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Explosive Drehscheibe

Es ist Krieg in Pakistan. Und er kommt aus der Luft: Mindestens acht Mal haben die USA in den vergangenen zwei Wochen mit Drohnen Ziele in den Stammesgebieten angegriffen. Sie zielen auf Terroristen – doch sie erschweren auch den Rückzug der NATO aus Afghanistan. Die Stimmung unter der Bevölkerung ist brandgefährlich.

Von Marc Thörner | 09.06.2012
    "Stop the Drone-attacks on FATA! Stop the Drone-attacks on FATA!”"

    Peshawar, Nordwestpakistan – die letzte große Stadt vor den autonom regierten Stammesgebieten. Am Eingang zur Universität stehen Studenten, halten Transparente hoch, machen ihrem Ärger über die US-Armee Luft. Viele von ihnen wohnen selber in den FATA, den Federal Administered Tribal Agencies und kommen von dort aus allmorgendlich zum Studium hierher.

    " "Wir demonstrieren gegen die Angriffe der US-Drohnen. Die Menschen gehen inzwischen kaum noch auf die Straße, Kinder trauen sich nicht mehr in die Schulen. Das ist psychische Folter, das muss aufhören. Keine Drohnenattacken auf die Stammesgebiete mehr!"

    Die pittoreske, quirlige Bazarstadt hat sich in den letzten Monaten bis zur Unkenntlichkeit verändert. Betonmauern durchschneiden Viertel, Stacheldraht und spanische Reiter sperren die großen Verbindungsstraßen, Militärpolizisten sitzen hinter Sandsäcken an MGs. Offizielle Gebäude sind regelrecht einbetoniert, die Fenster zugemauert oder mit Sandsäcken gefüllt. Es sieht aus wie in Bagdad oder Kabul. Hamid Jan, ein junger Soziologe arbeitet an einem Hilfsprojekt in den Stammesgebieten. Auf dem Weg zu seinem Einsatzort muss er sich tagtäglich durch unzählige Checkpoints schleusen lassen. Die Lage hier verschlimmere sich von Tag zu Tag, klagt er. Denn unter dem Druck der Drohnenangriffe wichen viele Taliban von ihren Hochburgen in den Stammesgebieten aufs reguläre Staatsgebiet, nach Peshawar, aus.

    "Die Sperrung der Versorgungsroute für die NATO war nur eine hilflose Reaktion auf den gewaltigen öffentlichen Druck. Wenn diese Gefühle außer Kontrolle geraten, gibt es vielleicht eine islamische Revolution in Pakistan. Dann wird vielleicht die pakistanische Armee die Revolution unterstützen, unter der Führung eines Taliban-freundlichen Kommandeurs."

    Um sich die Auswirkung der Blockade anzuschauen, meint Hamid Jan, müsse man nur aus Peshawar heraus und in Richtung afghanische Grenze und Khyber-Pass fahren. Bereits am Stadtausgang stauen sich die Lastwagen. Die Schlange der gestrandeten Versorgungscontainer hört nicht auf - bis wir nach etwa einer halben Stunde den Karkhano-Markt erreichen, im Volksmund auch Smuggler’s Bazaar genannt. Die Transitroute beginnt in der südpakistanischen Hafenstadt Karachi, schlängelt sich durchs ganze Land gen Norden und führt mitten durch Peshawar, über den Khyber-Pass, die Grenzstadt Torkham bis nach Kabul. Dieser Markt aber, erklärt der junge Soziologe, sei die eigentliche Drehscheibe des südnördlichen Handelsweges.

    Hinter der lang gezogenen Mauer öffnet sich eine Verkaufsfläche, an der nichts improvisiert oder informell scheint. Alles sieht aus wie die pakistanische Variante eines deutschen Megasupermarktes auf der grünen Wiese. Dreistöckige Gebäude bilden einen riesengroßen Hof. Durchgänge geben den Blick auf eine Flucht von weiteren, ähnlich großen Höfen frei.

    Was kann man hier kaufen? Ein junger Mann deutet mit einer Rundumbewegung auf die Geschäfte. Hier, sagt er, könne man alles finden, was auch in den NATO-Containern zu finden sei.

    "Wenn zum Beispiel jemand amerikanische Militärartikel haben will, braucht er bloß einen der Leute in den oberen Etagen zu kontaktieren. Wir könnten so was jederzeit arrangieren."

    An der Universität von Peshawar beschäftigt sich Professor Shajahan seit Jahren mit der Verbindungsroute. Der Medienwissenschaftler, der in Deutschland studiert hat, hält die Sperrung lediglich für Öffentlichkeitsarbeit. So gaukle die Regierung in Islamabad der eigenen Bevölkerung vor, sie habe Macht über die Amerikaner. Tatschlich schneide Pakistan sich damit in das eigene Fleisch. Dessen Wirtschaft basiere zu einem Gutteil auf dem Transitschmuggel zwischen Karachi und der afghanischen Grenze. Auch der organisierte Diebstahl von NATO-Material gehöre dazu. Die Auftraggeber und Profiteure seien im gesamten pakistanischen Establishment zu finden:

    "”Das sind sehr einflussreiche Leute, Korruption ist so, das weiß jeder, wie das geht und wohin das Geld geht. Das macht nicht ein Mensch, das ist eine Kette. Und Ketten funktionieren immer von oben bis unten. Familien. Es können auch Beamte sein. Es können auch Sicherheitsbeamte sein. Es können auch Regierungsbeamte sein, einflussreiche Persönlichkeiten.""

    Wenn die Container dann in der afghanischen Hauptstadt eintreffen, sind sie oft beträchtlich leichter als am Abfahrtsort Karachi. Doch damit nicht genug. Ehe sie ihren Weg zu den diversen NATO-Stützpunkten fortsetzen, nimmt der Bestand noch einmal ab.

    Beim Gang über den sogenannten Bush-Bazaar, den Schmuggelmarkt am Stadtrand von Kabul, fördert Siddiqi, der afghanische Begleiter, immer mehr fabrikneue Militärausrüstung zutage. Stammen, so meint er, könne sie nur aus NATO-Containern.

    "GPS-Systeme, Walkie-Talkies, Ersatzteile für Pistolen und Gewehre.
    "Operation USO Care Package" Schlafsäcke Klappstühle. Alles hier ist Ausrüstung für die ISAF und die NATO."

    Einer der afghanischen Spediteure, die im Auftrag der NATO ihre Lastwagen von hier bis ins pakistanische Karachi schicken, klagt über regelmäßigen Schwund:

    "Beim Grenzposten am Khyber-Pass werden unserer Container immer wieder aufgebrochen. Die Schmuggler holen heraus, was sie wollen und versiegeln die Container anschließend so, dass man keine Spuren des Diebstahls erkennt. Wie kann ein normaler Mensch das hinkriegen? Das sind keine einfachen Räuber. Diese Leute verfügen über beste Kontakte zur Regierung, und zwar zur pakistanischen wie zur afghanischen. Schon auf dem Karkhano-Markt, dem sogenannten Smuggler’s Bazaar unweit von Peshawar, kann man ja die Ware aus unseren Containern kaufen. Und zwischen Peshawar und dem Bush-Basar in Kabul finden Sie dann überall die NATO-Ausrüstung. Sogar auf den kleinen Dörfern in Afghanistan: nagelneue amerikanische Waffen!"

    Mit anderen Worten: Die NATO beschafft die Waffen selber, die später von den Aufständischen gegen sie eingesetzt werden. Vielleicht wäre es allein deshalb gar nicht schädlich wenn dieser Lieferweg aufgegeben würde – zugunsten der Nordroute, die durch Zentralasien führt. Aber mit einer endgültigen Sperrung ist wohl nicht zu rechnen. Sie würde Pakistans Schattenwirtschaft austrocknen – und damit die geheimen Einnahmen von Politikern und Militärs. Wie hatte Professor Shajahan von der Universität Peshawar gesagt:

    "Das bleibt nicht lange. In einigen Tagen wird das gelöst, weil Pakistan auch das eigene Interesse sieht, das sind die wirtschaftlichen Interessen. Diese Route bleibt! Diese Schattenwirtschaft wird weiter existieren, dieser illegale Trade, das geht weiter."