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Exportschlager AKW

Russland ist als 156. Land in die Welthandelsorganisation aufgenommen worden. Angesichts der Konkurrenz aus dem Westen befürchten Kritiker im Land den Zusammenbruch ganzer Branchen. Anders die russische Atomindustrie: Sie hofft auf lukrative Exportaufträge.

Von Gesine Dornblüth | 22.08.2012
    Langsam fährt der Baufahrstuhl in die Höhe. Durch die Gittertür sind Baucontainer zu sehen, die Hülle eines Kühlturms, Felder, blauer Himmel.
    Über ein Gerüst aus Holzplanken geht es in eine Kuppel in luftiger Höhe: Die Reaktorhülle. Bauarbeiter schweißen. Funken fliegen.

    "Pojdemte dalsche, dalsche, dalsche."

    Der leitende Ingenieur der Baustelle geht mit festem Schritt voran. Wiktor Wagner arbeitet seit fast 50 Jahren in der Atomindustrie. Er zeigt auf acht riesige Tanks an den Innenwänden des Reaktors. Darin ist Kühlflüssigkeit.

    "Wir haben ein einzigartiges Sicherheitssystem integriert, mit passiven Sicherheitsmechanismen. Wenn der Strom ausfällt, so wie in Fukushima, und auch noch der Diesel, dann wird der aktive Teil des Reaktors automatisch mit einer Kühlflüssigkeit aus diesen Tanks überschwemmt."

    2007 hat der Atomkonzern Rosatom hier, bei Nowoworonesch, etwa 500 km südlich von Moskau, mit dem Bau des Atomkraftwerks begonnen. Die zwei Blöcke sollen in zwei bis drei Jahren ans Netz gehen. Für den Ingenieur Wiktor Wagner ist es der Höhepunkt seiner Karriere. Er beugt sich über eine Brüstung und zeigt in die Tiefe.

    "Dort unten haben wir eine Auffangwanne für den Fall einer Kernschmelze eingesetzt. Wenn etwas mit dem Reaktor passiert, läuft alles in diesen großen Topf. Die Auffangwanne hat doppelte Wände. Sie enthalten spezielle Metalle, Bor, einen speziellen Zement, Aluminiumoxid, kurz gesagt, eine besondere Mischung, die verhindert, dass die 2.500 Grad heiße Masse weiter ausläuft. Das ist ein russischer Entwurf. Wir sind die ersten, die das gebaut haben. Die Franzosen behaupten zwar, sie seien die ersten, aber das stimmt nicht."
    Gleich mehrere Reaktoren dieses Typs baut Rosatom derzeit im eigenen Land. Und es exportiert sie. Gerade wurde ein entsprechender Vertrag mit Weißrussland unterzeichnet. Doch neueste Technologien hin oder her, hundertprozentige Sicherheit mag Ingenieur Wagner nicht garantieren.

    "Zumindest ist es so sicher, wie es die Wissenschaft heute erlaubt."

    Kritikern reicht das nicht. Wladimir Tschuprow von Greenpeace Russland verweist auf das in Weißrussland geplante neue Atomkraftwerk russischer Produktion.

    "Die Planer kalkulieren schlimmste Szenarien mit ein wie zum Beispiel Terrorismus, Blitzeinschlag, Sabotage, menschliches Versagen, Überflutung oder Erdbeben. Und sie sagen ganz offiziell, dass die atomare Verseuchung in diesen Fällen vergleichbar mit Fukushima wäre. Wie kann man von Sicherheit reden, wenn eine Kernschmelze offiziell für möglich gehalten wird!"

    Ein paar hundert Meter von der Baustelle entfernt, etwas oberhalb, ist eine Besucherplattform. Schautafeln stehen bereit. Der Direktor der Baustelle, Sergej Petrow, wartet schon.

    "Wir wollen offen zu ihnen sein, oder transparent, wie man heute sagt. Aber auch überzeugend."

    "Wir meinen, dass das heute der modernste, zuverlässigste und sicherste Apparat in der Welt ist."

    Es ist ein Vorführmodell. Um sich gegen die Konkurrenz vor allem aus Frankreich durchzusetzen, bietet Russland ein Komplettpaket: Das AKW schlüsselfertig, bei Bedarf die Brennstäbe inklusive, dazu günstige Kredite, und wenn gewünscht, entsorgt Russland auch noch den Atommüll. Das Konzept scheint aufzugehen.

    "Letzte Wochen waren Franzosen hier. Naja, die waren nur neugierig. Vorher kamen Türken. Sie haben sich für den Bau interessiert. Davor eine Delegation aus Ungarn, davor eine aus Tschechien. Wir arbeiten intensiv in der Richtung."

    Doch Medienberichte werfen Schatten auf das Projekt. Russische Zeitungen berichten über Schlampereien beim Bau von Atomkraftwerken. Auf einer Baustelle bei Sankt Petersburg fielen die 20 Meter hohen Metallträger eines Reaktors einfach zusammen. In Nowoworonesch könne so etwas nicht passieren, erläutert Direktor Petrow. Vier Kontrollebenen seien eingezogen. Die Zeiten, in denen Russland hinten anstehe, seien vorbei.

    "In der Sowjetunion haben wir alles selbst gebaut. Auch, weil wir international isoliert waren. Jetzt ist das anders. Wir arbeiten technisch und wissenschaftlich mit vielen Ländern zusammen. Innovationen nehmen wir jederzeit auf. Wir suchen einfach unseren Platz auf dem internationalen Markt. Und daran ist absolut nichts Gefährliches."