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Experten in den Medien

In Nachrichten, Talkshows oder Zeitungsartikeln analysieren sie Märkte, globale Krisen und die Politik: Wissenschaftler, Forscher und Fachleute. Doch wie unabhängig sind sie? Das Zitieren von Experten und Studien dürfe nicht die eigene Recherche ersetzen, betont Dieter Plehwe vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung.

Von David Goeßmann |
    Mitte letzten Jahres. Die Finanzkrise spitzt sich weiter zu. Der Ruf nach Bankenregulierung wird lauter. Das "Institute of International Finance", die Denkfabrik der globalen Finanzindustrie, will das verhindern und veröffentlicht eine Studie. Die Botschaft: Eine höhere Eigenkapitalquote für Banken führe zu einem Einbruch der Wirtschaft.

    "Ich habe in der Zeitung dann das gleiche Argument gelesen. Wenn wir jetzt eine Studie machen würden, die die Argumentation in den Medien über die Bankenregulierung rekonstruieren würde in den letzten Monaten, dann bin ich mir sehr sicher, dass an sehr vielen Stellen dieselbe Argumentation vorgetragen würde, die letztlich auf die koordinierte Wirkung von so einer Expertise im Rahmen dieser globalen Bankenlobbyorganisation entstanden ist."

    Dieter Plehwe ist Forscher am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung und Vorstandmitglied von "Lobbycontrol". Es gäbe heute deutlich mehr Think Tanks als noch vor Jahren, sagt Plehwe. Das Problem: Die dahinter liegenden Interessen blieben in den Medien fast immer unerkannt. Wenn ein Gewerkschafts- oder Arbeitgebervertreter zitiert werde, sei klar, um welche Interessen es gehe. Bei Mitgliedern von Denkfabriken wie der Bürgerkonvent jedoch nicht.

    Auch der investigative Wirtschaftsjournalist Harald Schumann vom Tagesspiegel kritisiert den intransparenten Umgang mit Experten im Journalismus.

    "Am Unerträglichsten in der Berichterstattung - was diese mangelnde Beleuchtung der Interessen angeht - ist dieses ewige Zitieren der sogenannten Analysten. Analysten von der Bank XY haben gesagt über die und die Firma. Das ist im Grunde lächerlich. Solche Berichte dürfte es eigentlich gar nicht geben. Weil kein Mensch kann beurteilen, ob der Analyst Müller von der Bank Y in New York nicht irgendwelche andere Interessen bedient. Und das wird er einem auch nie verraten. Da hilft auch keine Frage."

    Die Einordnung von Expertise stärke das journalistische Immunsystem, sagt Schumann. Wenn zum Beispiel ein Redakteur bei seinen Recherchen aus sechs verschiedenen Quellen die gleiche Einschätzung erhalte, aber nur aus einer eine davon völlig abweichende und kritische, dann wirke sich das natürlich auch auf die Richtung des Berichts aus.

    "Wenn er wüsste, dass alle sechs Quellen aus Unternehmenskreisen gesponsert wurden - Institute, Think Tanks, irgendwelche Gesprächskreise, Professoren mit Auftragsarbeiten von der Industrie und so weiter -, und ihm klar wäre, dass die alle an dem gleichen Interessenstrang hängen, während die einzigen, die sich kritisch äußern, welche sind die es tun, weil sie es sich selber erarbeitet haben, dann würde er das gewichtiger bewerten, die Kritik. Diese Sortierung, diese Einordnung der scheinbaren Expertise, die findet viel zu selten statt."

    So wurde vor Kurzem ein sogenannter Glücksatlas von der Deutschen Post veröffentlich, verfasst von einem unternehmensnahen Finanzwissenschaftler. Die Studienbotschaft von den krisenresistenten glücklichen Deutschen lief dann unhinterfragt über alle medialen Kanäle. Obwohl unabhängige akademische Untersuchungen zu ganz anderen Ergebnissen gekommen waren.

    Das Zitieren von Experten und Studien dürfe nicht die eigene Recherche ersetzen, betont Dieter Plehwe. Er rät Journalisten, bei Experten-Interviews eine Art Checkliste durchzugehen:

    "Wer hat eine Recherche finanziert. Wer hat die Mittel bereitgestellt. Was für einen Zweck verfolgt die Recherche. Handelt es sich tatsächlich um eine Recherche, die versucht wissenschaftlichen Kriterien zu genügen? Das heißt, dass man auf einem bestimmten Kenntnisstand der Literatur, auf der Basis auch von konkurrierenden Hypothesen arbeitet. Oder handelt es sich eigentlich um das Vortragen eines Arguments, das keine Fragen zulässt, sondern einfach eine Gewissheit vermittelt und die eben mit bestimmten Recherchen, vermeintlichen Fakten belegt."

    Plehwe fordert von Journalisten mehr Problembewusstsein in Sachen Experten. Er arbeitet daher gerade an einer kritischen Datenbank über Think Tanks und deren europäische Vernetzung.