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Exodus der Protestanten aus Frankreich

Eine so großzügige Einladung an Emigranten hatte es wohl noch nicht gegeben. Als in Frankreich die Protestanten ihrer Rechte beraubt wurden, und damit eine der größten Fluchtwellen der Geschichte einsetzte, reagierte Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg sofort. Er lud die Verfolgten in sein Land ein und garantierte ihnen Privilegien und Freiheiten, von denen die eigenen Landsleute nur träumen konnten. Dahinter stand auch Kalkül, die französischen Emigranten sollten das rückständige Preußen modernisieren helfen.

Von Christian Berndt | 08.11.2005
    Der Terror erreicht seinen Höhepunkt. Das Edikt von Fontainebleau verfügt im Herbst 1685 die Zerstörung der reformierten Kirchen, verbietet die Religionsausübung und legalisiert die seit langem betriebene Verfolgung. Für die Protestanten wird es im katholischen Frankreich keine Zukunft mehr geben. Ludwig XIV. hat sein Ziel, den Protestantismus als politischen Faktor endgültig auszuschalten, erreicht. Die Folge ist eine Massenflucht, 160.000 Hugenotten, wie die Protestanten hier genannt werden, verlassen Frankreich.

    Ein Land bietet sich als rettender Hafen an: Brandenburg-Preußen. Keine drei Wochen nach dem Edikt des französischen Königs erlässt Kurfürst Friedrich Wilhelm am 8. November 1685 das Edikt von Potsdam:

    Wir, Friedrich Wilhelm von Gottes Gnaden, thun kund, nachdem die harten Verfolgungen, womit man in Frankreich wider unsere Glaubens-Genossen verfahren, viele Familien veranlasst haben, aus selbigem Königreich in andere Lande sich zu begeben, denselben einen sicheren freien Rückzug in alle unsere Lande zu offerieren und ihnen kund zu thun, welche Freyheiten Wir ihnen zu concedieren gnädigst gesonnen seyen.

    Das Angebot des Großen Kurfürsten ist außerordentlich großzügig, entspringt aber nicht nur dem Mitgefühl für die protestantischen Glaubensgenossen. Schon 1671 hat der Kurfürst aus Österreich vertriebene Juden aufgenommen, von denen er sich eine Belebung der Wirtschaft erhofft. Religiöse Toleranz ist in Brandenburg, das der 30jährige Krieg verarmt und entvölkert zurückgelassen hat, notwendige Staatsräson. Kein anderes Land wirbt mit solch günstigen Privilegien um religiös Verfolgte, und tatsächlich kommen 20.000 Hugenotten nach Brandenburg – die größte Flüchtlingsgruppe Frankreichs. Berlin wird zum Zentrum der europäischen Fluchtbewegung. Doch so sehr die Regierung die Einwanderung fördert, so wenig begeistert ist die Bevölkerung. Der hugenottische Prediger Henri Tollin berichtet:

    "Es waren Bilder des Elends. Am dritten Weihnachtstage zum Beispiel wanderten beinahe 50 Franzosen durch Magdeburg - fast nackend und bloß. Die Altbürger weideten sich an ihrem Elend. Das Volk höhnte. Und als auf dem Markt drei Hugenottenhäuser in Flammen standen und einige von der deutschen Feuerwehr zu Hilfe eilen wollten, lauteten die Rufe der Menge: "Lasset die Franzosen brennen"."

    Trotz der feindlichen Stimmung im Volk werden die Hugenotten weiterhin großzügig unterstützt. Von der importierten französischen Lebensart verspricht sich der preußische Hof wertvolle Impulse für das Land, wie Friedrich der Große später über die Politik seines Vorfahren schreibt:

    "Als Friedrich Wilhelm zur Regierung kam, machte man in diesem Land weder Hüte noch Strümpfe; alle diese Waren lieferte uns der Kunstfleiß der Franzosen. Und die Erziehung der adligen Jugend kam fast gänzlich in die Hände der Franzosen, denen wir mehr Sanftmut im Umgang und anständigere Sitten verdanken."

    Zwar bleibt der erhoffte wirtschaftliche Erfolg aus, nicht zuletzt, weil es für viele Luxuswaren, die von den kunstfertigen Franzosen hergestellt werden, im kargen Preußen wenig Bedarf gibt. Aber kulturell bewirken die Emigranten einiges. So zählen viele Franzosen zu den Gründungsmitgliedern der Akademie der Wissenschaften, das Verlagswesen blüht auf und die Integration verläuft langfristig so erfolgreich, dass sich die Hugenotten mit der Zeit als hundertprozentige Deutsche betrachten. Der Deutsche Hugenotten-Verein stellt 1894 fest:

    "Wir französische Colonisten Preußens sehen es als eine Beleidigung an, wollte irgendein Preuße behaupten, deutscher zu sein als wir. In einem Staate, der die Vorfahren mit so edler Gesinnung aufnahm, können auch ihre Nachkommen nichts anderes sein als preußische Untertanen."

    Aus Dankbarkeit gegenüber dem preußischen Staat fühlen sich auch Jahrhunderte später viele Nachfahren der Hugenotten in besonderem Maße dem Herrscherhaus und der Nation verpflichtet. Die Französische Gemeinde zu Berlin bemüht sich noch während der NS-Zeit, ihre Staatstreue unter Beweis zu stellen, und sie huldigt Adolf Hitler als ihrem Beschützer in der Tradition des Großen Kurfürsten. Für das Regime seinerseits sind die Hugenotten so zuverlässige Deutsche, dass NS-Ideologen wie Alfred Rosenberg die Vorfahren der Hugenotten nachträglich zu Germanen erklären, die zweihundert Jahre zuvor in ihre wahre Heimat Deutschland zurückgekehrt seien.