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Experte warnt vor Gefahren durch Grippe-Epidemie

Dirk Müller: In Deutschland gab es nun gestern die ersten beiden Verdachtsfälle auf eine Vogelgrippeninfektion, der Verdacht in Hamburg wurde jedoch nicht bestätigt. Am Telefon sind wir jetzt verbunden mit Professor Bernhard Ruf, Experte für Infektionskrankheiten und zugleich Chefarzt am Leipziger Klinikum St. Georg. Guten Morgen.

    Bernhard Ruf: Guten Morgen.

    Müller: Die Aufregung gestern in Hamburg, dann diese Millionenprojektionen der WHO – ist das bereits ein Anzeichen von Panik?

    Ruf: Bei uns in Deutschland glaube ich nicht. Wir sind einfach übervorsichtig und haben gelernt aus SARS, dass man auch Einzelfälle so ernst nehmen muss, wie sie in der Tat sind. In der Welt, denke ich, ist Panik in der Bevölkerung, in Asien teilweise, das brauchen wir aber nicht zu haben. Ich habe eher Sorge, dass das, was wir schon seit Jahren befürchten, dass irgendwann in den nächsten Jahren, eine Influenzapandemie, also eine weltumspannende Influenza-Epidemie kommt, dass dieser Zeitpunkt immer näher rückt und wir müssen diese Zeit nutzen.

    Müller: Was spricht denn für diese Epidemie, die Sie erwarten?

    Ruf: Die Vergangenheit, dass es in Abständen von mehreren Jahrzehnten immer Epidemien gab und wie Sie sehen, dass das Biolabor Natur unglaublich erfinderisch ist und diese Nähe von Tier und Mensch nutzt, immer neue Influenzaviren zu generieren und SARS war ein gutes Beispiel, das war ja nicht erst Anfang letzten Jahres da, es war schon wahrscheinlich unerkannt seit Jahren da. Wenn zum Beispiel 70 Prozent aller Tierhändler auf diesen unglaublich intensiven Tiermärkten in China positiv sind, Antikörper gegen SARS-Virus haben, so war das schon lange vorbereitet in der Natur, nur unbemerkt. Und dieses jetzige Vogelgrippe-Virus gibt es auch schon seit Jahren. 96, 97 waren die ersten Fälle und man weiß aus der Zwischenzeit, dass etwa ein Fünftel aller Geflügelbestände dieses Virus in sich trugen, nur wurden sie nicht krank und jetzt genügte eine wahrscheinlich kleine Mutation, dass plötzlich fast 100 Prozent aller Geflügeltiere erkranken und versterben.

    Müller: Das heißt aber auch, wenn ich Sie richtig verstanden habe, es gibt immer wieder durch die Menschheit neu produzierte Viren?

    Ruf: Selbstverständlich. Dass dieses H5N1-Virus, von dem wir jetzt reden, die letzten fünf Jahre genutzt hat, sich anzupassen, ist völlig klar und irgendwann wird sich in einem anderen Wirt vielleicht dieses H5N1 mit einem anderen Influenza-Virus neu zusammensetzen und dann genügt bloß die Fähigkeit, auf den Menschen leicht überzuspringen und wir haben eine Pandemie.

    Müller: Müssen sich die Europäer dennoch Sorgen machen?

    Ruf: Natürlich, denn einer solchen Pandemie genügen wenige Stunden oder Tage, dass sie sich weltweit ausbreitet und wir müssen vorbereitet sein, keine Panik machen, wir nutzen die Zeit, erstellen Pandemiepläne, die auch für Deutschland effektiven Schutz bieten, die nur umgesetzt werden müssen und ich sage es auch hier: sehr sehr teuer sind.

    Müller: Es hat in den vergangenen Wochen sehr viele Erklärungsversuche gegeben über Ursachen und Verbreitung der Vogelgrippe. Was weiß man im Moment definitiv in der Wissenschaft über die Übertragung von Tier auf Mensch?

    Ruf: Dass dieses H5N1-Virus wesentlich schwerer, wenn überhaupt, auf den Menschen übertragbar ist als das herkömmliche normale Influenza-Virus. Das sind aber keine Dinge, die auf die Dauer gelten, da genügen ganz wenige Veränderungen in der Oberflächenstruktur von Viren, um auf die menschlichen Zellen leicht überzugehen. Zur Zeit kann man sagen, es ist nur die Übertragung von dem Geflügeltier direkt auf den Menschen nachgewiesen bei engem Kontakt, aber ich schließe überhaupt nicht aus, wenn ein solcher Patient in ein Krankenhaus kommt und dort intensiven medizinischen Maßnahmen ausgesetzt wird, dass dort auch die Übertragung von Mensch zu Mensch stattfindet. Bei SARS haben wir es ja auch gesehen, da genügte der enge Kontakt im Krankenhaus, der über das hinausgeht, was man sonst im Allgemeinumgang hat und schon ist eine Übertragung passiert.

    Müller: Sie sprechen da gegebenenfalls auch einen Fall an, der derzeit in den Medien diskutiert wird, nämlich in Vietnam, wo drei Kinder einer Familie angesteckt worden sind und man ist sich sicher, dass es keinen direkten Kontakt, jedenfalls der beiden Kinder, mit Geflügel gegeben hat. Das ist ein deutliches Anzeichen dafür, dass die Übertragung Mensch auf Mensch durchaus realistisch ist?

    Ruf: Ich finde die Diskussion ein bisschen akademisch, weil es letztendlich gar nichts bringt. Man kann davon ausgehen, dass bei engem Kontakt uns ausreichender Erregerkonzentration jeder Erreger von dem Tier auf den Menschen übertragbar ist, wenn er sich denn von seiner Erbausstattung fit gemacht hat für den Menschen und das ist bei Influenza-Viren sehr leicht und schnell möglich.

    Müller: Welche Maßnahmen schlagen Sie nun vor?

    Ruf: Erstens mal muss man diese Bedingungen für die Tierhaltung in den betroffenen Gebieten radikal ändern. Ob das geht und mit den dortigen Wirtschaftskreisläufen dort kompatibel ist weiß ich nicht, das müssen die Behörden entscheiden. Für uns in Deutschland ist entscheidend, dass wir die Influenza ernst nehmen. Sie sehen ja schon, dass wir auch in normalen Grippezeiten, die Durchimpfungsraten nicht über 20 Prozent heben können. Wir sind extrem sorglos gegenüber der Virusgrippe. Wir müssen einen Pandemieplan, der jetzt in der Abstimmung ist, fertigmachen, er muss dieses Jahr verabschiedet werden und dann ist die Regierung gefragt, dass sie entsprechende Medikamente einlagert, die wir dann sofort verfügbar haben, da es einen Impfstoff gegen dieses Vogelgrippevirus derzeit nicht gibt. Ob es ihn geben wird und dann auch in ausreichender Menge, kann keiner vorhersagen.

    Müller: Das heißt, bislang reichen die Vorsichtsmaßnahmen noch nicht aus?

    Ruf: Für den derzeitigen Stand schon, aber nicht, wenn wir eine Pandemie haben.

    Müller: Professor Bernhard Ruf war das, Experte für Infektionskrankheiten und zugleich Chefarzt am Leipziger Klinikum St. Georg. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Ruf: Bitteschön, auf Wiederhören.