Donnerstag, 11. April 2024

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exil.arte Zentrum in Wien
Komponieren als psychologisches Gegengift

Die beiden Komponisten Robert Fürstenthal und Walter Arlen verließen im Zweiten Weltkrieg Wien und gingen ins Exil. Ihre Musik war eine Möglichkeit, das Erlebte zu verarbeiten. Die fast vergessenen Werke spielt das Zentrum exil.arte ein und widmet insgesamt 50 Exil-Musikern eine Ausstellung.

Von Bernhard Doppler | 13.11.2017
    Alte Koffer, aufgenommen am 17.01.2008 im brandenburgischen Marwitz.
    Robert Fürstenthal und Walter Arlen haben beide im Exil für die Schublade komponiert. (picture alliance / dpa / Britta Pedersen)
    "Gänzlich ungeeignet!", "Krank und überflüssig!", "Frau Halbjüdin, politisch untragbar!", "Pensionierung (gänzlich veraltet 62 Jahre)!", "Jazzposaune, Frau Jüdin!", "überflüssig, kein guter Lehrer!".
    Eintragungen des Wiener Musikwissenschaftlers und Institutsleiters Alfred Oren 1938 zu seinen jüdischen Kollegen, Lehrern, Musikern, Forschern in deren Personalakten auf Wunsch der Nationalsozialisten. 60 Kollegen, die sofort nach dem Anschluss Österreichs an Hitlerdeutschland entlassen und durch arische ersetzt wurden. Nur die wenigsten konnten nach 1945 an die alte Wirkungsstätte zurück, die Stellen waren ja seit 1938 besetzt.
    "Und das allerschlimmste, ich habe hier 1972 die Aufnahmeprüfung gemacht, und eine Vielzahl von diesen Leuten hat noch unterreichtet, als ich studiert habe."
    "Es ist eine Auseinandersetzung mit dem Vermächtnis"
    So der Musikproduzent und Musikwissenschaftler Michael Haas. Er führt mich durch die Eröffnungs-Ausstellung des neuen exil.arte Museums "Wenn ich Musik komponiere, bin ich wieder in Wien." Als große Tafel sind dort Alfred Orens erschreckend boshafte Personal-Notizen zu sehen. Das exil.arte Museum ist ausgerechnet in jenem 1913 bezogenen Hochschulgebäude, in dem einst die arischen und nichtarischen Kollegen gemeinsam unterrichteten.
    "Es ist eine Auseinandersetzung mit dem Vermächtnis, das verloren gegangene Vermächtnis im Zusammenhang mit diesem Institut, damals Hochschule genannt, heute Universität."
    50 Exil-Musiker, die an der Hochschule gewirkt haben oder zumindest studieren wollten, werden vorgestellt. "Wenn ich komponiere, bin ich wieder in Wien", das geht auf ein Statement des vor einem Jahr verstorbenen Komponisten Robert Fürstenthal zurück. Der gelernte Wirtschaftsprüfer in San Diego war eigentlich nur Hobbykomponist. Im selben Jahr 1920 wie Fürstenthal ist auch Walter Arlen geboren, der in Wien Walter Aptowitzer hieß. Ehe er in hohem Alter ab 1986 wieder komponierte, war er Musikkritiker bei der "Los Angeles Times". Nun kommt der 97-Jährige aus Los Angeles zu Konzerten und Einspielungen seiner Werke Jahr für Jahr nach Wien zurück. Als er 1965 also vor rund 50 Jahren erstmals wieder nach Wien zurückkehrte, war die Situation noch ganz anders.
    "Die Leute waren sehr unangenehm im 65 Jahr. Da war noch immer: der Jude. Diese ganzen Geschichten: Doch ich wollte zurück, und die waren so bissig und unangenehm, dass er wieder zurück ist nach Los Angele; der Korngold war hier, die waren so unangenehm hier, auch die Zeitungen haben so schlechte Rezensionen geschrieben, er ist wieder zurück nach Los Angeles: Wer braucht das, so angegriffen zu werden? Jedenfalls sie waren nicht freundlich, ob sie mir gegenüber bös waren oder ob die ganze Atmosphäre 1965 so war, dass sie noch immer bös waren, weil sie den Krieg verloren haben, das kann ich nicht sagen, weil ich sie nicht gefragt habe. Doch die große Versöhnung und der Anfang, jedes Jahr nach Österreich zu kommen war, 2007."
    Musik als Möglichkeit zur Bewältigung
    "Wenn ich komponiere, bin ich wieder in Wien", für Arlen und Fürstenthal war Musik eine Möglichkeit den völligen plötzlichen Zusammenbruch ihrer Welt mit 18 Jahren zu bewältigen. Arlen erzählt gerne von seiner behüteten Kindheit. Sein Vater war Besitzer eines großen Wiener Warenhauses. Es war das erste Warenhaus, in dem Musik zu hören war, da man ständig Schellacks auf das Grammophon legte. Doch plötzlich war alles anders.
    "Und das war das Ende, am Sonntag ist der Hitler in Wien eingezogen, am 13. März 1938 und da war Schluss, mein letzter Schultag, war dieser Freitag wo der Schussnig resigniert hat, denn am Montag keine Juden in der Schule mehr, und wenn ich nicht gegangen wäre, hätten sie mich blutig geschlagen."
    Kompositionen des 16-Jährigen und des 90-Jährigen mischen sich. 2011 ist Arlets Wiegenlied aus dem Jahre 1937 aufgeführt worden.
    Musik: Walter Arlen: Wiegenlied. Sopran: Rebecca Nelsen, Klavier Danny Driver
    "Robert Fürstenthal und auch Walter Arlen beide haben für die Schublade komponiert als psychologisches Gegengift zu dem, was sie erlebt haben, beide haben nie damit gerechnet, dass sie aufgeführt werden. Das ist ein Wien, in dem sie aufgewachsen, aber am 13.3. eine Offenbarung, das ist das was sie bis heute nicht überwunden haben. Eben dieses Wien, vielleicht war es doch ein erfundenes Wien."
    Späte Rückkehr
    Fürstenthal und Arlen haben kaum die Entwicklungen des 20. Jahrhunderts mitgemacht. Aber das macht gerade auch die Arbeit von exil.arte interessant, dass sie keine Form von Musik ausgrenzt. Operette, Filmmusik, Kabarett, die Entwicklung des Streichquartetts, aber auch die Musiktheorie werden von der Erfahrung des Exils her gesehen. Eine späte Rückkehr, die so Musikgeschichte wieder ganz neu erfahrbar werden lässt.