihnen einen Anreiz bieten sollen, ihren Forschungsschwerpunkt nach Deutschland zu verlegen. Ein Beispiel ist die Helmholtz-Gemeinschaft: Zu ihren Zentren für Grundlagenforschung gehört auch das Forschungszentrum Jülich, in dem Peter Grünberg lange Jahre gearbeitet hat. Die Helmholtz-Zentren, sagt deren Präsident Jürgen Mlynek, setzen ganz besonders auf Nachwuchsförderung.

    "Wir haben bei Helmholtz Nachwuchsgruppen eingerichtet, 70, es werden hundert werden, wo man ohne Habilitation dann auch eigenständig mit einer eigenen Arbeitsgruppe im Alter von Anfang 30 arbeiten kann. Was ich mir wünschen würde ist, dass sich damit eine längerfristige Perspektive verbindet, beruflich. Dass die, die gut sind und die man halten möchte, nicht nur Verträge bekommen mit ein oder zwei Jahreslaufzeiten, sondern dass die eine Perspektive bekommen, gerade auch, was Wissenschaftlerinnen anbetrifft."

    Attraktivere finanzielle Rahmenbedingungen sind ein anderes Mittel, gute Forscher nach Deutschland zu locken. Der Sofia Kovalevskaja-Preis ist weltweit einer der am höchsten dotierten Wissenschaftspreise. Verliehen wird er seit 2001 an exzellente Forscher, die im Ausland arbeiten. Sie bekommen bis zu 1,2 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, wenn sie bereit sind, für vier Jahre ein Forscherteam in Deutschland zu leiten. 57 Wissenschaftler haben diesen Preis bisher bekommen - und die finanziellen Anreize zeigen Wirkung. Rund zwei Drittel der Kovalevskaja-Forscher, die ihr Projekt inzwischen beendet haben, sind danach in Deutschland geblieben. Einer von ihnen ist Lucas Brunsveld, der als Molekularphysiologe aus den Niederlanden nach Deutschland kam. Mit Hilfe des Preises baute er sich am Max-Planck-Institut in Dortmund eine eigene Arbeitsgruppe auf. Mit seiner Standort-Wahl ist er äußerst zufrieden.

    "Es gibt natürlich schon Verbesserungsansätze, die wirklich auch genommen werden müssen. Aber vom Grund her ist die Wissenschaft und Wissenschaftsqualität in Deutschland sehr gut. Zum Beispiel am Max-Planck-Institut in Dortmund, wo ich bin, sind es hervorragende Bedingungen, Forschung zu tun. Da ist die Elite der Weltforschung. Mehr als die Hälfte sind Ausländer, die kommen nach Dortmund, um da zu forschen, und da möchte ich gerne ein Teil davon sein."

    Ein offenbar gut funktionierendes Programm zur Stärkung des Wissenschaftsstandorts Deutschlands, das jedoch mit erheblichen Kosten verbunden ist. Zwar läuft derzeit die vierte Ausschreibungsrunde für den Kovalevskaja-Preis, doch letztlich ist es immer wieder eine politische Entscheidung, ob diese Art von Rückkehrhilfe für Spitzenforscher aus dem Ausland zur Verfügung gestellt wird. Bei den verantwortlichen Wissenschaftspolitikern scheint es also durchaus die Bereitschaft zu geben, viel Geld in Spitzenforschung zu investieren. Das Problem ist nur: Um den Standort Deutschland dauerhaft zu stärken, reicht es nicht, nur einige wenige Köpfe zu unterstützen. Denn ähnlich wie beim Sport gilt auch in der Wissenschaft: Nur wer in der Breite gut aufgestellt ist, schafft damit die Basis, um auch dauerhaft in der höchsten Liga mitspielen zu können.

    Forschungsstandort Deutschland besser als sein Ruf
    Britta Mersch und Armin Himmelrath über den Forschungsstandort Deutschland. Da gibt es Licht- und Schattenseiten - wir haben es gehört. Und darüber wollen wir reden mit dem Leiter der Forschungsredaktion des Deutschlandfunk, mit Ulrich Blumenthal. Lassen Sie mich vielleicht Bildungsministerin Annette Schavan zitieren, die da sagt: Deutschland ist ein hervorragender Standort für Spitzenforscher. Gibt ihr dieser Nobelpreis Recht, ist er zumindest besser als sein Ruf?

    "Also, der Nobelpreis zeichnet ja eigentlich Arbeiten aus, die acht Jahre zurückliegen. Insoweit ist diese Auszeichnung heute an Grünberg erstmal ein Seismograf, welchen Stand, welche Qualität wir vor acht bis zehn Jahren hatten. Das muss man so hinnehmen. Wenn sich das Nobelpreis-Komitee entscheidet, zwar Grundlagenforschung auszuzeichnen, die aber stärker doch angewandtere Aspekte hat, dann werden wir vielleicht in sechs, sieben Jahren oder in fünf Jahren darüber nachdenken und auf einmal wieder Preisträger hier aus Deutschland nennen können und sagen: Gut, es gibt eine stärkere Dynamisierung der deutschen Preisträger und damit vielleicht dann auch einen besseren Standort. Ich denke - um dieses Thema aus dem Beitrag aufzugreifen - die Breite ist es, wie im Leistungssport, und da sind natürlich Zahlen schon problematisch, wenn man hört, dass 2,2 Milliarden Euro durch Studienabbruch verursacht wird, dass nur 30 von 100 Studienanfängern das Studium auch mit Abschluss abschließen. Dann kann man sagen: Die Breite? Wir haben also dort ein Problem. Auch die Zahl der Studienbeginner in naturwissenschaftlichen Fächern, also Physik, Chemie, beispielsweise, die hat natürlich dramatisch abgenommen. Aber wir müssen uns nicht wundern, wenn wir in gewisser Weise eine Gesellschaft mit geringer Begeisterungsfähigkeit für Wissenschaft und Technik sind. Da haben wir eine Tradition. Die haben wir einfach aufgegeben. Der Ingenieur, der aus Deutschland kommt, der in Deutschland arbeitet, der gilt eigentlich im eigenen Lande nicht mehr viel, und wir betonen eher die Risiken denn die Chancen von Wissenschaft und Technik."

    Wir haben von der dramatischen Abwanderung gehört, die ja wirklich alarmierend ist. Man muss an die Ursachen gehen, heißt es immer wieder, nicht an den Symptomen kurieren. Was heißt denn das? Wir haben vom Forschungsklima gehört. Aber wie steht es um die finanzielle Ausstattung? Wie steht es um die Belastung von zuviel Lehre, was immer wieder zu hören ist?

    "Ich denke, wir haben schon einige Zahlen gehört. Die Exzellenzinitiative, dieser Leuchtturm, wo man Universitäten fit machen will, wo man natürlich dann auch Exklusivität schafft und wo man darüber diskutieren muss in Zukunft: Was macht die Breite der Universitäten? Also haben wir Exzellenz und Breite, die ausbildet - eine Frage, die man auf jeden Fall diskutieren muss. Man muss aber auch ganz stark den europäischen Aspekt und den europäischen Ball spielen. Der Europäische Forschungsrat, ERC, der hat einen Etat von sieben Milliarden Euro in den nächsten sieben Jahren. Und davon gibt er ein Drittel nur für die Förderung von jungen Forschern aus. Aus rund 9000 Anträgen in den letzten drei, vier Monaten hat man rund 600 Anträge in einer ersten Runde evaluiert. Und das sind natürlich schon Dimensionen. 300 Millionen Euro für junge Forscher, die dann zwei bis sechs Jahre damit arbeiten und eigene Arbeitsgruppen aufbauen können, das halte ich schon für doch eine sehr dichte und für eine kritische Masse, die dort entsteht. Und es gab im September in Boston ein Treffen mit deutschen Wissenschaftlern, die in den USA arbeiten. Und die Bilanz, die dann selbst von den deutschen Teilnehmern gezogen wurde, heißt: Der Wandel in Deutschland ist umfassender als viele glauben, also, der Standort ist eigentlich besser. Man spürt das Interesse aus Deutschland heraus, nach Amerika zu gehen und wieder Leute zurückzuholen. Die Angebote sind, glaube ich, da. Die Frage ist nur, sie wahrzunehmen und die Flexibilität und auch die Vielfalt, die inzwischen in diesem Wissenschaftssystem in Deutschland steckt, dann auch nach außen zu transportieren, bekannt zu machen."

    Ein Punkt ist sicherlich, die Leute nicht nur wieder zurückzuholen, sondern auch zu halten. Ein Schlüsselwort ist da sicherlich die feste Stellung. Wie ist es darum bestellt?

    "Da gibt es diese Juniorprofessur. Da wird man Ende 2008 erste Erfahrungen sammeln können. Aber es zeigt sich, dass zwar die Zahlen konstant bleiben, aber dass es ein Mittel ist, junge Wissenschaftler hier in Deutschland zu halten, sie auszustatten. Es geht um Flexibilität, auch um ganz einfache Ideen, um, beispielsweise wie an der Uni Bochum, ein Welcome-Center, wo ich mich, wenn ich als Wissenschaftler aus Deutschland aus dem Ausland komme, eigentlich um nichts mehr kümmern muss, wo sozusagen dann ein Concierge ist, dem ich alle meine Probleme auf den Tisch lege und sage: Ich mache Wissenschaft, du machst den Rest und du hilfst mir - vom Kindergarten über die Wohnung bis zum Umzug - all diese ganzen Sachen. Es können also auch teilweise Kleinigkeiten sein, über die man dann wirklich Attraktivität herstellt. Und eine ganz große Frage, die auch auf diesem Treffen der jungen Wissenschaftler in den USA dann eine Rolle spielte, ist die Frage, wie können wir das System so öffnen, dass wir einerseits genügend Freiräume für die jungen Forscher schaffen - ganz, ganz wichtig - aber auch auf die Erfahrenen nicht verzichten müssen. Denn Theodor Hänsch, der Nobelpreisträger 2005, dem lag ein Angebot aus den USA vor, und er sollte dort hingehen, und man hat eine Möglichkeit gefunden, dass er hier bleibt."

    Das war die Sendung Hintergrund an diesem Dienstag. Ich bedanke mich bei Ulrich Blumenthal, dem Leiter der Forschungsredaktion des Deutschlandfunk. Ich bedanke mich für Ihr Interesse. Am Mikrofon war Thilo Kößler. Einen schönen guten Abend.