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Experten, Expertise und Exzellenz an den Hochschulen

Wie kommt es zu Spitzenleistungen? Wie wird man Experte auf seinem Gebiet? Mit solchen Fragen beschäftigt sich die Expertiseforschung und die weltweit wichtigsten Expertiseforscher sind seit heute in Berlin versammelt bei einer Tagung. Drei Tage lang geht es darum, unter welchen Bedingungen sich Expertentum am besten entwickeln und abrufen lässt.

    Armin Himmelrath: Harald Mieg, Sie sind Organisator dieser Tagung, Sie haben dazu eingeladen. Was wird auf der Konferenz verhandelt?

    Harald Mieg: Es geht erstens darum, die Forschung einmal zusammenzubringen, international. In Deutschland ist sie sehr rar gesät. Die Expertiseforschung ist relativ alt, die Kernfrage, Sie hatten es schon gesagt, ist: Wie lassen sich Spitzenleistungen erklären und zwar durch individuelle Fähigkeiten, Fertigkeiten durch Übung und dergleichen mehr? Die Konferenz heute möchte doch einen Schritt weiter gehen und insbesondere fragen, wie solche Leistungen abgerufen werden können. Also welche Probleme gibt es in der Experten-Laien-Kommunikation, überhaupt in der Kommunikation von Experten mit Publikum, welche Bedeutung haben Erziehungssysteme für die Herausbildung von Spitzenleistungen, welche Rolle haben auch politische Kontexte für die Würdigung von Expertenleistungen?

    Himmelrath: Machen wir es mal konkret. Was ist denn so eine Voraussetzung, dass jemand zum Experten werden kann? Das ist ja nicht, dass er irgendwie ein festgelegtes Curriculum abarbeitet und sich einfach nur Wissen drauf schaufelt.

    Mieg: Nein, nein, ganz und gar nicht. Es läuft heute ähnlich wie man das normalerweise sich vorstellen würde. Aber was man sehr sicher sagen kann ist, es braucht sehr lange Übung und zwar reflexive Übung. In der Forschung nennt man das "deliberate practice", also überlegte Übung. Man muss ein Ziel haben, man muss sich wirklich verbessern wollen. Es reicht nicht, einfach eine gewisse Zeit lang sich mit etwas auseinandergesetzt zu haben, sondern man muss, und das weiß man heute auch sehr sicher, etwa zehn Jahre lang sich intensiv mit einem Problembereich auseinandersetzen. Und die Folge ist, dass man sich adaptiert an die Art der Problemlösung und Fragestellungen in einem Bereich.

    Himmelrath: Also man beginnt so zu denken wie diese Probleme strukturiert sind, mit denen man sich beschäftigt.

    Mieg: Genau. Das sind Abstraktionen, würde man psychologisch sagen, kognitive Kürzel, die man lernt. Deswegen ist es so schwierig für viele Experten mit Laien zu sprechen, weil es für sie ganz natürlich ist, dass sie die Welt in sehr abstakten, ja Vereinheitlichungen und, ja, formelhaft sehen. Das ist für sie sozusagen eine zweite Haut geworden. Von daher ist es schwierig, das in der Öffentlichkeit in ein normales Publikum zu bringen, in kurzen Sätzen.

    Himmelrath: Kann man das trainieren?

    Mieg: Auch das kann man wieder trainieren. Ja natürlich.

    Himmelrath: Braucht man aber dann auch wieder zehn Jahre dafür oder geht das schneller?

    Mieg: Das geht vermutlich schneller.

    Himmelrath: Machen wir es mal an einem konkreten Beispiel fest. Es gibt ja im Moment die Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder für die Hochschulen. Da ist ja erklärtes Ziel Expertentum, Elitetum heranzubilden. Sehen Sie denn den politischen, den gesellschaftlichen auch den strukturellen Rahmen an den Hochschulen so gegeben, dass dieses Ziel erreicht werden kann?

    Mieg: Naja, also das Ziel, was man heute vor Augen hat, ist natürlich so eine Art amerikanische Hochschule, Forschungshochschule. Und das bedeutet gleichzeitig, und das ist auch Programm unserer Konferenz, Professionalisierung von Forschung. Man darf sich nicht der Illusion hingeben, dass man nebenher forschen kann oder dass es ausreicht Genie zu haben, um zu forschen oder ein guter Wissenschaftler zu werden. Sondern es ist schlicht Arbeit.

    Das ist nicht nur einfach Arbeit, sondern das ist Arbeit, die damit verbunden ist, sich weiterbilden zu wollen, und zwar in ganz spezifischem Zusammenhang, nämlich so, wie es die Wissenschaft erfordert. Wissenschaft erfordert zum Beispiel, dass publiziert wird, weil man nur auf diese Weise miteinander kommunizieren kann. Also wenn etwas geschrieben ist, und auf diese Weise auch die Einhaltung der Standards überprüfen kann, ob das wirklich wissenschaftlich ist, was jemand untersucht hat. Und da haben sich gewisse Systeme herausgebildet und die Amerikaner haben es verstanden, auf Grund ihrer ganz generellen, professionellen Kultur, Studenten und angehende Wissenschaftler so auszubilden, dass sie alles rundum mitbekommen, was sie für einen angehenden Wissenschaftler brauchen. Also nicht bloß das Fachwissen, sondern eben auch zum Beispiel die entsprechenden Fähigkeiten, Fertigkeiten entsprechende Artikel zu schreiben.

    Naja, und unsere Forschungsinstitutionen waren ein bisschen so aufgestellt, dass sozusagen wie in der Romantik des 19. Jahrhunderts der große Geist zählt und die große Attitüde und man so ein bisschen vergisst, die Leute auf das wirkliche Wissenschaftlerleben vorzubereiten.

    Himmelrath: Das heißt, da gibt es noch Ausbildungsdefizite?

    Mieg: Ja, das ist natürlich auch eine Geldfrage, das darf man nicht vergessen.

    Himmelrath: Wie ist das denn mit der Aufgabe der Professoren in Deutschland, eben neben der Forschung auch zu lehren? Diese Einheit von Forschung und Lehre, das wird auch sehr hoch gehalten in der deutschen Kultur und in der Tradition, ist das aus Expertisesicht sinnvoll, oder müsste man nicht sagen, wir müssen zwei Bereiche, einen Experten für die Lehre und einen für die Forschung haben?

    Mieg: Nein, es ist schon sinnvoll. Weil natürlich Wissenschaft den eigenen Nachwuchs heranziehen muss. Natürlich gibt es auch in der Wissenschat Spezialisierungen, überhaupt keine Frage. Es gibt auch reine Forscher und das ist auch gut so. Und es sollte vielleicht sogar noch mehr Lehrkräfte geben, die darauf spezialisiert sind die Anfänger, die Erstsemester tatsächlich auszubilden. Denn das ist oft nicht die Sache aller Professoren. Es gibt gewisse Koryphäen, die wirklich jeden mitreißen können und begeistern können, das ist ganz, ganz wichtig, aber sehr viele Professoren, für die ist es eine Last auch wegen der vielen Studentenzahlen und eigentlich auch eine Übernutzung dieser Fähigkeiten der Professoren die ganzen Anfängervorlesungen zu halten. Das ist jetzt nicht despektierlich gemeint, sondern, das kann jemand, das ist oft schon so formalisiert, die Wissenschaft ist schon so standardisiert, dass das auch andere können und auch viel besser können. Aber das ist natürlich eine Geldfrage.

    Und die Professoren sollten dann eher die Seminare und die Studierenden in höheren Semestern dann auch persönlich anleiten, das fehlt heute. Einfach wegen der vielen Studenten ist das gar nicht möglich. Im Angloamerikanischen Bereich ist es durchaus gängig, dass dort eigenes Lehrpersonal für eingestellt wird und dann, wenn es darum geht, wirklich in die Forschung sich einführen zu lassen, erste Fragestellungen zu formulieren, vielleicht sogar erste Paper zu schreiben, dann ist es wichtig, den Professor an der Hand zu haben. Dann muss er aber auch da sein.

    Himmelrath: Wer wissenschaftliche Elite fördern will, wer sie heranzüchten will, vielleicht durch eine Exzellenzinitiative, der muss im Bereich der Hochschulen möglicherweise nachlegen in Deutschland. Einige Ideen, wie das geschehen kann, waren das von Harald Mieg, der eine Expertenforscherkonferenz ab heute in Berlin leitet. Danke Ihnen herzlich, Herr Mieg.