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Explosionen mit Schluckauf

Sonnenphysik. - Von allen Sternen ist die Sonne uns der nächste und bekannteste. Und dennoch kann sie uns immer wieder überraschen. Auf der Jahrestagung des internationalen Komitees für Weltraumforschung wurden bislang unbekannte Aspekte der Sonneneruptionen vorgestellt.

Von Dirk Lorenzen | 23.07.2010
    Erst seit drei Monaten funkt das Solar Dynamics Observatory Daten zur Erde. Der Nasa-Satellit beobachtet hochpräzise unsere Sonne – und diese erweist sich in der Tat als überraschend dynamisch. Die Flares, die großen Explosionen auf der Sonne, laufen ganz anders ab als erwartet, erklärt Tom Woods vom Labor für Atmosphären- und Weltraumphysik in Boulder in den USA:

    "Uns hat sehr überrascht, dass die bekannte Explosion im Röntgenbereich nur der Anfang ist. Später kommt es dann auch zu Ausbrüchen im Ultraviolett-Bereich. Dort wird sogar dreimal mehr Energie frei als im Röntgenlicht. Seit 30 Jahren beobachten wir diese Explosionen im Röntgenbereich – und wir dachten, wir hätten verstanden, wie sie ablaufen."

    Die Astronomen staunen, dass sie bei den Explosionen auf der Sonne bisher offenbar nur die Spitze des Eisbergs wahrgenommen haben. Diese Entdeckung verdanken sie dem Messinstrument Eve, das Tom Woods und sein Team gebaut haben. Es bestimmt die Ultraviolett-Abstrahlung der Sonne so genau wie nie zuvor – und das alle zehn Sekunden. Plötzlich wird die gesamte Dynamik der Explosionen sichtbar:

    "Bei allen zwanzig Explosionen, die wir bisher beobachtet haben, gab es mehrere Ausbrüche, die zum Teil viele Minuten oder gar Stunden auseinander lagen. Jetzt überlegen wir, was das für uns auf der Erde heißt. Hat das bisher unbekannte Folgen für unsere Atmosphäre? Wir müssen diese zusätzlichen Ausbrüche in unsere Modelle einarbeiten, damit die Vorhersagen für das Weltraumwetter besser werden."

    Als Weltraumwetter bezeichnen Astronomen die Stürme aus Teilchen und Strahlung, die von der Sonne ausgehend durch das Planetensystem pusten. Extreme Sonnenstürme können die Elektronik von Satelliten zerstören, sie machen die GPS-Navigationssignale unscharf und legen Stromnetze lahm. Die Messungen des Satelliten nutzen die Forscher für eine Art himmlische Wetterprognose, um so vor den starken Ausbrüchen gewarnt zu sein. Tom Woods und sein Team berücksichtigen nun die wiederholten Explosionen im Ultraviolett-Bereich, auch wenn noch unklar ist, was genau da passiert.

    "Die Bilder, die die anderen Instrumente auf dem Satelliten machen, sind der Schlüssel zum Verständnis. Wir sehen in allen Details, wie bei den Explosionen große Materialschleifen aufplatzen, die von der Oberfläche der Sonne weit in die Atmosphäre reichen. Danach ordnet sich das Magnetfeld am Ort des Geschehens etwas anders an und es bilden sich ganz neue Schleifen. Wir wissen nicht, warum das geschieht und warum so langsam. Da haben wir wohl einige neue Physik zu lernen."

    Vielleicht liefern die wiederholten Explosionen auch einen Hinweis darauf, wie die Atmosphäre der Sonne mehr als zwei Millionen Grad Celsius heiß sein kann, obwohl die Oberfläche nur eine Temperatur von etwa 6000 Grad hat. Die Forscher sind für jeden neuen Hinweis dankbar – und behalten die Sonne genau im Auge.

    "Wir beobachten die Sonne rund um die Uhr und warten auf die nächsten Explosionen. Was wir bisher gesehen haben, ist nach Sonnenmaßstäben noch eher ruhig. Denn die Sonnenaktivität steigt gerade erst wieder an. Bald wird es noch viel stärkere Explosionen geben und wir sind gespannt, ob die auch wiederholt auftreten. Mit der größten Aktivität rechnen wir im Jahr 2013."

    Wenn die Astronomen Glück haben, hält der neue Satellit gut zehn Jahre durch. Dann hätten die Forscher Daten über einen gesamten Aktivitätszyklus – und bekämen vom rätselhaften Stern vor unser Haustür sicher noch manch andere Überraschung zu sehen.