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Exodus aus dem Presevo-Tal

Veliki Trnovac liegt im Presevo-Tal, ganz im Süden Serbiens. In der Grenzregion zum Kosovo leben sehr viele Albaner - viele trotz Ausbildung ohne Zukunft - wie die Serben auch. Täglich verliert das Dorf Bewohner.

Von Andrea Mühlberger | 11.04.2011
    Veliki Trnovac liegt im Presevo-Tal, ganz im Süden Serbiens, ist aber eigentlich ein großes albanisches Dorf. In der Grenzregion zum Kosovo leben sehr viele Albaner. In manchen Ortschaften sogar über 90 Prozent. Die junge Bevölkerung spricht fast nur Albanisch. Ein Rentner gibt sich Mühe und schildert seine Lage auf Serbisch:

    "Ich kann von umgerechnet 110 Euro Rente im Monat nicht leben. Die Fabrik für Autobatterien, in der ich zwölf Jahre gearbeitet habe, gibt es nicht mehr. Meine Kinder versuchen zwar, mir zu helfen. Aber selbst für junge Leute gibt es in der Gegend kaum Arbeit."

    Auch dann nicht, wenn man sich so anstrengt wie Agon Islami aus der Nachbarstadt Bujanovac. Der junge Albaner hat in der Kosovo-Hauptstadt Pristina Wirtschaft studiert. Seinen Master will er an der Universität im mazedonischen Tetovo machen. Doch in seiner südserbischen Heimat sind viele Qualifikationen das Papier nicht wert, auf dem sie stehen – ärgert sich der Student:

    "Das größte Problem für uns junge Albaner hier ist, dass Serbien die Diplome der Universität in Pristina nicht anerkennt. Deshalb bekommen wir keine Arbeit. Das zweite große Problem betrifft Serben und Albaner gleichermaßen: Die wirtschaftliche Lage ist so schlecht, dass wir in der Gegend sowieso kaum Arbeit finden."

    Vor dem Zerfall Jugoslawiens gab es in Südserbien große staatliche Fabriken. Vor allem in der Textil- und Möbel-Industrie. Aber viele Unternehmen produzieren seit Jahrzehnten nicht mehr und warten auf private Investoren. Nur galt das umkämpfte Presevo-Tal nach dem Kosovo-Krieg als unsicher. In der Grenzregion waren immer wieder kosovo-albanische Rebellengruppen aktiv. In der Grauzone blüht auch die Schattenwirtschaft - und das Geschäft mit Drogen. Velika Trnovac gilt als Umschlagplatz für Schmuggelware Richtung Westeuropa. In anderen Ortschaften sieht es nicht besser aus:
    "Unser einziger Vorteil hier in Presevo ist: Mit einem Durchschnittsalter von 29 haben wir die jüngste arbeitsfähige Bevölkerung in ganz Serbien,"

    ... meint Ragmi Mustafa, Bürgermeister von Presevo. Aber mit rund 75 Prozent hat die Region auch die höchste Arbeitslosenquote in Serbien. Mustafas Stellvertreter Abdula Mehmeti bringt es auf den Punkt:

    "Wir sind wirtschaftlich dermaßen unterentwickelt, dass ein Großteil der Bevölkerung abwandert. Jeden Samstag fahren hier drei Busse weg – was die Visa-Erleichterung durchaus in Gefahr bringen könnte ... "

    Seit serbische Staatsbürger auch ohne Visum in Länder der Europäischen Union einreisen dürfen, gibt es vom Bahnhof Presevo aus einen regelmäßigen Bus-Tourismus in EU-Staaten. Verwandschaftsbesuche, Städtereisen, Arbeitssuche. Es gibt viele Gründe, Südserbien für zwei, drei Monate zu verlassen. Manche versuchen, länger im EU-Ausland zu bleiben. Vielleicht weil man ihnen versprochen hat, dass sie ganz einfach Asyl bekommen – wenn sie dafür eine bestimmte Summe Geld zahlen.

    "Unsere Abteilung ist ernsthaft bemüht, den Missbrauch der Visa-Freiheit zu verhindern,"
    ... verspricht der Polizist Boban Djordjevic. Wenn Personen nach Serbien abgeschoben werden, versucht die Polizei, die Hintermänner und Betrüger zu finden, die diese Menschen mit falschen Versprechungen ins Ausland gelockt haben – oft organisiert über Reisebüros. Der Polizeichef von Presevo meint dazu:

    "Ich kann dazu nur sagen, dass wir unseren Bürgern als Polizei nicht das Recht auf Bewegungsfreiheit nehmen können. Gibt es Beweise für Missbrauch, wird natürlich ermittelt. Aber was die Bürger betrifft: Wir können niemanden daran hindern, wegzugehen."

    Nach Angaben des Bundesinnenministeriums ist die Zahl serbischer Asylanträge in Deutschland sprunghaft gestiegen: Vor der Visa-Liberalisierung waren es 600, im vergangenen Jahr fast 5000. Bei den meisten Antragstellern soll es sich um Albaner und Roma mit serbischer Staatsangehörigkeit handeln. Und die kommen in den meisten Fällen aus Südserbien – einer der ärmsten Regionen Europas.


    Albaner in Serbien - Die schwierige Situation im Presevo-Tal