Archiv


Experte: Beim Naturschutz gibt es noch viel zu tun

Beim Deutschen Naturschutztag in Bonn wird heute das 100-jährige Bestehen des staatlichen Naturschutzes gefeiert. Professor Hartmut Vogtmann, Präsident des Bundesamtes für Naturschutz, hob die Erfolge beim Schutz von Arten und Landschaften hervor. Dennoch gebe es noch viel zu tun, zum Beispiel was den Verbrauch von Flächen durch Bebauung und Gewerbegebiete angehe.

Moderation: Jochen Spengler |
    Jochen Spengler: Großer Bahnhof in Bonn. Dort treffen sich ab heute rund 500 Teilnehmer zum 28. Deutschen Naturschutztag. Dass sich sogar die Kanzlerin und ihr Umweltminister mit Ansprachen die Ehre geben wollen, das liegt aber vor allem dran, dass man zugleich das 100-jährige Bestehen des staatlichen Naturschutzes feiert. Und wie das so ist an solchen Tagen: In den Festtagsreden dürfte die Bedeutung des Naturschutzes beschworen werden, was freilich wenig darüber aussagt, ob man im Alltag auch genügend Geld dafür zur Verfügung stellt, oder ob man wirklich vernünftig mit der Natur umgeht.

    Am Telefon begrüße ich Professor Hartmut Vogtmann, den Präsidenten des Bundesamtes für Naturschutz, jener staatlichen Behörde, die die Bundesregierung wissenschaftlich berät, wenn es um den Artenschutz geht oder um die Einrichtung von Nationalparks, die aber auch zuständig ist für die Ein- und Ausfuhrgenehmigung geschützter Tier- und Pflanzenarten. Wahrscheinlich habe ich noch jede Menge vergessen, Herr Vogtmann, oder?

    Hartmut Vogtmann: Einen schönen guten Morgen Herr Spengler! - Sie haben sicherlich einiges vergessen, aber vielleicht können wir darauf ja noch kommen. Wir forschen natürlich auch, um eine Basis zu haben für die Beratung in der Politik, für die Beratung von Bürgerinnen und Bürgern und natürlich auch international, um den Vollzug des Artenschutzes, den Sie gerade angesprochen haben, nämlich das Washingtoner Artenschutzübereinkommen, auch wissenschaftlich fundiert abzusichern.

    Spengler: Dann haben wir das jetzt sozusagen ergänzt. Wir erleben ja dieser Tage, Professor Vogtmann, wie wir uns im Alltag verhalten, wenn sich denn dann doch mal ein Tier, in diesem Fall ein Braunbär, der seit 170 Jahren in Deutschland ausgerottet ist, in unser Land verirrt. Wie toll finden Sie das denn, dass sogleich eine Abschussgenehmigung erteilt wurde?

    Vogtmann: Im Grundsatz finde ich das nicht sehr toll, denn wir bemühen uns gerade als Bundesamt für Naturschutz, die Umwelt so zu gestalten, dass die Tiere, die früher auch hier heimisch waren, zurückkommen. Erfolge sind ja beim Otter zu verzeichnen, beim Biber, beim Seeadler und so weiter. Dann ist es schon etwas erstaunlich und auch erschreckend, wenn man dann mal die Gelegenheit hat und sagen könnte, jetzt freuen wir uns, offensichtlich ist unsere Umwelt und Natur wieder so intakt, dass sogar ein Bär sich wieder hier heimisch fühlen könnte.

    Spengler: Sie haben ja Erfahrung mit Bären. Sie waren selbst lange Zeit in Kanada, haben dort Bären ins Auge geschaut. Was hätte man denn anders machen können?

    Vogtmann: In Kanada ist es ganz klar. Die Menschen leben schon lange mit den Bären. Da sind die Ängste nicht so, wie sie bei uns sind. Sie wurden ja sofort wieder geschürt: Bedrohung von Leib und Leben. Man hat dort sage ich mal einen anderen Umgang mit dem Bären und die Bären sind natürlich auch nicht wie in diesem Falle plötzlich auf einen gedeckten Tisch gekommen. Stellen Sie sich vor, ein Bär tritt aus dem Wald und vor ihm liegt das schöne Allgäu und der gedeckte Tisch ist dort. Wie würden Sie sich denn dann verhalten?

    Spengler: Na gut, nun kann man den gedeckten Tisch natürlich nicht abschaffen. Der ist nun mal da.

    Vogtmann: Richtig! Das ist ganz wichtig und darum heißt es eigentlich - und das ist unsere Aufgabe auch -, vorher schon Menschen vorbereiten und bei einem Bären von Anfang an darauf Wert legen durch Vergrämung, durch zum Beispiel Geschosse, die ihn nicht verletzen, aber ihn doch so abschrecken, dass er nicht mehr dort hinkommen will, dass er weiß, wenn ich dahin gehe, wo der Mensch ist, und diesen gedeckten Tisch genießen will, dann geht es mir nicht so gut, also bleibe ich besser fern.

    Spengler: Das setzt aber voraus, dass man den Bären ertappt. Er entzieht sich ja so recht erfolgreich bislang dem Ertappen.

    Vogtmann: Das tut er und das liegt vielleicht auch daran, dass wir auch gar nicht genau wissen, wie sich ein Bär verhalten würde. Darum meine ich, auf beiden Seiten muss Vorbereitung getroffen werden. Der Mensch, wir Bürgerinnen und Bürger müssen vorbereitet werden und den Umgang damit lernen; gleichzeitig muss natürlich auch klar sein, dass wir sofort die richtigen Maßnahmen ergreifen. Es braucht also einen Management-Plan, wie wir es ja schon erfolgreich bei den Wölfen in Sachsen tun. So muss unbedingt auch jetzt im Bereich der Bären eine Art Management-Plan her, den alle kennen.

    Spengler: Das müssen Sie jetzt etwas erläutern. Management-Plan, das ist kein Plan für Manager, sondern das ist was für ein Plan?

    Vogtmann: Das ist ein Plan, bei dem man sich klar macht, wie verhalte ich mich, wenn der Bär wieder in der Landschaft auftaucht. Wie verhalten sich die Jäger, wenn er auftaucht, und vor allen Dingen was muss ich für Maßnahmen ergreifen, wenn wirklich Bedrohung für Leib und Leben stattfinden sollte, denn der Mensch hat natürlich da den deutlich höheren Wert und wir wollen völlig klar nicht Menschen gefährden. Das wäre aber so ein Plan: Wenn ein Bär auftritt, was tue ich denn dann?

    Spengler: Was tue ich denn dann?

    Vogtmann: Was tue ich denn dann? - Hier in diesem Falle wäre es ganz klar gewesen, rechtzeitig zu reagieren, das heißt den Bär vergrämen. Nur man war überrascht. Ich glaube das ist auch noch der zweite Punkt. Man hat nicht damit gerechnet. Man war nicht vorbereitet. Vielleicht muss man etwas tun - der Bär kommt ja wohl aus dem Trentin oder zumindest haben wir von dort Nachricht bekommen -, dass man Bären besendert, dass man weiß wo sie sich aufhalten, wie sie sich aufhalten, um aus diesen Erfahrungen dann solche Pläne, die ich erwähnt habe, zu entwickeln. Uns fehlt einfach die Erfahrung im Umgang damit und das braucht eine europäische Dimension. Wir wollen zusammenarbeiten im Rahmen der Alpenkonvention mit den Ländern der Alpen, um hier gemeinsam zu Plänen zu kommen, denn es ist nicht eine deutsche nationale Sache; es ist in dem Fall auch international.

    Spengler: Professor Vogtmann, Sie feiern heute - nicht nur Sie allein, aber Sie mit - 100 Jahre staatlichen Naturschutz. Ist das mehr Grund zum Feiern, oder vielleicht auch ein Grund zur Trauer?

    Vogtmann: Nein, es ist ein Grund zum Feiern. Wenn Sie daran denken, vor 100 Jahren, 1906 in Danzig, wurde ja eine Stelle nur gegründet, um Naturdenkmäler zu pflegen, das heißt punktuell etwas zu tun. So sind wir heute doch viel weiter. Wir sehen die gesamte Fläche. Wir sehen Biotope, wir sehen Landschaften, wir sehen Arten. Da hat sich schon viel getan. Das muss ich sagen.
    Auf der anderen Seite sehen wir natürlich auch, dass noch viel zu tun ist. Von dem Schutz, den wir jetzt haben, können wir ja verzeichnen eine Verbesserung auf der einen Seite. Die wollen wir auch feiern. Aber viele Aufgaben, die vor uns liegen, auf der anderen Seite. Ich erinnere nur an die Zerschneidung der Landschaft, an den Verbrauch von Flächen durch Überbauungen, durch Straßen, durch Gewerbegebiete. Da sind wir ja immer noch bei knapp 100 Hektar. Das heißt da gibt es noch einiges zu tun und das wollen wir auch gerne machen, aber - das möchte ich hier betonen - gemeinsam mit den Nutzern. Wir sehen die Zukunft des Naturschutzes darin, dass wir mit Landwirten, Förstern, Fischern und allen Menschen gemeinsam das tun, was eigentlich in einer Konvention festgelegt ist, nämlich den Schutz auf der einen Seite, die nachhaltige Nutzung und den Vorteilsausgleich für Natur und Menschen gleichermaßen, denn die gehören zusammen.

    Spengler: Auch wenn heute unser Anlass der staatliche Naturschutz und 100 Jahre davon sind, was kann der einzelne tun?

    Vogtmann: Da sprechen Sie ein wichtiges Thema an: das Ehrenamt. Es gibt viele Menschen, die etwas tun. Wir haben ja sehr viele Menschen in Verbänden, aber auch außerhalb von Verbänden, die etwas tun. Das halte ich für ganz wichtig, weil das wirkt dem Trend, dem Negativtrend der Entsolidarisierung und des Egotrips entgegen. Wir haben eigentlich im Naturschutz notwendig eine offene neue bürgerschaftliche Kultur und die zeigen die ehrenamtlichen Naturschützer. Und ich rufe jeden auf, denn es ist eine Sache nicht nur des Staates und nicht nur der wenigen, die sich das als Aufgabe gestellt haben, sondern jeder ohne Ausnahme kann am Naturschutz mitarbeiten.

    Spengler: Das war Professor Hartmut Vogtmann, der Präsident des Bundesamtes für den Naturschutz. Herr Professor Vogtmann, herzlichen Dank für das Gespräch!

    Vogtmann: Vielen Dank auch. Auf Wiederhören!