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Exoten im Klassenzimmer

Lehrer aus Zuwandererfamilien sind noch immer eine Ausnahme an deutschen Schulen. Dabei werden sie dringend gebraucht - als Rollenvorbilder, Übersetzer und Vertraute. In der bayerischen Landeshauptstadt München mit 25 Prozent Ausländeranteil könnte man die "Lehrer mit Migrationshintergrund" sehr gut brauchen. Nur die Suche nach den wenigen, die es gibt, gleicht beinah der berühmten Nadel im Heuhaufen.

Von Susanne Lettenbauer |
    " Ich habe mein Abitur in Kroatien gemacht und dann habe ich ich hier studiert, zuerst in Eichstätt, dann in München Theologie das Diplom und Geschichte als Magister und dann eben bin ich in den Schuldienst reingekommen. "

    Stjepan Bergovec ist der Notanker der Carl-von-Linde Realschule in München. 28 verschiedene Sprachen, 56 Nationalitäten treffen sich hier täglich auf dem Schulhof. Sein Kollege Peter Tietz, gebürtig aus Polen ist der zweite Lehrer, der ebenfalls nicht aus Deutschland stammt.
    Immer, wenn es irgendwo Zoff zwischen den Schülern gibt, helfen Bergovec und Tietz mit ihren Russisch-, Kroatisch-, Tschechisch-, Polnisch- und Slowakisch-Kenntnissen aus:

    " Das wissen die Schüler zuerst nicht, dann unterhalten sie sich in ihrer Muttersprache und sind unglaublich überrascht, wenn ich dann, wenn sie etwas nicht verstanden haben, in ihrer Muttersprache das erkläre. Oder wenn sie auch Schimpfwörter benutzen in ihrer Muttersprache sind sie überrascht, dass ich alles verstanden habe."

    Eigentlich wollte der Lehrer Stjepan Bergovec Hochschuldozent werden, aber mit den Fächern Geschichte, Religion und Biologie landete er schließlich an der Carl von Linde Realschule. Ein unschätzbarer Kollege, wenn es um den Unterricht in europäischer Geschichte geht:

    " Ein Türke oder ein Koreaner versteht nicht: Was ist ein Bistum, eine Diözese, was ist ein Bischof. Wenn wir dann über Reformation sprechen, da kommen diese Begriffe vor, oder übers Mittelalter, oder in Biologie werden spezielle Begriffe benutzt, die sie dann nicht verstehen. Ich versuche dann diese Begriffe in ihre Muttersprache zu übersetzen, damit sie wissen, um was es da geht."

    Zum Glück herrschen, anders als in der Vergangenheit, in den Herkunftsländern der Kinder derzeit relativ ruhige politische Verhältnisse, doch während des Balkankrieges avancierte Bergovec fast zum Friedensstifter:

    " Wir haben sogar Beispiele gehabt, wo einige der 10Klässler unbedingt in den Krieg ziehen wollten nach Jugoslawien. da war ungeheure Arbeit nötig um sie davon abzuhalten, da runterzuziehen als Freiwillige, um - angeblich - für ihre Heimat zu kämpfen."

    Selbst bei den Elternsprechtagen lassen sich die Eltern anderer Klassen von Stjepan Bergovec beraten - in der jeweiligen Muttersprache.
    Nur im Unterricht, da herrscht die unumstößliche Regel, dass nur Deutsch gesprochen wird:

    "Ja die Frage stellt sich gar nicht. Ich habe zum Beispiel in der 5. Klasse einen Jungen aus Polen, der spricht nur ein bisschen Deutsch. Wenn er mal was nicht versteht, dann sage ich es ihm noch mal auf Polnisch im kurzen Satz, aber Unterrichtssprache ist Deutsch, das ist klar, es wird nicht in anderen Sprachen gesprochen. Es geht darum, dass jeder alles versteht."

    Unter den 60 Lehrern an der Carl-von-Linde-Realschule gibt es nur diese zwei Kollegen mit Migrationshintergrund. Viel zu wenig, wenn es nach Brigitte Jantzen, der Abteilungsleiterin Realschulen in München, geht.

    " Aus dem Referendariat bekommen wir derzeit so gut wie keine Anfragen von Anwärtern oder Anwärterinnen, wir wären aber nicht unfroh, wenn das der Fall wäre. Wir würden gerne Kollegen und Kolleginnen aufnehmen, gerade eben weil München einen recht hohen Anteil an Ausländern hat, 25 Prozent. Ich könnte mir gut vorstellen, wenn sich jemand bewirbt, dass wir diese Person gern auch einstellen."

    Dabei studierten an der Ludwig-Maximilians-Universität München im vergangenen Wintersemester 986 Ausländer im Studiengang Lehramt Realschule. Im Studiengang Lehramt Gymnasium waren es sogar knapp 3000. Wo diese Studenten nach dem Abschluss bleiben, ist selbst der Abteilung Realschulen rätselhaft. Dabei wissen die Personalchefs genau, wie wichtig die Schlüsselfunktion ist, die der Lehrer Peter Tietz so beschreibt:

    " Die identifizieren sich schon irgendwie mit einem und für die ist man dann auch was griffiges, weil sie Parallelen zum eigenen Lebensweg ziehen. Für die ist man so etwas wie, naja Vorbild ist vielleicht zu weit gegriffen, aber jemand an dem sie sich orientieren können."