Zum "Branchengespräch Fleisch" kommt heute Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) mit den Landwirtschaftsministerinnen aus Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen zusammen - also aus den Bundesländern, wo es gerade große Corona-Ausbrüche in Schlachthöfen gab. Auch Vertreter von Schlachtereien, aus der Ernährungswirtschaft, Tierhalter und der Tierschutzbund sind eingeladen.
Susanne Kuhlmann: Die Empörung angesichts von weit über 1.000 Corona-Fällen bei Schlachthofmitarbeitern ist groß. Welche neuen Erkenntnisse in Bezug auf die Bedingungen, unter denen Fleisch produziert wird, sind heute denn von diesem kurzfristig anberaumten Treffen zu erwarten, Herr Schröder?
Thomas Schröder: Ich glaube, dass es heute gar nicht um neue Erkenntnisse geht, weil wir wissen ja, welches Versagen in dieser Fleischbranche vorhanden ist. Wir reden seit Jahren über die Missstände von Akkordschlachtung, über Tiere, die ohne Betäubung in den Tod gehen müssen, und davor die Haltung in den Stallsystemen. Insofern erwarte ich keine neuen Erkenntnisse; ich erwarte eine Bundesministerin, die endlich anpackt und Ordnungsrecht verschärft und durchsetzt.
"Klöckner hat bisher überhaupt gar nichts getan"
Susanne Kuhlmann: Dass die Nutztierhaltung anders ausgerichtet werden muss, um eine Perspektive für die Zukunft zu haben, das steht ja auch im Strategiepapier der Borchert-Kommission zum Umbau der Tierhaltung, das ja in der Politik, beim Bauernverband und bei Umweltverbänden gleichermaßen gut angekommen ist. Damit liegt doch eigentlich eine durchdachte Grundlage dafür vor, was sich ändern muss – nicht nur bei der Fleischproduktion, sondern auch, wenn es um Milch und Eier geht.
Schröder: Wir haben die Ergebnisse der Borchert-Kommission im Grundsatz begrüßt. Da gibt es noch Dinge, wo wir uns schärfere Aussagen gewünscht hätten. Die Zeitkulisse bis 2040 scheint uns wenig ehrgeizig. Entscheidend ist aber, was Frau Klöckner daraus macht. Wir haben mit ihr eine Bundesministerin, die bisher überhaupt gar nichts getan hat, nur freiwillige Vereinbarungen gemacht hat mit einer Agrarwirtschaft, der man nicht trauen kann. Sie hat ihren Job als Bundesministerin, Ordnungsrecht auszugestalten, bisher überhaupt gar nicht getan. Der Tierschutz leidet immer noch. Ein Tierschutzgesetz ist immer noch ein Nutzgesetz und kein Schutzgesetz.
"Erst Ordnungsrecht, dann der Verbraucher"
Kuhlmann: Stichwort freiwillige Regelungen. Über die Initiative Tierwohl reden wir seit Jahren und vor drei Monaten wurde beschlossen, eine Zukunftskommission Landwirtschaft einzurichten. Wer muss nun handeln statt reden? Wo stehen zum Beispiel die Handelsunternehmen, die sich beim Fleischpreis unterbieten, und die nach wie vor zahlreichen Konsumenten, für die der Preis das einzige Kaufkriterium ist?
Schröder: Man muss nochmal deutlich betonen, dass ich schon zur Amtszeit Ilse Aigner dabei war, eine Charta zu machen für die Landwirtschaft. Das heißt, das ist alles nicht neu. Es liegt eigentlich alles in den Schubladen. Frau Klöckner versucht, offenbar Zeit zu gewinnen. Der Handel – und das ist für mich das Entscheidende – beteiligt sich an diesem ganzen Missstand, indem er ständig noch Billigfleisch in den Katalogen hat, das Preis-Dumping von hinten an bis zum Landwirt durchreicht. Das kann dann keine Lösung geben. Wir brauchen einen Handel, der klarmacht, Fleisch hat einen Wert, eine Qualität, und wer Fleisch isst, muss auch mehr dafür bezahlen. Ich sage aber auch deutlich: Frau Klöckner darf jetzt auch nicht den Verbraucher dafür missbrauchen, Ordnungsrecht an der Kasse zu korrigieren. Sie hat zuerst das Ordnungsrecht so zu gestalten, dass Verbraucher zufrieden sind, und dann können Verbraucher immer an der Ladenkasse auch was drauflegen. Aber erst Ordnungsrecht, dann der Verbraucher.
"Tierschutz ist Menschenschutz"
Kuhlmann: Die Exportorientierung läuft ja auch weiter. Wird die Zukunft so aussehen, dass für den deutschen Markt vielleicht dann in umgebauten schöneren Ställen produziert wird und für China in den anderen, und wie kommen wir an tiergerechtere Ställe mit welchem Geld?
Schröder: Wer heute noch glaubt, über Preis die Globalisierung gewinnen zu können und damit die deutschen Landwirte zukunftsfähig zu machen, der irrt völlig und rennt auch gegen die Wand. Was wir brauchen ist ein Qualitätssignal. Wir brauchen Regionalität in Deutschland, in Europa. Dann haben Landwirte auch eine Zukunft. Der Preiskampf gegen China und andere Länder ist nicht zu gewinnen. Der geht nur auf Kosten der Tiere und, wenn wir die Zentralisierung im Fall Tönnies auch mal sehen, auch zulasten des Arbeiters, des Menschen. Deswegen ist Tierschutz Menschenschutz und deswegen müssen wir dringend weg von Zentralisierung, weg von wachsen oder weichen, hin zu einer Regionalität, die viele, viele Chancen für Tier und Mensch bietet.
Kuhlmann: Brauchen wir neue Gesetze?
Schröder: Wir brauchen überhaupt erst mal Schutzgesetze für das Tier. Das Tierschutzgesetz heute heißt zwar so, aber da gibt es so viele Lücken und Ausnahmen, mit denen Tierqual legitimiert wird. Deswegen brauchen wir neue Gesetze und wenn neue Gesetze da sind – und da sind die Landesminister alle gefordert, weil die sind dann verantwortlich -, müssen die auch vollzogen und kontrolliert werden. Das ist ja über die letzten Jahre auch nachlässig passiert.
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