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Experte: Ernährung der Menschen wurde sträflich vernachlässigt

Der grüne Entwicklungshilfe-Experte Thilo Hoppe hat sich für eine verstärkte Förderung der Landwirtschaft in den Entwicklungsländern ausgesprochen. Dafür würden bislang lediglich 3,1 Prozent des Etats des Entwicklungsministeriums ausgegeben.

Moderation: Gerd Breker |
    Gerd Breker: Angesichts der bedrohlich steigenden Preise für Nahrungsmittel sucht die internationale Staatengemeinschaft auf einem Gipfeltreffen in Rom nach einem Ausweg aus dieser Krise. Papst Benedikt XVI. sagte in einem vor der Konferenz verlesenen Grußwort, dass Hunger und Unterernährung in einer Welt mit ausreichenden Ressourcen inakzeptabel seien. Inakzeptabel vielleicht, aber es geschieht Tag für Tag. Hunger und Mangelernährung werden im Lichte der steigenden Lebensmittelpreise auch für Bevölkerungsschichten zum Problem, die das vorher gar nicht kannten. Der Alltag, auch ihr Alltag wird bestimmt durch die Essensbeschaffung. Warum das alles so schwierig ist mit der Welternährung? Am Telefon begrüße ich Thilo Hoppe von Bündnis 90/Die Grünen. Er ist der Vorsitzende des Bundestagsausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Guten Tag Herr Hoppe!

    Thilo Hoppe: Schönen guten Tag!

    Breker: Man will - wir haben es gehört - die regionale Landwirtschaft in den armen Ländern fördern. So die Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul. Aber Herr Hoppe diese Erkenntnis ist überhaupt nicht neu?

    Hoppe: Die ist überhaupt nicht neu, aber besser sie kommt spät als überhaupt nicht mehr. Ich habe selber seit 2002 im Deutschen Bundestag ständig angemahnt, mehr Geld für die ländliche Entwicklung auch im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit auszugeben. Aber bisher geht 3,1 Prozent des Etats des Entwicklungsministeriums in die Förderung der Landwirtschaft in den Entwicklungsländern und das ist viel zu wenig und wird jetzt hoffentlich drastisch erhöht.

    Breker: Wenn man weiß, was man tun sollte, es aber nicht tut, wie nennt man das, Herr Hoppe?

    Hoppe: Verantwortungslosigkeit, beziehungsweise man setzt auf die falschen Rezepte oder man gibt wichtigen mächtigen Lobby-Gruppen nach. Das alles zusammen hat verhindert, dass man das getan hat, was eigentlich wirklich notwendig wäre. Aber wie gesagt ich hoffe, dass es jetzt endlich zur Kurskorrektur kommt.

    Breker: Wenn die Entwicklungsländer denn Lebensmittel anbauen, Reis, Mais oder was auch immer, wenn es mehr ist als sie selber brauchen, dann können sie es den Reichen aber nicht verkaufen.

    Hoppe: Es ist folgendermaßen. Die ländliche Entwicklung oder die Agrarförderung in Entwicklungsländern, die stand in den letzten Jahrzehnten ganz stark unter der Maxime, Produkte für den Weltmarkt zu produzieren und die auf dem Weltmarkt zu verkaufen. Man hat aber den Anbau von Grundnahrungsmitteln für lokale, für regionale Märkte, sprich zur Ernährung der Menschen, die dort leben, sträflich vernachlässigt. Sowohl die Regierungen der betroffenen Länder - also die Schuld liegt auf beiden Seiten -, aber auch aufgrund von falschen Rezepten der Weltbank, aufgrund von Auflagen des IWF, auch aufgrund von falschen Strategien der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit. Da muss erst mal nachgeholt werden. Der Verkauf nach außen, also der Export, das ist das geringere Problem, aber dafür müssen natürlich auch fairere Bedingungen geschaffen werden.

    Breker: Sie sagen es: Es gab falsche Strategien. Eine dieser falschen Strategien ist die Nahrungsmittelhilfe. Sie wird kostenlos verteilt und verdirbt damit in den Entwicklungsländern die Preise. Hier muss auch ein Umdenken her oder?

    Hoppe: Da haben Sie völlig Recht, aber da ist das Problem ich denke mal so seit zwei Jahren richtig bewusst und da sind die Kurskorrekturen bereits angelaufen. Man hat früher Überschüsse auf den Agrarmärkten aus den USA, aus der Europäischen Union dann auch in Form von Nahrungsmittelhilfe abgekippt und damit natürlich auch Kleinbauern in Afghanistan, in Westafrika, in Lateinamerika in den Ruin getrieben. Da hat man aber momentan andere Methoden erkannt und Kurskorrekturen eingeleitet. Das ist momentan nicht Ursache der aktuellen Krise. Da sind Reformen zum Glück Gott sei Dank auf dem Weg.

    Breker: Was, Herr Hoppe, erwarten Sie von dieser Großveranstaltung in Rom? 40 Staats- und Regierungschefs werden dort anwesend sein. Aber was kann denn diese Veranstaltung mehr bringen als schöne Worte und gute Absichten?

    Hoppe: Man kann sicherlich keine Beschlüsse erwarten. Das ist ja kein Beschlussgremium. Es ist teilweise auch ein bisschen eine bizarre Veranstaltung mit Herrn Ahmadinedschad und Herrn Mugabe, aber dafür können die Einladenden nichts. Was ich erhoffe und wo ich ganz doll drauf setze, dass es endlich Signale gibt, wie Sie schon im Eingangsstatement sagten, die Landwirtschaft in den Entwicklungsländern zu unterstützen - und zwar in nachhaltiger Art und Weise. Nicht wieder zu kommen mit den Rezepten, Großplantagen anzulegen, Genmais dort anzubauen, Pestizide und Insektizide abzukippen. Das würde nur die Böden zerstören. Das würde mehr Klimagase produzieren. Wir brauchen eine nachhaltige, also ökologisch angepasste Landwirtschaft in diesen Ländern, Unterstützung der Kleinbauern. Die wären in der Lage, ihre Bevölkerung zu ernähren, wenn man sie denn nur ließe und auch entsprechend unterstützt. Diese Erkenntnis scheint sich jetzt Schritt für Schritt durchzusetzen und wenn es dort jetzt in Rom zum Durchbruch käme, dann wäre ganz viel gewonnen.

    Breker: Dennoch ist es ja so, Herr Hoppe, dass sowohl die Europäische Union als auch die Vereinigten Staaten an ihren Biosprit-, sprich Ethanol-Programmen festhalten wollen. Das heißt die Reichen tanken das Essen der Armen!

    Hoppe: Das ist ein bisschen zu sehr vereinfacht.

    Breker: Aber die Richtung stimmt?

    Hoppe: Die Richtung stimmt. Ich würde auf jeden Fall dafür plädieren, dass man den Beimischungszwang, den man in der Europäischen Union eingeführt hat, wieder zurücknimmt oder nach unten korrigiert. Momentan gibt es diese Flächenkonkurrenz noch nicht. Sie ist noch kaum darstellbar. Auf 1,9 Prozent der weltweiten Flächen wächst momentan praktisch Biosprit, also Energiepflanzen. Auf 30 Prozent wachsen Futtermittel für die Fleischproduktion, gerade für die Massentierhaltung. Der Fleischkonsum, der Fleischboom ist viel, viel, viel stärker der Hungertreiber als diese Biosprit-Produktion. Aber durch die hohen Beimischungsziele, die man anvisiert, hat man auch ganz stark die Spekulation angeheizt. Flächenkonkurrenz ist nur bei 1,9 Prozent. Anteil an der Preissteigerung: Da gibt es verschiedene Prognosen, aber der liegt schon bei 10, 15, 20 Prozent, weil viele Großinvestoren jetzt sich schon die Böden sichern und große Grundstücke aufkaufen und jetzt schon denken, das wird der große Gewinn bringende Markt der Zukunft. Dann tritt in der Tat das ein, was Sie sagen: volle Tanks und leere Mägen. Davor muss man jetzt einen Riegel schieben und Produktion von Biotreibstoffen mit wirklich zuverlässigen Nachhaltigkeits- und Menschenrechtskriterien verbinden. Das ist sehr kompliziert, aber diese Aufgabe muss beherzt angepackt werden.

    Breker: Ban Ki Moon hat heute in Rom vorgerechnet, bis 2030 muss die Nahrungsmittelproduktion um 50 Prozent, um die Hälfte gesteigert werden. Ist das realistisch?

    Hoppe: Ich würde diese Zahlen hinterfragen, denn wir haben auch in der Vergangenheit oft genug Nahrungsmittel gehabt. Es war eher ein Verteilungskonflikt. Dieser Ruf nach Produktionssteigerung könnte in die Irre führen und dazu führen, dass man wieder meint, man müsste jetzt auch in Deutschland alle Flächen umbrechen, auch Naturschutzflächen, auf Teufel komm raus Nahrungsmittel produzieren und in die Länder schicken. Das wäre kein guter Beitrag. Wie gesagt fast alle Länder, in denen Hunger herrscht, haben das Flächenpotenzial, die Vegetation, die Voraussetzungen, sich selbst zu ernähren, wenn man sie denn lässt, wenn man sie fair behandelt und wenn man die Kleinbauern dort unterstützt. Nicht wir können mit unserer Agrarproduktion das Welthungerproblem lösen, sondern die Menschen, die dort betroffen sind. Da muss man in der Tat zu einer Produktionssteigerung beitragen, aber wie gesagt mit angepassten Methoden, die keine neuen Probleme schaffen. Diese kurzfristige Produktionssteigerung, da kommen immer gleich wieder die Interessen von Monsanto und von großen Konzernen, die Düngemittel, die Pestizide, die genmanipuliertes Saatgut verkaufen wollen. Das führt in die Irre und schafft mehr Probleme als Lösungen.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das der Vorsitzende des Bundestagsausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, der Bündnis-Grüne Politiker Thilo Hoppe. Herr Hoppe, danke für dieses Gespräch.