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Expressiv!

Ist dies nun wieder so eine Ausstellung, in der die Kuratoren sich einige ihrer Lieblingsbilder zusammenleihen, die sie schon immer einmal zeigen wollten, und dann ein Thema drüberstülpen? Mitnichten. Der Sammler Ernst Beyeler stand dem Expressionismus zeitlebens eher skeptisch gegenüber, er schmäht diese Richtung im Katalog gar als "Strohfeuer" - und wenn er jetzt in seinem Museum eine solche Schau als Gegenpol und Ergänzung der eigenen Sammlung zulässt, dann geht es ihm um den Gestus, um das Expressive als übergreifendes Phänomen in der Kunst der klassischen Moderne.

Ein Beitrag von Christian Gampert |
    Die Ausstellung führt die Bedenken des Veranstalters ad absurdum: die ungeheure malerische (und in den Nebenräume auch graphische) Wucht dieser Werke lässt uns fast körperlich spüren, welcher Aufbruch zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts da stattfand. Industrialisierung, die Verlorenheit des Einzelnen in den großen Städten, das sexuelle Aufbegehren und die soziale Not, der verzweifelte Versuch der Selbstbefreiung und der ungeheure Ausdruckswille – das wird an exzellenten Bildern von Brücke, Blauem Reiter und Wiener Expressionisten, später dann auch von Dix, Grosz und Beckmann demonstriert. Das, was drinnen brodelt, was Psychoanalyse und marxistische Theorie mühsam auf den Begriff zu bringen suchten, hier springt es uns noch einmal, in Portraits und Landschaften, Akten und Straßenszenen direkt und fast wollüstig an. Aber es geht um das Woher und das Wohin, und auch hier leistet die Ausstellung Beträchtliches. Einerseits spürt sie in den manieristisch verzogenen Gliedmaßen einer El-Greco-Verkündigung aus dem Jahre 1600 schon die expressive Geste auf, die sie dann über van Gogh, Gauguin, James Ensors Masken oder klobige Selbstportraits von Paula Modersohn-Becker bis zu den Fauves verfolgt; andererseits zeigt sie uns die schwächelnden Nachfahren, das oft nur Posenhafte manch ewig jungwilder deutscher Gegenwartskunst, kann aber auch da mit einigen großartigen, fremd bleibenden Arbeiten von Francis Bacon, Asger Jorn oder Jean-Michel Basquiat aufwarten. Am überzeugendsten ist Ausstellung immer dann, wenn sie unaufdringlich Bezüge herstellt und uns auf das Fortleben bestimmten Topoi hinweist. Ein Beispiel: als einer der Vorväter des Expressiven wird Edvard Munch gefeiert – wir sehen seine depressiv-verführerischen weißen Frauenkörper, die zugefrorenen Seen und leeren Landschaften und, in der Graphik, auch den Schrei. Viel später, in der Gegenwartsabteilung, werden wir in einer Nebenkammer eine Video-Installation von Bruce Nauman betreten - ein glatzköpfiger Mann ist dreifach auf Fernsehmonitore geschaltet, und auch der gibt Laute von sich:

    Der Zufall wollte es, dass fast gleichzeitig mit der Ausstellung auch ein Krieg, der Irak-Krieg eröffnet wurde – und dass damit als politisches Panorama eines der Themen schon präsent ist, das das Lebensgefühl der Spätexpressionisten Dix, Grosz oder auch Beckmann prägte. Die schreienden Farben, die "rote Narbe", die der Expressionismus in der Kunstgeschichte hinterlassen hat, sie sind auch politisch noch präsent – wenngleich die Verhältnisse erheblich komplizierter geworden ist. So wie Bruce Naumans Technik komplizierter ist als die Munchs oder Heckels.

    Natürlich muss man sich fragen, ob die Vereinnahmung mancher Künstler für das Ausstellungskonzept legitim ist. Max Ernst und Paul Klee, Picasso sowieso, Jean Dubuffet und sogar Giacometti werden auf einmal als große Expressive gehandelt. Bei Giacometti ist es einem da besonders unwohl. Andererseits zeigt die Fondation Beyeler, wie variantenreich die Geste des Aufbegehrens, von Pollock bis de Kooning, in der Gegenwartskunst präsent ist – wenngleich man den Bruch nach dem zweiten Weltkrieg deutlich sieht, zunächst eine gewisse Sprachlosigkeit, dann die Überlagerung der wilden Wut durch das Konzept – womit die Basler Kuratoren dann sogar bei Andy Warhol landen, der bekanntlich ungeheuer expressive Suppendosen serigraphiert hat.

    So sollte man die Ausstellung lieber dazu nutzen, sich aus dem Alltagstrott zu reißen und energetisch aufzuladen – mit der Intensität der Kirchner- und Jawlensky-Portraits, den Farben der Nolde- Landschaften und mit der Sprengkraft von Kandinskys Improvisationen, die in die Zukunft führt: ins Abstrakte.

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